Erwartungen und Sorgen

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Beim Frühstück am nächsten Morgen empfingen auch die Kinder der Parkers Charlotte und umarmten sie stürmisch. Die junge Frau staunte, wie sehr sie im letzten Jahr gewachsen waren. Mary sah etwas schuldbewusst drein. „Es tut mir leid, dass wir Sie nicht schon früher einmal eingeladen haben, doch es gab so viel zu tun und ich wollte Ihnen nicht..."
Sie unterbrach sich und lächelte Charlotte mitfühlend an. „Schon gut, bitte machen Sie sich keine Sorgen. Ich kann verstehen, dass es für Sie Vieles zu erledigen gab und auch, dass das alles sicher nicht leicht war. Umso mehr freue ich mich, dass Sie mich zur Eröffnung des Bades eingeladen haben, so dass ich Teil daran haben kann, wenn Toms Pläne endlich wahr werden." Tom Parker strahlte bei dem Gedanken daran. Für ihn war dies alles, woran er dachte, doch Mary war feinfühliger. Jedoch vermied sie es daher auch weiter auf ihre anderen Bedenken bezüglich eines Besuches von Charlotte einzugehen. „Wann genau soll die Eröffnung denn stattfinden und wie wird sie ablaufen? Sicher haben Sie sich einiges für die Sommergäste überlegt", erkundigte die junge Frau sich bei Mr. Parker, um die Themengewässer, die seinen Bruder betrafen, ebenfalls zu umschiffen. Wenigstens für eine Weile. Erfreut über Charlottes reges Interesse, richtete sich Tom auf und erläuterte seine Pläne: „Es wird eine Regatta geben. Sie erinnern sich sicher doch noch daran, wie viel Erfolg wir mit unserer letzten hatten?", begann er mit Augen, die wie die eines Kindes am Geburtstag strahlten. „Den Herrschaften sollte schließlich etwas geboten werden und auf diese Weise werden sie den Tag hier verbringen und das fantastische Wasser überall kennenlernen," er machte eine ausladende Geste, „und am Abend wird sich die versammelte feine Londoner Gesellschaft hier bei uns in Sanditon zum Mittsommerball versammeln. Alle werden da sein! Natürlich Lady Denham, ich hoffe auch auf Lord Babington und seine vermögenden Freunde, aber das beste", er hob den Finger um zu unterstreichen wie bedeutend der Gast war, den er nun verkündigen würde, „der Prinzregent! Er höchstselbst wird da sein!" Vor Begeisterung breitete er die Arme aus und blickte mit noch breiterem Strahlen erwartungsvoll in die Gesichter der Damen, die seine Freude einfach teilen mussten.
„So werden wir Sanditons guten Ruf weiter etablieren und ganz festigen", schloss er.
„Lady Susan. Wird sie den Prinzregenten begleiten?" Charlotte erinnerte sich an die liebenswürdige Adlige, die ihr im letzten Jahr zur Seite gestanden hatte und ihr half sich über ihre Gefühle bezüglich zu Sidney Parker klar zu werden. Die Lady hätte sie und ihn gern als Paar gesehen, aber auch wenn sie gegenüber Mrs. Campian keine Schwierigkeiten hatte selbstbewusst aufzutreten und Charlotte zu unterstützten, so war sie dem Schicksaal gegenüber nicht weniger machtlos als alle anderen Menschen.
„Ich hoffe es doch sehr. Je mehr Gäste wir hier empfangen dürfen, umso besser. Spannend bis zum Schluss bleibt jedoch wie immer, ob mein lieber Bruder Sidney uns ebenfalls Gesellschaft leisten wird." Der Name durchzuckte Charlottes Herz, doch sie gab sich große Mühe dies zu übergehen und ehrlich neugierig fragte sie: „Wie war seine Reise in Antigua?" Die Frage, die sie noch mehr interessierte, brachte sie aus Furcht vor der Antwort nicht über sich: „Wann wird er Mrs. Eliza Campian heiraten?"
„Oh, es ist beinahe so lange her, dass wir ihn sahen, wie sie, aber in seinem letzten Brief versprach er, pünktlich zur Eröffnung zu kommen." Charlotte nickte und senkte den Kopf etwas, um ihm nicht direkt in die Augen zu sehen. Vielleicht hätte Tom Parker zu viel darin gesehen, doch er meinte: „Sicher wird er ihnen alles erzählen." Damit versuchte er sie etwas aufzuheitern, denn dass sie ernster wirkte, hatte auch er bemerkt, aber Charlotte schnürte sich bei seinen Worten die Kehle zu. Mary wusste besseren Rat: „Kommen Sie Charlotte. Hätten Sie nicht Lust auf einen Spaziergang an den Klippen? Sicher haben Sie Sehnsucht nach dem Meer." Die junge Frau schenkte ihr ein dankbares Lächeln, froh so auf andere Gedanken zu kommen.


Die salzige Luft und die kühle Frische der Gischt an den Kreidefelsen tat gut und Charlotte genoss es sehr sich wieder frei, verzaubert von der weiten und wilden Schönheit des Meeres zu fühlen. Doch die tiefere Sehnsucht konnte es nicht ganz aus ihrem Herzen bannen, besonders nicht als sie an der Bucht vorbeikamen, in der Charlotte Sidney Parker beim Baden über den Weg gelaufen war. Mary Parker entging nicht, dass ihr Gast nicht so ausgelassen und fröhlich war, wie zu der Zeit, wo sie einander kennengelernt hatten. Im vergangenen Jahr war sie reifer geworden, doch eine Sorge, die in ihrem Herzen zu niesten schien, verstärkte die ihr in manchen Momenten neue Ernsthaftigkeit noch. Die kluge Frau ahnte, um welche Art von Sorgen und Schmerzen es sich handelte und wollte Charlotte daher nicht bedrängen sich ihr anzuvertrauen. Solche Dinge gingen ihrer Ansicht nach nur das eigene Herz etwas an. Dennoch wollte sie Charlotte etwas Gutes tun und hoffte, dass diese die Zeit in Sanditon genießen konnte. „Esther Babington ist übrigens Mutter geworden", sagte sie daher, um von erfreulichen Dingen zu sprechen. „Das ist ja fantastisch!" Charlottes Gesicht war wieder eher dass des jungen fröhlichen Mädchens. „Es ist so schön, dass sie und Lord Babington glücklich miteinander sind." Mary Parker lächelte ebenfalls beim Gedanken an das Paar und nickte.
„Ihr Bruder hingegen steht weiterhin ohne Vermögen dar und setzt alles daran seine Tante dazu zubewegen ihm ihr Erbe doch noch zu vermachen. Lady Denham aber ist entschieden und setzt eher darauf, dass er beim Mittsommerball mit Glück doch noch eine gute Partie machen wird." Die junge Frau schmunzelte. Manche Dinge schienen beim Alten geblieben zu sein. „Haben Sie Ihre blauen Schuhe mitgebracht?", fragte Mrs. Parker, die sich erinnerte wie gut diese Charlotte beim Kauf in Sanditon gefallen hatten. „Ja, ich freue mich sie beim Tanzen mal wieder tragen zu können." Der bevorstehende Ball erfüllte Charlotte mit freudiger Erwartung, aber auch mit Bangen. Sie musste es doch wissen. „Wann werden sie heiraten?" Mary wusste natürlich auf wen sich Charlottes unvermittelte Frage bezog.
„Eine Woche nach dem Ball", gab sie die Antwort und musterte Charlotte vorsichtig von der Seite, „sie haben sich ein Jahr lang nicht gesehen, doch so wollen sie es halten."
Charlotte nickte stumm. Nur schwer gelang es ihr sich nicht von der Beklommenheit in sich beherrschen zu lassen. Mary drückte ihr mitfühlend den Arm und schweigend schritten sie an der Küste entlang, hörten dem stetigen Rauschen der Wellen zu.

In den wenigen Tagen biszu dem große Eröffnungsfest verbrachte Charlotte viel Zeit mit den Kindern derParkers. Sie spielten und gingen an den Strand oder durch die grünen Wiesen amBach entlang. Es waren leichte, fröhliche Stunden und manchmal sehnte Charlottesich nach einem unbeschwerten Kinderherzen, dessen Kummer so leicht mit sachtemPusten zu vertreiben schien. Je näher der Ballabend kam, umso unruhiger wurdesie, doch auch die anderen Menschen in Sanditon, insbesondere Tom Parker warengespannt und die Luft schien förmlich zu knistern. Sonderbar zäh und zugleichrasend vergingen die Tage und als das Warten kaum noch auszuhalten war, kam dergroße Tag endlich mit einem Morgen, der zur allgemeinen Erleichterung gutesWetter versprach. Ein Teil der Anspannung entlud sich in einer freudigen Grundstimmung,vielerlei Lachen und Spaß, den die Regatta und kleine Spiele mit sich brachten.Ein anderer Teil der Spannung hielt jedoch noch an als Erwartung und Aufregungvor dem bevorstehenden Mittsommerball.
Es würde der bisher größte sein den Sanditon je erlebt hatte und die Bewohnerbangten mit Mr. Parker, ob alles gelingen würde. Es ging nicht nur um eineneinfachen Ballabend voll Musik, Tanz, teurer Kleider, Konversation undChampagner. All diese Dingen würden ihren Teil zum Erfolg des Abends beitragen,doch nach dem Ende eines gewöhnlichen Balles wurden viele Einzelheiten wiedervergessen und Fehler verziehen. An diesem Abend aber hing vom Urteil der Gästeab, ob dem Seebad der erhoffte Erfolg beschieden sein würde oder ob es in Bedeutungslosigkeitunterging. Dabei würden vor allem die Gesten und Worte des Prinzregentenentscheidend sein.

Sanditon-Die RückkehrWo Geschichten leben. Entdecke jetzt