6. Kapitel

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Horatio kommt zurück

        Der Anblick des Klosters auf dem vor ihm liegenden Berg ließ Horatios Herz höher schlagen. Seine Reise hatte länger gedauert, so dass er sich auf die Zurückgezogenheit innerhalb der Klostermauern freute. Der Anstieg des Gipfels forderte seine endgültigen Kraftreserven. Die frohe Kunde vom Lehnsherren im Gepäck, ließ ihn das letzte Stück seiner Reise bewältigen. Von weitem sah er Jacobin, wie er das Nordtor öffnete und ihn freudig entgegen winkte.
„Gott segne euch, ihr seid wohlbehalten zurück“, rief dieser schon von Weitem.
„Gott segne dich ebenfalls Bruder Jacobin. Ich bin froh euch zu sehen“, antwortete Horatio und übergab dem Pförtner die Zügel des Esels.
„Versorgt ihn gut, er hat eine anstrengende Reise hinter sich“, fügte Horatio hinzu und schlug den Pfad zur Kapelle ein. Auf dem Weg dorthin hörte er schon die Stimmen der Mönche, die leise beteten, und öffnete die Tür. Durch das Ächzen der Scharniere aufmerksam geworden, unterbrachen die Männer ihr Gebet und musterten Horatio, der im Rahmen stand. Der Einfall des Lichtes von draußen warf seinen Schatten vor ihm auf den Boden. Alle Blicke auf sich gerichtet fiel er auf die Knie und bekreuzigte sich.
Hermanius sah erleichtert von der Kanzel herunter, während Horatio sich aufrichtete und den Gang zwischen den Bänken zum Altar schritt.
„Bruder Horatio, ich freue mich, euch wieder in unseren Reihen begrüßen zu können“, schallte die Stimme des Abtes durch das Gotteshaus. Mit einer ausladenden Geste forderte er ihn auf, sich zu seiner Bank zu begeben und der begonnenen Messe beizuwohnen. Dabei gewahrte er die wachsamen Augen des Mannes auf sich gerichtet. Er kniete sich langsam nieder und faltete die Hände zum Gebet.

Ein kurzer verstohlener Blick unter seiner Armbeuge nach hinten zu Manfried, der am äußeren Rand der letzten Bank kniete und ihn anlächelte, bestätigte ihm, die Freude des Jungen über seine Anwesenheit. Albero der neben Manfried der Messe beiwohnte, verpasste ihm gerade einen Seitenhieb mit dem Ellenbogen, als die Stimme von Hermanius seine Aufmerksamkeit auf die Psalmen lenkte.

Die Stille im Abtszimmer wirkte angespannt. Hermanius saß an seinem Schreibtisch und las die Dokumente, welche Horatio mitgebracht hatte. Der Burgkaplan hatte alle wichtigen Schenkungen aufgelistet, welche das Kloster bereicherte. Die Bibel als Gegenleistung hatte den Mönchen ein weiteres Stück Land beschert, welches sie im kommenden Frühjahr bewirtschaften konnten.
„Die Ländereien liegen so günstig, dass wir sie mit den zusätzlichen Bauern zu einer erfolgreichen Ernte bewirtschaften können.“
„Der Kaplan sagte, dass die Männer im letzten Winter alle abgezogen wurden, um das Heer seines Lehnsherren zu verstärken. Wie es scheint, wussten sie genau, welches Stück Land sie uns übertragen. Wir sollten uns um die Ansiedlung neuer Siedler kümmern. Wenn wir ihnen die Aussicht auf geringere Steuern und Abgaben anlocken, sollte es möglich sein, ein Teil der Bauern zu ersetzen“, philosophierte Horatio laut.
„Hm... Ja ich werde ein Bittschreiben an unseren Bischoff senden und ihn um diese Angelegenheit befragen“, antwortete Hermanius.
Horatio stand auf und wollte sich verabschieden, als die Worte des Abtes ihn aufhielten.
„Deine Sympathie für den Jungen Manfried ist für dich ungewöhnlich“, sprach der Abt und schaute ihn herausfordernd an.
„Ich habe deine heimlichen Blicke in der Abtei gesehen und frage mich, was du an diesem Sonderling findest.“
„Seine Intelligenz ist etwas besonderes, die unserer Gemeinschaft hilfreich sein kann“, erklärte sich Horatio und wendete sich seinem Vorsteher zu. Den Blick des Abtes auf sich gerichtet blieb er stehen und suchte in dem Gesicht des Mannes nach einer Regung. Ein kurzes Aufblitzen in den Pupillen von Hermanius bekräftigte seine Vermutung. Der Abt sah in Manfried eine Bedrohung für das Konvent und den Erfolg der Christianisierung für die umliegenden Siedlungen.
Horatio holte Luft, um sich dem Abt weiter zu erklären, als vom Hof her Geschrei von einer aufgebrachten Männerstimme in seine Ohren drangen. Zeitgleich rannten beide Mönche zum Fenster, um die Ursache der Aufregungen zu erkunden. Ein Mann stand mit einer Frau auf dem Hof und verlangte von Jacobin Hilfe. Hermanius war der Erste, der sich auf dem Weg zum Hof in Bewegung setzte und Horatio folgte ihm dicht.

Der Wechselbalg im MönchsgewandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt