Eutin

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„Hast du eigentlich eine Ahnung wie besorgt wir waren?", höre ich Wincent's Mama schon besorgt rufen und verdrehe meine Augen, „Zum Glück bist du endlich hier." Grundsätzlich mag ich seine Mama, wir haben uns immer gut verstanden, aber seit ich weggezogen bin, ist sie überfürsorglich bei allem was ihn betrifft und man kann schon fast sagen, dass sie mich hasst. Jedenfalls hat Lu seine Mom und seine Schwester mal zufällig in der Stadt gesehen und sie kurz gegrüßt. Ihr gegenüber waren sie zwar nett, aber sobald Lu meinen Namen erwähnt hat, haben sie sich abfällig über mich geäußert. Aber gut, das überrascht mich auch nicht mehr. 

„Wo warst du denn?", fragt Shayenne ihn ungeduldig, „Hast du ein neues Auto?" „Das ist die andere Sache, die ich euch erzählen wollte..", beginnt Wincent nervös und zeigt auf mich, als ich vor dem Auto hervortrete und mittlerweile gut zu sehen bin für die beiden. „Nein, Wincent, nicht sie", unterbricht ihn seine Mom schnell und ich muss mich leider zusammenreißen, dass ich meine Augen nicht vor ihr verdrehe. „Du bist so dämlich, echt", meint Shay in einem Mix aus Frust und Lachen, „Und ich dachte gerade echt, dass du dir noch eher ein protziges Auto kaufst als wieder zu ihr zu gehen." 

Sie wird's wohl selbst kaum glauben können, dass ich hier bin. „Lasst mich doch erstmal erzählen." Wincent lässt sich nicht weiter davon ablenken und legt seinen Arm um mich, sobald ich vor ihnen stehe. Als ich seiner Mom meine Hand reichen will, sieht sie mich nur boshaft an, sodass ich sie zurück nehme und mir stattdessen vor lauter Nervosität auf den Lippen herum beiße. Es ist ja nicht so, als wäre ihre Abneigung mir gegenüber unbegründet. 

„Wenn du sagst, dass du aus der Klinik abgehauen bist, ohne uns was zu sagen, damit du bei ihr sein kannst, dann will ich es gar nicht hören." „Nein, so ist es nicht, Mama, nicht ganz. Ich bin abgehauen, weil ich es dort vor lauter Einsamkeit nicht ertragen habe. Das war doch die ganze Zeit über mein Problem. Ich brauchte eine Auszeit und das mit der Person, die mir dabei am besten helfen kann." „Das wären dann ja wohl wir und nicht sie", zischt Shay beleidigt und ich schlucke hart. 

Ich wüsste selbst nicht einmal wie ich in so einer Situation handeln würde. „Ihr habt es Katy verboten, mich zu besuchen, obwohl ich nach ihr gefragt habe und sie bei mir haben wollte. Ihr wusstet, dass mir das nicht hilft, wenn ihr meint, mich beschützen zu müssen." „Na alleine schaffst du es anscheinend auch nicht." „Mama, bitte. Ich bin alt genug, Entscheidungen zu treffen. Lass uns das bitte nicht mehr diskutieren. Katy hatte sogar den Vorschlag, dass ich herkomme also seid mal ein wenig kompromissbereit. Früher mochtet ihr euch auch alle. Es ist wie es ist. Also können wir jetzt hier bleiben, damit ich euch auch mal wieder sehe?" 

Wincent hat das echt drauf, diese versöhnliche Art. Egal wie enttäuscht oder wütend er ist, richtig schreien oder jemanden beleidigen kann er nicht. Da wäre ich sonst viel zu gut darin, wenn er mich nicht beruhigen würde mit seiner Anwesenheit. „Du bist natürlich immer willkommen", lächelt seine Mom uns nun falsch entgegen, weil sie mich wie so oft absichtlich ignoriert. Aber gut, ich hatte schon mit schlimmeren Leuten zu tun. 

Diese Nuss knack ich auch noch. Sagt man das überhaupt so? Jedenfalls, Herausforderung angenommen. „Schön, wenn wir hier willkommen sind. Dann holen wir mal unsere Sachen", nickt Wincent lächelnd und zugleich etwas triumphierend, weil er dieses Gespräch endlich hinter sich gebracht hat und mich in seiner Antwort eingeschlossen hat, um seiner Mom klarzumachen, dass er hinter mir steht. 

Ich sage erst mal lieber nichts weiter, sondern gehe mit ihm zurück zum Auto um unsere Taschen zu holen, auch wenn mich das mulmige Gefühl nicht loslässt. „Ich würde ja gerne sagen, dass du nicht hier bleiben brauchst aber ich will echt ungern ohne dich hier sein." „Nein, schon gut, ehrlich. Sie haben ja Recht und-" „Nein, haben sie nicht also rede dich bitte nicht selbst wieder schlecht, okay?", unterbricht mich Wincent erst harsch, wird aber wieder sanfter, „Gib ihnen Zeit. Morgen oder in ein paar Tagen wird es wieder wie früher. Die beiden mochten dich von Anfang an dann wird sich daran jetzt auch nichts ändern." „Sie haben mich davon abhalten wollen, dich zu besuchen", erinnere ich ihn trocken. 

„Sie wussten nicht, dass wir uns wieder annähern", rechtfertigt Wincent es jedoch und irgendwie muss ich ihm auch Recht geben. „Na gut", nicke ich, „Irgendwann müssten wir uns wohl sowieso begegnen." „Genau das wollte ich hören. Die Vorfreude verpackt in grummeliger Laune, so wie ich dich kenne", zieht mich Wincent auf was ich nur damit kommentiere, dass ich meine Augen verdrehe. Die Bezeichnung grummelig werde ich wohl nie los. Kann ich auch nichts dafür, dass es so viele nervige Menschen gibt. Damit meine ich keinen speziell, aber wenn man jeden Tag fast nur am Arbeiten ist und kaum Zeit hat, merkt man wie nervig es ist, wenn einem unproduktive Menschen über den Weg laufen und einen runterziehen. Oder wenn die Mutter des Freundes einen nicht leiden kann, das nervt auch. 


„Luft auf einen Film?", fragt mich Wincent dann, als wir mit unseren Taschen in den Händen ins Haus laufen. „Welchen?", hake ich sicherheitshalber nach, weil wir oft unterschiedliche Filme sehen wollen und ich auf die Antwort gespannt bin. „Von mir aus sogar Transformers, auch wenn wir den sicher schon fünf Mal gesehen haben", gibt Wincent nach, ohne dass ich was machen muss und ich grinse triumphierend. Keine Ahnung warum, aber die Transformers-Reihe sind meine Lieblingsfilme. Shayenne mag die auch super gern und wir haben Wincent immer überredet, dass er sie mit uns ansieht, obwohl er nie Lust darauf hatte. 

„Dann könntest du Shay ja fragen, ob sie dabei sein will", grinst nun Wincent unschuldig, als wir sein Zimmer betreten und er die Tür schließt, und ich stöhne auf. Dann schaue ich lieber gar keinen Film.. „Such du einen Film aus", gebe ich nach, doch er wollte gar nicht darauf hinaus. „Ich mein's ernst. Das wär ein guter erster Schritt und verbindet euch sicher wieder." „Kannst du sie nicht fragen? Sie ist deine Schwester." „Mag sein, aber mich mag sie auch noch", streut er weiter Salz in die Wunde, sodass ich ihm dafür einen Schlag gegen den Oberarm verpasse. „Katy", meint Wincent nun liebevoll und legt seine Arme um meine Schultern, „Bitte?" 

„Du hast Glück, dass ich dich liebe", erwidere ich schneller als gedacht und er sieht mich überrascht an. Ich rede selten über meine Gefühle. Dementsprechend hätte er wohl damit nicht gerechnet. Jetzt muss ich wieder so tun als wäre es keine große Sache sonst wirke ich emotional. Ja, wirken, denn emotional und ich passt nicht in einen Satz. Zumindest hätte ich das gerne so. „Tu nicht so überrascht, ist ja nicht das erste Mal, dass du das von mir zu hören bekommst." „Dann gib du dich jetzt nicht so lässig", kommt mir Wincent auf die Schliche also verdrehe ich meine Augen und gehe in Richtung der Tür. „Ich schlag mich mal lieber mit deiner Schwester herum."


„Shayenne?", frage ich parallel zum Klopfen, „Kann ich reinkommen?" „Nein." „Wincent schickt mich." „Kann er nicht selbst mit mir reden?", zischt sie wieder zurück. Mir wäre es doch auch lieber, wenn er hier stünde.. „Du weißt doch auch, was er da plant und, dass wir uns versöhnen sollen. Kann ich also bitte kurz reinkommen? Keine Sorge, ich quatsch dich nicht zu." Ich höre Schritte auf der anderen Seite der Tür und schon steht sie vor mir und sieht mich genervt an. 

„Danke." Ich kann nicht anders und sehe mich kurz in ihrem Zimmer um. Es ist immerhin zwei Jahre her, dass ich hier mal mit saß und wir über Geschichten aus ihrem und meinem Leben gelacht haben. „Was willst du denn jetzt?" Das ging schnell, dass sie ungeduldig wird. „Wir wollten einen Film schauen, Transformers. Magst du ihn mit uns ansehen?", frage ich schließlich vorsichtig und merke, dass es mir doch viel bedeuten würde, „Wie früher?" 

GRENZENLOS II WINCENT WEISSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt