9. Kapitel

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Horatio kämpft für Manfried

„Was ist los mit dir?“, donnerte Horatio aufgewühlt. Er war Manfried gefolgt, als er den verzweifelten Blick sah. Mit Bestürzung beobachtete er, wie der Knabe aus dem Kloster den Berg hinab strauchelte und sich bäuchlings in den Fluss stürzte. Ohne sich umzuschauen, stürmte er ihm nach. Gerade noch rechtzeitig konnte er verhindern, dass die Fluten den Jungen mitrissen.
Fest umklammert hievte er Manfried ans Ufer. Sein Umhang klebte vollgesogen an seinen Beinen und er schmiss ihn energisch von sich. Dabei schüttelte er Manfried, bis dieser anfing zu husten und das Wasser aus seinen Lungen spukte. Der erste Atemzug holte ihn ins Leben zurück und glasige Augen begegneten die von Horatio.
„Manfried“,sagte er erleichtert und klopfte ihm auf den Rücken, damit seine Lungen sich wieder mit Leben füllten. Dabei spürte Horatio, wie sich die Spannung in dem kleinen Körper löste und in eine willenlose Ergebenheit wechselte. Der Atem wurde gleichmäßiger und langsam öffneten sich die Schleusen in Manfried. Horatio legte seine kräftigen Arme um den Jungen und wiegte ihn wie ein Baby. In diesem Moment gab es kein Halten mehr. Wie ein Regenguss bahnten sich die angestauten Gefühle ihren Weg ins Freie. Manfried weinte und schluchzte zugleich, während Horatio ihn in seinen Armen hielt..
„Die Frau... die da...heute gekommen...“
„Ja was ist mit ihr“, unterbrach Horatio sein Gestotter.
„Sie ist meine Mutter“,flüsterte Manfried so leise, dass er selbst kaum verstand, was er sagte.
„Jetzt versteh ich dein Verhalten“, sagte er und drückte ihn fester an seine Brust. Die Falten auf seiner Stirn vertieften sich. Sein Blick schweifte in die Ferne über das andere Ufer zu dem dahinter liegendem kleinen Dorf Staudernheim.
„Lass uns einen Moment hier verweilen und dann gehen wir zurück. Ich werde mit Hermanius sprechen, damit er versteht, warum du heute so entgeistert bist.“
„Muss ich jetzt das Kloster verlassen, wenn meine Mutter wieder geht?“
Manfried schaute ihn an und suchte in seinem Gesicht nach der Antwort.
„Die Türen unseres Klosters stehen jedem offen, der bereit ist sich dem Herrn zu beugen und sein Leben mit Gott zu bestreiten.“
„Komm, lass uns zurückgehen.“

Die Mönche saßen in Kapitelsaal. Das flackernde Licht der Kerzen unterstrich die Atmosphäre der aufgebrachten Klosterbrüder. Diese tuschelten, wie ein Schwarm schnatternder Gänse, über die Neuigkeiten des Tages. Die Schenkung des Landes östlich des Klosters beflügelte ihre Worte. Horatio lauschte den Äußerungen der Männer, ohne sich selbst an diesen zu beteiligen. Seine Geisteshaltung entsprach so gar nicht die der Mönche, welche über die Zukunftsaussichten des Konvents diskutierten. Hermanius hatte von dem Erfolg seiner Reise berichtet und die Brüder machten ihrer Freude darüber Luft. Anerkennende Blicke schweiften zu ihm herüber und hinterließen einen fahlen Geschmack in Horatios Mund. Ein Schauer lief über seinem Rücken und senkte den Kopf, um den Übertreibungen zu stoppen.
„Was beschäftigt Bruder Horatio? Du siehst so gar nicht erfreut aus“, sprach Hermanius ihn an. Er saß am oberen Ende der kleinen Tafel. Von dieser hatte er alle Ordensbrüder im Blick und leitete ihre Plaudereien. Sofort herrschte Stille im Saal und die Köpfe drehten sich zeitgleich in Horatios Richtung. Neugierig warteten sie auf eine Äußerung. Unwohl richtete sich Horatio in seinem Stuhl auf, streckte seinen Rücken und blickte in die fragenden Gesichter seiner Klosterbrüder. Im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses holte er tief Luft, um die richtigen Worte zu wählen.
„Die Familie, die heute um unsere Hilfe bat, hat sich als Angehörige eines unserer Mitglieder herausgestellt“, begann er vorsichtig seine Ausführungen und schloss die Augen. Ein gemeinschaftliches Raunen schwang durch den Raum.
„Der Frau geht es nach den kalten Wickeln und der Mahlzeit schon bessser“, informierte Bruder Floribert die Männer.
„Der Mann erzählte mir, dass man sie verjagt hat von ihren Hof und gab dem  ältesten Sohn die Schuld daran. dieser sei, der Herrgott verzeih mir diese Worte, die Brut des Teufels“, redete er weiter. Horatio erkannte die Botschaft, die hinter den Andeutungen steckte. Er ballte seine Hände zur Faust und starrte seinen Bruder wütend an. Dieser schnappte fassungslos nach Luft und suchte in den Augen des Klostervorstehers Hilfe.
„Das ist doch positiv. Aber warum so ein grimmiges Gesicht, Horatio?“, hakte der Abt nach.
„Er ist der Vater von Manfried,“ beichtete Horatio. Seine Hände wurden feucht, als ihm klar wurde, welche Lawine er ausgelöst hatte.
Das betretende Schweigen unter den Brüdern bestätigte seinen Instinkt. Der Abt hatte nun einen Grund, sich des Bengels zu entledigen und er lieferte ihm auch noch den Stein des Anstoßes. Keiner der Anwesenden setzte sich für den befremdlichen Jungen ein. Der Funke der Erleichterung mischte sich mit dem Ruß der Kerzen und benebelte ihre Sinne.
„Du schaffst es immer wieder uns zu überraschen“, begann der Abt seine Gedanken als Erster auszusprechen. Dabei faltete er seine Hände zum Gebet und führte diese an seine Stirn. Horatio hielt den Atem an und wartete angespannt auf die Worte von Hermanius. Würde er ihn aus dem Kloster verweisen oder sah er den inneren Wert des Jungen.
„Ich werde der Familie ein Stück Land geben, welches sie für uns bewirtschaften. Sie sollen beweisen, wie viel Wahrheit in ihrer aussage steckt“, teilte er seine Entscheidung den Männern mit. Allgemeines Nicken machte seine Runde und alle atmeten erleichtert auf.
„Und was wird aus Manfried?“, hakte Horatio nach, der mit diesem Beschluss nicht einverstanden war.
„Ich werde morgen mit dem Vater sprechen. Wenn sie ihren Anspruch auf den Burschen geltend machen, wird er sie begleiten.“
Die Worte trafen Horatio wie ein Faustschlag in die Magengrube.

Der Wechselbalg im MönchsgewandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt