Die Regatta

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Der hohe Gast kam spät am Nachmittag als der Sandburgenwettbewerb und andere kleinere Spiele bereits ausgetragen worden waren. Es hatte sich bereits abgezeichnet, dass die Zahl der Gäste aus feinen Londoner Kreisen mit der Wanderung der Sonne zunahm, doch Tom Parker hielt lange vergeblich nach dem wichtigsten von ihnen Ausschau und war zuletzt so unruhig, dass ihn nicht einmal die warmherzigen Worte seiner Frau erreichen, geschweige denn beruhigen konnten. Sein jüngerer Bruder Arthur hingegen war die Ruhe selbst, solange die Sandwiches nicht ausgingen, und davon gab es reichlich. Charlotte stand neben ihm und seiner Schwester Diana Parker unter dem weißen Pavillon, wo das Essen äußerst ansprechend aufgebaut worden war, doch sie hatte anders als Arthur keine Augen dafür. Gern hätte sie mehr wie alle anderen nur auf die Ankunft des Prinzregenten gehofft, doch sie konnte nicht umhin die neu ankommenden Gäste immer wieder zu mustern, um zu sehen, ob der dritte Parkerbruder unter ihnen war. Jedes Mal, wenn sie ihn nicht entdeckte, wich ihre nervöse Erwartung einer zerrenden Enttäuschung.
„Da ist er!", rief Tom Parker plötzlich aus und unwillkürlich wandten allen den Blick in die Richtung, in der er eilte. Tatsächlich konnte es nur der Prinzregent sein, der mit einer elegant gekleideten Dame an seiner Seite und drei angemessenen Abstand haltenden Leibwachen die Dünen hinab zum Strand kam. Alle Augen waren auf den hohen Herren gerichtet, der immerhin ihr Land regierte. Gnädig ließen er und seine Begleiterin sich gnädig von Mr. Parkers Überschwang begrüßen. Diejenigen, an denen sie vorbeikamen zogen Zylinder, Hüte, verbeugten sich und knicksten. Als die elegante Dame an der Seite des Prinzregenten unter ihnen Charlotte wiedererkannte, entschuldiget sie sich bei dem mit königlichem Stolz schreitenden Prinzregenten George IV. und hob das junge Mädchen an den Händen aus ihrem Kniks. „Charlotte Heywood. Es ist mir eine große Freude Sie wiederzusehen."
Charlotte erkannte die sanfte Stimme und hob davon ermutigt weniger schüchtern den Kopf als es andere gegenüber dieser feinen Frau getan hatten. „Lady Susan. Wie schön, dass Sie gekommen sind. Ich hoffte schon, dass Sie den Prinzregenten begleiten würden. Und natürlich auch, dass seine Hoheit es ermöglichen würde, uns die Ehre seines Besuches zu gewähren", fügte sie etwas hastiger und verlegen beim Anblick des stolzen Regenten hinzu. „Schon gut." Lady Susan lächelte freundlich. „Erzählen Sie mir, wie es Ihnen ergangen ist", meinte sie und nahm Charlottes Arm in ihren, sodass sie den anderen sich unterhaltend folgten, ohne, dass jeder ihre Worte mitanhören konnte. „Nun, ich befürchte aus meinem Dorf kann ich Ihnen wohl nichts Aufregendes berichten", sagte Charlotte entschuldigend, „aber sicher haben Sie in London Vieles erlebt." Die Lady lächelte mild. „Täuschen Sie sich nicht Mrs. Heywood, Die Stadt kann in diesen Kreisen sehr öde und mitunter zermürbend sein, wohingegen das Landleben Geschichten aus einem mir scheint manchmal realeren Leben heraus zu bieten hat."

Mit den anderen Gästen versammelten sie sich am Ufer des kleinen Flusses, auf dem die Regatta stattfinden sollte. Charlotte fiel auf, dass diesmal nahezu der ganze Ort beteiligt war, statt den wenigen Booten, die vor einem Jahr gegeneinander angetreten waren.
Die Parkerbrüder stellten diesmal kein Team, aber dafür blieb Tom umso mehr Zeit, sich um den Prinzregenten zu kümmern. Als er Charlotte sah, die mit Lady Susan Konversation zu betreiben schien, nickte er ihr aufmunternd zu. Allerdings war es eher Charlotte, die von Lady Susan betreut wurde, insbesondere als sie unter all den Menschen zum ersten Mal Mrs. Eliza Campian, Sidney Parkers verlobte entdeckte. Sie war in Begleitung von Esthers Stiefbruder Edward Denham, der sich gerne mit verschieden Frauen sehen ließ und ihnen Avancen machte. Darin war er nicht mehr zum Gentleman geworden als er es vor einem Jahr gewesen war und auch sein Erfolg war zu seinem Ärger eher spärlich. Lady Susans Meinung, von der fast ebenso fein gekleideten blonden Frau neben ihm wurde durch diesen Mann nicht besser, doch sie setzte in solchen Fällen mehr auf starkes Auftreten als auf ausweichenden Rückzug. „Kommen Sie, da ist jemand, den wir begrüßen sollten", sagte sie daher leise, aber bestimmt und führte Charlotte durch das Getümmel, welches sich nach dem Sieg des Bootes von Mr.Stringer zu verlaufen begann. Charlotte wäre mit den anderen davon gegangen als sie das große, elegante Paar entdeckte, dass die Adlige ins Auge gefasst hatte, wenn diese sie nicht am Arm mit sich genommen hätte. „Eliza Campian", Lady Susans Stimme war nicht unfreundlich, aber alles andere als herzlich wie sonst. Ihre Anrede ging gerade noch als höfliche Begrüßung durch, die eine Frau ihres Standes sich in diesem Tonfall erlauben konnte. Die Angesprochene wandte sich daher mit einer beinahe empörten Miene um, fing sich aber schnell und setzte ein Lächeln auf, als sie Lady Susan erkannte. Die Begrüßung erwiderte sie nicht ohne Stolz in der Stimme und mit kühler Höflichkeit: „Lady Susan. Wie schön, dass Sie kommen konnten." Ihre hellblauen Augen blieben an Charlotte hängen.

„Mrs. Heywood. Es ist schon so lange her. Sind Sie hier, um den Parkers mit den Kindern zu helfen?", fragte sie und lächelte mit einer Überheblichkeit, die nur denen nicht entging, die sie kannten. Edward Denham küsste beiden Damen die Hand, auch wenn diese gerne auf diese Geste verzichtet hätten. „Sicher werden sie sich freuen eine so gute Spielgefährtin gefunden zu haben", bemerkte er und lächelte Charlotte auf die ihm eigene, vieldeutige Art an. Charlotte Heywood hatte lange nicht in feinen Kreisen verkehrt, was ihr sonst waches Temperament etwas hemmte, aber das Land und die vielen Begegnungen mit Männern im letzten Jahr, gaben ihr einen festen Blick, dem selbst Edward Denham schwer standhielt. Lady Susan konterte für sie: „Sie wird auch heute Abend auf dem Ball sein, falls sie dieses Spiel meinen." Eliza Campian jedoch war nicht leicht um Worte zu bringen:
„Gewiss ihr erster Ball Charlotte."
„Gewiss nicht", erwiderte Charlotte und ihre sonst freundlichen braunen Augen waren selbstbewusst, wie die kühlen blauen der vermögenden Dame, „wie sie wissen könnten,
denn auf einem, den ich in London besuchte, tanzte ich mit Sidney Parker, bevor sie ihm dort begegneten."
Die freudige Erwartung in der lauen Sommerluft war durch einen vom Meer kommenden Wind herabgekühlt worden, der Charlottes offene Locken sacht wehen ließ, während der Knoten von Mrs, Campian ungerührt blieb. „Nun, meinem zukünftiger Ehemann und mir, werden Sie heute Abend sicherlich auch begegnen", sagte sie steif. 

Sanditon-Die RückkehrWo Geschichten leben. Entdecke jetzt