Kurze Zeit später im Küchentrakt
„Wo warst du so lange“, schimpfte Bruder Willibord, als Manfried die Tür zur Küche öffnete. Der Koch rührte gerade den Haferbrei über der Feuerstelle für die Neuankömmlinge und gab sich Mühe, dass dieser nicht am Boden des Kessels anbrannte. Die plötzliche Hitze nahm ihm den Atem und er stolperte in den Raum. Er hielt sich an der Tischkante fest und schnappte verzweifelt nach Luft. Die Wände rückten immer näher und in seinem Kopf drehte sich alles. Manfried schloss die Augen und verharrte, bis seine Umgebung zur Ruhe kam. Nachdem er seine Lider wieder geöffnet hatte, sah er ein Brett mit zwei Holzschüsseln auf dem Tisch, die nur darauf warteten, verspeist zu werden.
„Was ist los Junge?“ Die Stimme vom Koch klang betroffen.
„N...nichts.“
„Bist du dir sicher?“
„Ja Bruder Willibord. Es ist nur die Hitze hier im Raum, die mir zu schaffen macht“, antwortete Manfried.
„Gut. Dann nimm das Brett und pass auf, dass du die Schalen nicht verschüttest“, sagte Bruder Willibord und widmete sich wieder dem Kessel.
Außer Atem erreichte Manfried zum dritten Mal den Eingang zum Hospiz. Seine Mutter lag auf dem Rücken. Die Haare hingen wild durcheinander über ihrem Gesicht und verdeckten ihre Züge. Unschlüssig blieb er mit dem Brett im Türrahmen stehen und wartete. Von hier aus beobachtete er verstohlen seine Mutter, die mit geöffneten Augen Bruder Floribert zuhörte. Dieser versuchte, ihr zu erklären, dass er nicht wüsste, welches Leiden sie heimgesucht hätte.
Enttäuscht wanderte ihr Blick zur Tür und als sie ihren Sohn erkannte löste sich ein Schrei aus der Tiefe ihres ausgezehrten Körpers, das Floribert erschrocken von ihrem Lager zurückwich. Schnell gewahrte dieser den Auslöser ihrer Reaktion und bemühte sich, das Weib zu beruhigen.
„Keine Angst gute Frau. Das ist Manfried. Ein braver Junge, der bei uns im Kloster lebt. Wir haben uns schon an sein Aussehen gewöhnt“, versuchte er ihren Schock zu mildern.
„Manfried komm her und gib ihr die Schale“, forderte Floribert ihn auf. Ebenso bewegungslos vor Schreck, blieb er in der Tür stehen. Sein Blick starr auf seine Mutter gerichtet stand Manfried wie angewurzelt im Türrahmen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Horatio aus dem hinteren Teil des Raumes auf ihn zukam. Ein strafender Blick in dem Gesicht, des sonst so freundlichen Mannes erinnerte daran, dass niemand den Grund für seine Bestürzung kannte.
„Darf ich... jetzt ...gehen?“ Flehend hielt er den Blickkontakt zu seinem Gönner aufrecht.
„Ich brauche dich nicht mehr. Geh“, antwortete statt seiner der Krankenpfleger.
In Manfrieds Kopf explodierte der Funke. Die Erinnerungen an die Schläge von seinem Vater verankerten sich in seiner Magengrube. Sein Herz verkrampfte sich zu einer Faust und zerrte zusammen mit dem Felsbrocken im Bauch an seiner Selbstbeherrschung. Sein Dämon gewann die Oberhand.
Er rannte, so schnell es seine Füße zuließen von dem Ort der Heimsuchung weg. In der Kirche, so glaubte er, könne er für sein Seelenheil beten. Aber als er das offene Tor der Nordpforte sah, lenkten ihn seine Beine aus der Abtei hinaus.
Jacobin rief ihm erstaunt nach, doch seine Füße trugen ihn kontinuierlich weiter. Nur weg von dem Kloster, welches sein neues Heim gewesen war, hämmerte es in seinem Kopf. Er stolperte über Wurzeln und Steine den Berg hinab. Seine Lungen stachen und sein Herz war kurz davor aus seiner Brust zu springen. Im Tal angekommen steuerte geradewegs auf den Fluss zu. Immer weiter trugen ihn seine Füße in das Wasser, bis er keinen Boden mehr unter diesen spürte. Er wollte nur noch seinem Leben ein Ende zu setzen. Eine dunkle Schwärze bildete sich vor seinen inneren Augen und Manfried war bereit, sein irdisches Dasein aufzugeben. Seine Lungen brannten und schrien nach frischer Luft. Die letzten Blasen wanderten an die Wasseroberfläche und die vom Wasser vollgesaugten Gewänder zogen ihn in die Tiefe des Vergessens. Ein endgültiges Gebet formte sich in seinen Gedanken, als eine kräftige Hand seinen Kragen packte und in diesem Augenblick an Land zog.
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Der Wechselbalg im Mönchsgewand
Historical FictionManfried, der als Krüppel zur Welt gekommen ist, wird von den Menschen gemieden. Der Aberglaube des einfachen Volkes sieht in ihm das böse, vom Teufel gezeichnete Wesen, das in ihrer Welt keine Berechtigung auf ein Dasein hat. Um zu überleben, such...