Auszeit

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Wincent hatte weder seiner Mom noch seiner Schwester oder mir fünf Stunden lang nicht geschrieben, obwohl wir ihn gefühlt tausend Mal angerufen und geschrieben haben. Die beiden waren sich doch bewusst, dass ich Wincent was bedeute, denn sie wollten, dass ich mit ihnen warte, bis wir mehr wissen. Sie hielten es für möglich, dass er mir schreiben würde. Irgendwann war aber die Besuchszeit vorbei und zu dritt draußen warten war uns auch nicht Recht. Also nahmen sich die beiden ein Hotelzimmer und ich ging zurück in meine Wohnung.

„Was ein Tag", seufze ich erschöpft und bin mal wieder froh, dass ich eine so schöne Wohnung gefunden habe, in der ich mal abschalten kann, „Danke, liebe Wohnung, dass du immer hier bist." „Ich wusste gar nicht, dass du mit deiner Wohnung sprichst", vernehme ich auf einmal Wincent's Stimme aus dem Wohnzimmer. „Was zum Teufel machst du hier? Ich habe fünf Stunden lang mit deiner Mom in einem Zimmer gewartet und darauf gehofft, dass du dich mal meldest! Wenn's nach den Blicken deiner Schwester ginge stünde ich gar nicht mehr hier!"

„Tut mir leid, ich wollte nur.. du bist nicht mehr gekommen und ich musste dich sehen", murmelt er traurig, doch ich werde erst hellhörig, nehme ihn aber auch schnell in den Arm. „Ich war doch dort, ich durfte nur nicht zu dir." „Wieso durftest du denn nicht zu mir?", wundert er sich und weiß nicht so recht, was ich darauf antworten soll. Seine Familie schlechtzureden kommt sicher nicht gut bei ihm an. Andererseits ist es ein Fakt, dass mein Fernbleiben auf ihrer Aussage basiert. 

„Ich wollte zu dir, gleich am nächsten Morgen. Der Mitarbeiter hätte mich auch zu dir gebracht, aber deine Mom und deine Schwester haben mich gesehen und mich davon abgehalten. Scheinbar durfte ich dich nicht besuchen und laut ihnen wolltest du mich auch gar nicht sehen." „Doch, natürlich wollte ich dich sehen. Deshalb bin ich auch hier. Du hast das doch nicht wirklich geglaubt, oder?" 

„Naja", druckse ich etwas herum, „Sie haben es mir glaubhaft gemacht und.. Ich hätte es verstanden, wenn du mich nicht sehen wolltest, nach allem was passiert war. Die Ärzte haben mir immerhin gesagt, dass du wohl nicht krank bist, sondern eben einsam und überarbeitet." „Dafür kannst du nichts", murmelt Wincent und schüttelt dabei seinen Kopf leicht, doch das überzeugt mich nicht sonderlich. „Du hast ohnehin viel gearbeitet und die Zeit mit mir noch reingequetscht und das damals-" 

„Das damals ist Vergangenheit, okay?", macht mir Wincent ruhig klar, steht auf und kommt zu mir, „Das ist vorbei. Wir machen gemeinsam weiter." „Ich glaube aber, dass du erst einmal eine Auszeit vom Schreiben brauchst, du bist durch den Stress sowieso viel zu verkrampft was das angeht", kommentiere ich die Situation langsam, „Ich würde sagen du brauchst Urlaub. Deine Fans werden das verstehen. Es geht immerhin um deine Gesundheit." 

Wincent nickt erst nur langsam, weil er weiß, dass ich Recht habe, aber es ist trotzdem ein schwieriger Schritt als Musiker, von seiner Arbeit wegzukommen. Man hat immer das Gefühl, man würde jemanden enttäuschen. „Hilfst du mir dabei?", fragt er mich aber dennoch hoffnungsvoll, „Fährst du mit mir weg und informierst mit mir gemeinsam meine Fans was los war und ist? Und vor allem, hilfst du mir dabei wieder zu mir zu finden?" „Natürlich Wince", lächle ich leicht, „Den Post für deine Fans übernimmst du alleine, aber in der Zwischenzeit buche ich uns ein Chalet in den Bergen und packe unsere Taschen."


„Mach dir nicht so viele Gedanken", versuche ich Wincent zu beruhigen, als wir an München vorbeigefahren sind und nur noch eine Stunde haben, bis wir an unserem Chalet in Kitzbühel ankommen. Zwischenzeitlich hat er so nachdenklich aus dem Fenster geblickt und sich vermutlich den Kopf darüber zerbrochen, was die Fans wohl denken. Zum Glück fahr ich. Aber auch ich bin froh, wenn wir die Strecke endlich hinter uns haben. 

„Ich hab den Post gerade hochgeladen. Was mach ich nur, wenn sie enttäuscht sind?" „Ich sag dir mal was ganz Neues", schmunzle ich, „Sie werden immer enttäuscht sein. Du wirst nicht jeden zufrieden stellen können. Wie oft gab es Momente, in denen Fans ein Bild mit dir wollten, es aber nicht alle geschafft haben, weil du weiter musstest?" „Oft", bedauert Wicnent und weiß sofort was ich ihm sagen möchte. 

„Es wird Fans geben, die denken, dass es der größte Fehler ist, dass wir wieder zusammen sind und es gibt solche, die sich ehrlich für uns freuen. Schau die Woche am besten nicht mehr nach. Und dann machst du dir mal keinen Stress wegen des Albums. Mach's in Ruhe und dann wird's auch besser als wenn du dich dazu zwingst", klugscheißere ich in dem Wissen, dass ich selbst kaum eine Pause machen kann und ignoriere sein Lachen deshalb gekonnt. „Tu jetzt nicht so unschuldig", grinst Wincent und umschließt meine Hand mit seiner. Zum Glück geht das bei einem Automatik-Getriebe ganz gut.


Die Zeit in Österreich nutzen Wincent und ich sehr gut. Durch das Chalet konnten wir uns ganz einfach zurückziehen und für uns sein, wenn wir das wollten, aber wenn wir den Kontakt zu anderen Menschen suchen, können wir einfach in ein Restaurant oder in eine Bar gehen. Das hat uns bisher aber nicht gereizt. Wir sind meistens früh aufgestanden und laufen gegangen oder haben anderen Sport gemacht. Dann haben wir meistens zusammen gekocht und am Nachmittag waren wir in der Stadt spazieren oder sind in ein Café gegangen.

„Der Bikini steht dir", macht mir Wincent ein Kompliment, als er ins Schlafzimmer kommt, während ich mir einen blauen Bikini anziehe. Wundert mich nicht, dass er einfach reinkommt, ich hab ihn auch lang genug warten lassen. Aber es ist eben auch schwer, wenn man so gut wie möglich aussehen will. Manchmal frage ich mich wirklich wie er überhaupt mit mir und meiner Art klar kommt. Das versuche ich dann immerhin optisch auszugleichen, so blöd es auch klingt. 

„Danke, Liebling", flüstere ich dankbar, als er zu mir kommt und seine Arme von hinten um mich legt und uns im Spiegel betrachtet. „Danke, dass du mir dabei hilfst, abzuschalten", erwidert er ebenso emotional und gibt mir einen Kuss auf die Wange, bevor er mich mit nach draußen zum Whirlpool auf dem Balkon zieht. Genau so hatte ich mir meinen Urlaub vorgestellt. Wincent und ich, ganz in Ruhe.

GRENZENLOS II WINCENT WEISSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt