Hinter den Klostermauern
Von einem Hochgefühl erfasst, betrat Manfried den Hof. Seine Augen erkundeten das Gelände von der Innenseite der Mauern. Der Boden war mit großen Steinen gepflastert und zeigten den Weg zu den Gebäuden. Das riesige Gebäude gegenüber des Einganges zog sich quer über den Berg. Die Fenster lagen hoch oben und wurden von innen erhellt. Manfried legte seinen Kopf in den Nacken und bestaunte die Kapelle. Sie gab ihm das Gefühl klein und unbedeutend zu sein. Links sah er eine Grünfläche die in sich unterteilt gestaltet war, aber der Mönch führte ihn nach rechts zu einem kleinen Haus, welches Nähe der Mauer stand und deren Tür geöffnet war. Das Kerzenlicht von innen strahlte bis auf den Weg. Manfried folgte dem Mann in den Raum. Vor einem Tisch blieb er stehen. Auf ihm lagen ein paar Sachen. "Zieh dich aus und lege deine Kleidung auf dem Boden ab. Dann wasch dich über der Schüssel, die hinter der Tür steht und tritt zu mir", befahl der Mönch.
Manfried tat, was von ihm verlangt wurde und zog sich aus. Ein Keuchen, kaum wahrnehmbar durchdrang die Stille. Im hinteren Bereich lag der Raum im Dunkeln. Dort war noch jemand in diesem Zimmer, der jetzt einen laut von sich gab. Manfried starrte in das Dunkel, während er sich seiner Hose entledigte. Dann war es vollbracht und er stellte sich nackt vor den Tisch.
"Bruder Horathio, ihr stellt uns auf eine harte Probe, mit diesem Knaben", erklang ein Flüstern aus der Ecke.
"Ich weiß Vater, aber er war der einzige der den Psalm korrekt wieder gegeben hat und das auch auf Latein!"
Der Schatten erhob sich und trat in den Lichtkegel der Kerze die auf dem Tisch stand. Manfried beobachtete, wie der Mönch sich ihm näherte. Die kalte Luft auf seiner Haut löste einen Schauer aus. Sein Körper fing an zu zittern. Er stand im Zentrum des Interesses der Männer, ein völlig neues Gefühl.
"Auf Latein...", sinnierte der Abt und umrundet Manfried. Hinter ihm blieb er stehen und betrachtete das Feuermal, welches sich von seinem Gesicht über den Hals bis zum Nacken zog. Es sah aus wie eine riesiger Handabdruck.
" woher kommst du und wie gelang es dir Latein zu sprechen?", hörte Manfried die Stimme hinter sich.
"Herr ich habe nur die Worte wiederholt. Ich weiß nichts über Latein. Ich bin auf der Suche nach Gott und hoffe ihn hier zu sehen. Ein Wandermönch sagte mir, dass er alle Geschöpfe liebt", sprudelte es aus ihm heraus. Die erhobene Hand von Bruder Horathio ließ Manfried schweigen. Er kniete nieder und faltete seine Hände zum Gebet.
"Wiederhole den Psalm. Ich möchte Latein aus deinem Munde hören."
Manfried unterdrückte sein zittern und betete laut die fremdartigen laute. Er traute sich nicht den Blick zu heben und harrte auf dem kalten Steinboden, bis er eine Anweisung erhielt.
"Steh auf und zieh diese Sachen an. Du bist ab sofort mein Lehrling und folgst mir, egal wohin. Morgen werde ich dich mit anderen Psalmen testen."
Die erste Nacht kam Manfried nicht zur Ruhe. Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Sein Glück endlich aufgenommen zu sein uberschattete die Aussage des Mönches. Was für eine harte Probe stellte seine Anwesenheit dar? Der heilige Vater liebte alle Geschöpfe und so sah er sich. Seine Anwesenheit hing an einem dünnen Faden und konnte jederzeit reißen. Er hatte so viel Hoffnung in die Aufnahme investiert, dass erst jetzt die Frage auftauchte, was danach auf ihn zukommen könnte.
Die Klosterglocke läutete mitten in der Nacht. Alle sprangen von ihrem Lager auf und sammelten sich an der Tür. Manfried reihte sich als letzter ein und folgte der Gruppe.
Der erste Schritt in die Kirche nahm ihm den Atem. Ein langer Gang in der Mitte war von Bänken rechts und links gesäumt. Vorn befand sich ein riesiger Tisch auf dem mehrere Kerzen standen, die die Kapelle in ein warmes Licht tauchte. Hoch oben über dem Altar hing ein Kreuz andem ein Mann angenagelt war. Auf seinem Kopf hing ein Kranz von dem Blut über das Gesicht des Mannes lief. Manfried hatte so etwas noch nie gesehen und starrte auf das Kreuz. Die Fenster hatten teilweise bunte Scheiben, die ebenfalls Bilder ergaben.
Als er sich den anderen nachahmend auf die Bank kniete, erklang die Stimme eines Mannes. Tief und Sonor sang er einen Text, der sich so anhörte wie das Latein, welches er einmal gesprochen hatte. Die Atmosphäre versetzte Manfried in einen Rausch. Beflügelt von den Worten in diesem Raum fühlte er sich zum ersten Mal in seinem Leben angenommen. Die monoten Laute waren Balsam für seine zerrissene Seele. Er fühlte sich seinem Ziel näher denn je, den heiligen Vater zu finden und zu lieben.
Von seinen eigenen Gefühlen überwältigt nahm er nur am Rande wahr, dass das Gebet zu Ende war. Widerwillig erhob er sich und verließ diesen wunderbaren Ort. Die Kirche hatte ihn in sein Bann gezogen und er freute sich innerlich auf das nächste Mal.
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Der Wechselbalg im Mönchsgewand
Ficción históricaManfried, der als Krüppel zur Welt gekommen ist, wird von den Menschen gemieden. Der Aberglaube des einfachen Volkes sieht in ihm das böse, vom Teufel gezeichnete Wesen, das in ihrer Welt keine Berechtigung auf ein Dasein hat. Um zu überleben, such...