10. Kapitel

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Das wahre Gesicht

Nass und verwirrt hatte sich Manfried in den Laientrakt geschlichen und auf sein Lager fallen gelassen. Das Stroh unter ihm knisterte, als er sich auf den Bauch umdrehte. Sein Schlafplatz im hinteren Teil der Kammer half ihm, sich vor dem Rest der Welt zu verstecken. Niemand suchte nach ihm, nur Horatio kannte seinen Aufenthaltsort, da dieser ihn hierher geschickt hatte. Der Einfall eines Lichtstrahls an der Wand über seinem Lager signalisierte ihm, dass jemand den Raum betrat. Alarmiert stellte sich Manfried schlafend.

„Manfried, da bist du ja", flüsterte Albero leise an sein Ohr. „Ich habe mir sorgen gemacht. Was war heute los mit ..."

„Nichts", würgte er den Redefluss von seinem Freund ab.

„Das glaube ich dir nicht. So wie heute habe ich dich noch nie erlebt. Hat es was mit der Familie zu tun, die heute hier angekommen ist?" Albero setzte sich auf Manfrieds Lager und zerrte an seinem Umhang.

„Komm schon. Ich will dir doch nur helfen", versuchte dieser seinen Freund zu motivieren.

„Du hast recht. Es sind meine Eltern, die heute ins Kloster gekommen sind", flüsterte er und vergrub sein Gesicht tiefer in das Strohlager.

Albero schwieg. Seine Hände strichen über Manfrieds Rücken. Dankbar richtete dieser sich auf und fiel seinem Freund in die Arme.

„Ich habe Angst... wenn mich der Abt wieder wegschickt. Ich will nicht mit..."

„Ich bin dein Freund. Egal was passiert. Wenn sie dich rausschmeißen gehe ich mit dir. Versprochen", tröstete ihn Albero. Die Aussicht, dass dieser sein Leid mit ihm teilen wollte, ließen die letzten Tränen versiegen und gab ihm Zuversicht.

Die Tür öffnete sich erneut und eine hohe Gestalt versperrte den Blick nach draußen. Ein kalter Luftstrom erreichte das hintere Ende des Lagers und eine dunkle Vorahnung breitete sich aus.

„Wo bist du, du Ausgeburt der Hölle", zischte sein Vater in die Dunkelheit hinein.

Manfried versteifte sich augenblicklich und krallte sich an Alberos Umhang fest.

„Dieses mal entkommst du mir nicht", prophezeite er. Mit langen Schritten erreichte er das hinter Ende des Traktes und stürzte sich auf Manfried. Dieser fing sofort an sich zu wehren. Er zappelte wild mit seinen Armen und Beinen und versuchte, der Situation zu entfliehen. Zu schmächtig für den ausgewachsenen Mann, schleifte sein Körper über den Boden hinaus ins Freie. Der Himmel war wolkenbehangen und gab dem Schauspiel nur ein schemenhaftes Licht. Es war später Nachmittag und alle Mönche verweilten in der Kapelle zum Stundengebet.

Hartmut stand breitbeinig über Manfried und löste seinen Gürtel von dem Umhang. Seine langen Haare hingen verfilzt in seinem Gesicht und unterstrichen sein wütendes Angesicht. Die Erinnerungen von den Züchtigungen aus der Vergangenheit lähmten jeden Gedanken in Manfried zu fliehen. Sein Körper versagte ihm den Dienst und mündete in einem unkontrollierbaren Zittern vor der unabwendbaren Prügel.

Das Zischen, als das Seil die Luft durchschnitt, endete in einem Knall auf Manfrieds Rumpf. Der Schmerz betäubte seine Sinne. Unter Aufbietung aller Kräfte versuchte er dem Ende des Strickes zu entkommen und kroch auf dem felsigen Boden. Ein erneutes Pfeifen mündete auf seinem Rücken. Ein Schrei bahnte sich seinen Weg ins Freie und schallte über den Hof.

„Du bist schuld, dass wir ohne Obdach, wie Bettler leben müssen. Es war ein Fehler dich am Leben gelassen zu haben. Du bist der Leibhaftige, der uns strafen will", immer wieder landete der Strick auf Manfried, der wie ein Baby zusammengerollt auf dem Boden schluchzte.

„Aufhören. Bitte...", versuchte Manfried seinen Vater von seinen Machenschaften abzubringen.

Die Wolken öffneten sich und Manried sah seinem Peiniger bettelnd in die dunklen Augen. Dieser hob erneut den rechten Arm, um ihm das Leben aus dem Leib zu prügeln. Eingeschüchtert schob er seine Hände vor seinen Körper, um den Schlag abzufangen. Doch dieser blieb aus. Statt dessen schaute Manfried in weit aufgerissene ungläubige Augen.

Vorsichtig schweifte sein Blick in die Umgebung. Eine kurze Bewegung hinter seinem Peiniger hatte den Angriff verhindert. Horatio stand rückseitig von seinem Vater und umklammerte das Ende des Seiles fest in seiner Pranke. Ein rasches Tauziehen um den Gürtel mündete in der Entwaffnung von Hartmut. Der Henkerstrick baumelte in Horatios Hand, der ihn wütend hinter sich auf den Boden schleuderte. Sein eisiger Gesichtsausdruck fixierte den Mann, der sich erdreistet hatte, innerhalb der Klostermauern gewalttätig gegen einen seiner Zöglinge zu agieren. Benommen beobachtete Manfried das Geschehen.

Sein Vater erholte sich schnell von der Bestürzung und verlagerte seine Aufmerksamkeit auf den Mönch. Wie ein Wolf der seine Beute erspäht, begutachtete Hartmut sein neues Ziel.

Horatio warf seinen Umhang auf den Boden und trat einen Schritt nach vorn näher zu dem Unruhestifter. Der Angriff von seinem Vater traf ins Leere. Ein gotteslästerlicher Fluch unterbrach durch die angespannte Stille. Die Empörung in Hartmuts Gesicht bestätigte Horatio die Unfähigkeit, sich mit Erwachsenen zu prügeln. Ein gezielter Faustschlag auf die Schläfe reichte und Horatio streckte den Mann zu Boden. Der Aufprall des massigen Körpers beendete die Prügel.

Betretendes Schweigen. Die Mönche waren inzwischen alle aus der Kapelle auf den Hof geströmt und starrten ihrem Ordensbruder entgeistert an.

„Wer bist Du", unterbrach die Stimme von Hermanius die Totenstille. Die Mönche verfolgten dicht gedrängt die Szene. Bruder Horatio hob seinen Umhang auf und stellte sich vor seinen Abt. Um einen Kopf größer als sein Frater schaute er auf diesen herunter.

„Ich bin ein Mönch dieses Klosters", entgegnete Horatio leise.

Hermanius schob sein Kinn nach oben, sodass sich ihre Nasenspitzen fast berührten.

„Wer bist du?", wiederholte Hermanius seine Frage.

Der Wechselbalg im MönchsgewandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt