To

369 55 37
                                    

„What is life without a little risk?“

Erneut hatte sich ein Zitat auf dem Zettel befunden. Genauer gesagt, das Zitat von Sirius Black aus Harry Potter und der Orden des Phönix. Doch diesmal war es nicht alles gewesen, das auf dem Zettel stand.

„Mein kleines Risiko im Leben ist es dir zu schreiben. Vielleicht ist es verrückt, denn ich kenne noch nicht einmal deinen Namen. Doch als ich dich zum ersten Mal in der Bücherei gesehen habe, da wusste ich, dass mich dein Anblick nicht mehr loslassen würde xH.“

Ich hatte diese Worte mittlerweile so oft gelesen, dass sie mich sogar schon im Schlaf verfolgt hatten. In der letzten Nacht hatte ich einen Traum, in dem mich eine Person ohne Gesicht zwischen den Bücherregalen hindurch beobachtet hatte. Doch jedes Mal, wenn ich um das Regal herum gegangen war, war sie verschwunden und an ihrer Stelle lag nur ein kleines Stückchen Papier auf dem der Buchstabe H geschrieben war.

Ich war erleichtert, dass heute Montag war und deswegen die Bibliothek geschlossen hatte. So konnte mich keine neue Botschaft erreichen. Denn es war sehr offensichtlich gewesen, dass die Nachricht für mich bestimmt war. So wie das Buch direkt auf meinen Arbeitsplatz gelegt wurde.

Doch warum sollte mir jemand geheimnisvolle Briefe schreiben? Je öfter ich ihn mir durchlass, desto mehr war ich der Meinung, dass es sich wie ein Liebesbrief anhörte.

Ich seufzte bei der Vorstellung, es wäre so wie in den Liebesromanen, die ich bisher gelesen hatte. Ein Mann verliebte sich auf den ersten Blick hoffnungslos in eine bildhübsche Frau. Doch ihre Familien sind zu unterschiedlich, weswegen es keine Zukunft für ihre Liebe gab. Der einzige aber riskante Weg war es, ihr Briefe zukommen zu lassen.

Doch mein Leben war keiner dieser schnulzigen Liebesgeschichten. Ich war bald Student in einer Großstadt, arbeitete nebenbei in der Bibliothek meines Onkel und kannte ganz sicher niemanden hier in London, dessen Name mit H begann. Denn außer meinem Onkel Anthony kannte ich leider noch niemanden.

Die einfachste Erklärung für alles war, dass sich hier jemand einen Scherz auf meine Kosten erlaubte. Denn mal im Ernst, wer sollte mir schon einen Liebesbrief schreiben? Und dann auch noch anonym? In der heutigen Zeit, da fragte man nach der Handynummer oder dem Social Media Account. Dann textete man einige Zeit hin und her und wenn es passte, dann traf man sich vielleicht mal auf einen Kaffee.

Niemand würde auf die Idee kommen, jemandem anonym kleine Briefe zu schreiben. Oder vielleicht doch? Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass es der Absender der Briefe wirklich ernst meinte? Nein, das war die falsche Frage. Ich sollte mich eher fragen, wie groß die Wahrscheinlichkeit war, dass der Absender irgendein unheimlicher Stalker war.

Ich erschauderte bei dem Gedanken, jemand könnte mich heimlich beobachten. Erneut las ich mir die Nachricht durch. „Als ich dich zum ersten Mal in der Bücherei gesehen habe, da wusste ich, dass mich dein Anblick nicht mehr loslassen würde.“

Okay, die Theorie mit dem Stalker sollte ich vorerst lieber nicht ausschließen. Ich rollte mich aus meinem Bett und ging zum Fenster hinüber. Ich ließ meinen Blick über das rege Treiben auf der Straße vor mir schweifen. Mir kam nichts ungewöhnlich vor, doch trotzdem zog ich lieber die Vorhänge zu. Sicher ist sicher.

Seufzend ließ ich mich auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch fallen. Ich konnte mich doch nicht für immer hier drinnen verstecken. Heute war mein freier Tag, also hättte ich genug Zeit, die Stadt zu erkunden oder... Mein Blick fiel auf die Flyer der Uni auf die ich bald gehen würde. Ja, ein Spaziergang zu der nicht weit entfernten Uni würde mir sicher den Kopf frei machen und gleichzeitig konnte ich mir das Gebäude schon mal ein wenig ansehen. Dann würde ich mich an meinem ersten Tag dort schon ein wenig zurecht finden.

Voll neuem Elan packte ich also die Broschüren und mein Handy und machte mich, nachdem ich meinem Onkel Bescheid gesagt hatte, auf den Weg. Die frische Luft und die Bewegung taten wirklich gut und meine Sorgen schoben sich schon bald in die hinterste Ecke meines Kopfes. Das erste Mal seit ich die Zettel bekam, konnte ich mich wirklich entspannen.

Doch dieser Zustand hielt nicht lange an, denn als ich die Uni erreichte, musste ich feststellen, dass das Gebäude riesig war. Wie sollte ich mich hier zurecht finden? Einen Moment stand ich nur ratlos davor, bis ich mich dazu entschloss fürs erst eine Runde durch das Innere zu laufen.

Ich drückte also die schwere Eingangstür auf und trat in eine große Halle, die vermutlich als Aufenthaltsort für die Studenten diente. Von dort aus zweigten einige breite Gänge ab, die in die verschiedenen Teile der Uni führten. Direkt links neben dem Eingang, durch den ich gerade gekommen war, entdeckte ich eine Tafel, auf der ein Lageplan abgebildet war. Kurzerhand entschied ich mich dazu, diesen näher zu betrachten, um einen schnellen Überblick zu erhalten.

„Hey, suchst du etwas?“ fragte plötzlich eine Stimme hinter mir. Erschrocken drehte ich mich um und erblickte einen Jungen mit braunen Locken und hübschen grünen Augen. Er war einige Zentimeter größer als ich und grinste mich freundlich an. Irgendwie kam er mir bekannt vor, doch ich wusste nicht woher.

„Kann ich dir irgendwie helfen?“ wiederholte er seine Frage, da ich immer noch nicht reagiert hatte. Schnell schüttelte ich den Kopf. „Ich fange erst nächstes Semester hier an, aber ich wollte mich schon mal ein wenig umsehen.“ antwortete ich schüchtern.

„Cool, was studierst du denn?“ wollte der Fremde interessiert wissen. „Literatur.“ gab ich nur etwas überfordert zurück. Ich war nicht gut darin, mit neuen Menschen zu reden, doch das schien mein Gegenüber nicht zu stören. „Ich auch!  Dann sehen wir uns ab nächstem Semester hoffentlich öfter hier. Ich bin übrigens Harry und du?“

„Ich bin Louis...“ Doch bevor ich noch mehr sagen konnte, wurde ich von einem Mädchen unterbrochen, dass sich bei Harry einhackte. „Wir wollen endlich los, wo bleibst du denn?“ richtete sie sich an ihn, dann schweifte ihr Blick zu mir. „Hey und wer bist du?“

Ich öffnete meinen Mund, doch Harry war schneller. „Das ist Louis, ein Freund von mir. Er fängt nächstes Semester auch hier an. Louis, das ist meine Schwester Gemma.“ stellte er mich mit einer Handbewegung dem Mädchen vor. „Und da sie ungeduldig ist, muss ich mich jetzt leider verabschieden. Aber wir sehen uns!“ fügte er noch hinzu, bevor er mit seiner Schwester zusammen davon ging und eine kleinere Gruppe Studenten ansteuerte.

Ich starrte ihm noch einen Moment hinterher. „Ein Freund von mir.“ so hatte Harry mich seiner Schwester vorgestellt. Es fühlte sich gut an, endlich jemanden zu kennen, der dann sogar im selben Studiengang war wie ich. Wenn alle auch nur halb so nett waren wie Harry, dann würde es ein Leichtes sein, hier Freunde zu finden.

Library of Love (l.s.)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt