Kapitel 4 - Teil 1

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Der Rest des Abends verlief ereignislos. Vienne war damit einverstanden, dass Alissa zu uns dazu kam. Ich glaubte auch, dass wir zu dritt eine gute Zeit haben könnten.

Wir brachten meinen und Alissas Koffer zu uns ins Zimmer und räumten sie ein, nachdem wir Ewa Bescheid gesagt hatten. Es war eine Menge Arbeit gewesen, alles in die drei Schränke zu stopfen. Vienne und ich waren es gewohnt gewesen, uns den dritten Schrank zusätzlich zu teilen, was jetzt ja nicht mehr ging.

Letztendlich hatten wir es dann doch geschafft, und sind danach recht schnell eingeschlafen.
Mitten in der Nacht wachte ich dann plötzlich auf. Ich hatte einen schlimmen Albtraum. Ich träumte von meiner Mutter und meinen Großeltern, wie sie auf Schottland ebenfalls überfallen wurden. Aber sie hatten es nicht geschafft.

Ob meine Geschwister wohl ähnliche Träume hatten?

Levke war bei Minna untergekommen. Sie durfte Jacks altes Bett benutzen, vorher im Abstellraum gelagert worden war.

Ich hatte Angst davor, dass Ma auch in Schottland nicht sicher war. Ich wollte nicht daran denken, was passieren würde, wenn sie starb, und dennoch schlich sich der Gedanke ab und zu in meinen Kopf.

Ich wollte auch gar nicht über Pa nachdenken, den wir in Deutschland zurückgelassen hatten.
Es war schrecklich. Vielleicht sollte ich mir etwas zu trinken holen.

Ja, das war sicherlich die beste Idee. So leise wie möglich stand ich auf, zog mir meine Schuhe an und verließ das Zimmer.

Schloss Venatura war dunkel um diese Zeit. Dunkel und unheimlich. Das Parket knarzte unter meinen Füßen. Unser Zimmer lag im zweiten Stock, am Ende des Flures. Ich hatte nie ein anderes Zimmer gehabt, und schon Erfahrung damit gesammelt hatte, dass man in diesem Zimmer nie besonders laut sein durfte.

Denn es lag direkt neben dem Lehrerzimmer, und gerade das hatte ich jahrelang verfluchen wollen. Aber mit der Zeit gewöhnte man sich daran, und ich hatte mich darauf festgelegt, meine Musik nur noch mit Kopfhörern zu hören.

Doch leider war ich jetzt mehrere Male gegen Kommoden gestoßen. Die Lampen in den Fluren waren flimmerig und nicht besonders hilfreich. Doch ich wollte auch keine Taschenlampe mitnehmen, und dann mit dem Licht jemanden wecken. Es würde bestimmt nicht lange dauern, bis ich mich an die Dunkelheit gewöhnt hatte.

Wahrscheinlich hätte ich meine Lampe aber eh nicht gefunden, bei dem Chaos, das bei uns noch herrschte.

Langsam schlich ich durch die Flure. Ich wollte nur schnell nach unten, in den Aufenthaltsraum. Beim Getränkeautomaten könnte ich mir ein Glas Wasser holen. Oder auch einen Kakao.
Plötzlich vernahm ich Schritte von der Treppe, die vom vierten in den fünften Stock führte.

Wollte sich dort jemand auch etwas zu trinken holen?

Vorsichtig lugte ich um die Ecke. Doch was ich erblickte, war garantiert kein Schüler. Es war drei dunkle Schatten, die ebenfalls versuchten, die Treppe leise zu erklimmen.

Ich konnte nur die schwarzen Silhouetten sehen. Offensichtlich war das ein Zauber, den sie genutzt hatten, um nicht erkannt zu werden. Doch warum hatten sie sich nicht gleich unsichtbar gemacht?

„Sei leise, Jace, du weckst noch alle auf", hörte ich eine Mädchenstimme flüstern. Der Junge, den sie Jace genannt hatte, war einen ganzen Kopf größer als sie.

„Ich versuch's ja", zischte er zurück.

„Amateure", brummte die dritte Person, die sehr nach einem erwachsenen Mann klang.

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