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Das leise Rascheln des Papiers erfüllte den Raum, während die junge Frau nah am Fenster sitzend die Seite umschlug.
Vor zwei Jahren war sie in diesem Palast aufgewacht, als lebte sie schon immer hier. Ihr war außer den Dienern auch noch niemand begegnet.

Seufzend sah sie auf, als ein Blitz durch den Himmel zuckte und das Land für einen kurzen Moment erhellte. Tote, schwarze Bäume zierten die Umgebung des Palasts. Tote Bäume auf einem toten Land. Nie hatte sie die Sonne gesehen in diesen Jahren. Stets war alles dunkel und düster gewesen.
Dennoch verspürte sie keine Angst. Dieser Palast war ihre Festung, die Diener neben den Büchern in der gewaltigen Bibliothek, ihre Kontakte. Es mangelte ihr an nichts, wie die Dienerin an ihrem ersten Tag versprochen hatte.

Schmuckschatullen stapelten sich in ihren Schränken, für die feinsten Kleider hatte sie zwei eigene Räume. Das Essen war stets vom Feinsten, das Personal höflich und dennoch freundlich.

Es war ein perfektes Leben in einem toten, dunklen Land, wenn auch einige Fragen offen blieben. Zum Beispiel, warum es stets dunkel war. Warum das Land nichts hervorzubringen schien und dennoch stets köstliche Speißen aufgetischt wurden.
Fragen, auf die sie vielleicht nie eine Antwort bekommen würde, deren Rätsel sie jedoch faszinierten.

"Mylady." Sie sah sofort in den Raum hinein, als die hohe Stimme der jungen Dienerin erklang und lächelte.
"Ja? Wie kann ich dir helfen?", erwiderte sie und bemerkte wieder, wie ähnlich die Angestellten sich doch waren. Dunkle Kleidung, braunes Haar, blaue Augen. Nur die Haut war weiß wie Schnee.
"Der Herr wünscht Euch zu sehen.", offenbarte die junge Frau, den Kopf gesenkt.

Die Frau schloss überrascht das Buch und legte es auf den kleinen Tisch neben ihrem Lesesessel. Der Herr, von dem die Diener stets sprachen, hatte sich ihr noch nie gezeigt. Es hatte sie zwar noch nie gewundert, doch nun kam es ihr erst in den Sinn. So lange sie hier schon lebte, ohne die Mauern des Palasts je verlassen zu haben, hatte sie auch noch nie nach ihm gefragt. Nie fiel ein Name und auch ihre Erinnerungen wiesen noch Lücken auf.

"Der Herr? Wann soll ich zu ihm kommen?"
"Er erwartet Euch zum Abendessen im großen Speisesaal. Ein Kleid liegt bereits bereit."
"Abendessen..." Sie sah zu der kleinen Uhr die monoton tickte. "Das ist schon in ein paar Stunden."
Schnell stand die Lady auf. "Danke. Ich gehe in mein Zimmer zurück. Schick' bitte meine Zofen, dass sie mir helfen."
"Wie ihr wünscht, Mylady." Die Dienerin verbeugte sich, dann trat sie einen Schritt zurück und verschmolz mit den Schatten eines Regals.

Die Diener faszinierten sie ebenso wie die anderen Geheimnisse des Palasts. Vollkommen lautlos bewegten sie sich fort, schienen durch die Schatten zu kommen und zu gehen. Trotz ihrer Nachfragen waren die Angestellten ihren Fragen danach immer ausgewichen oder hatten es als Täuschung abgetan.
Irgendwann hatte sie es dann aufgegeben und es als normal hingenommen. Ihr Interesse jedoch war noch lange nicht verpufft.

Geschenktes HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt