25 - Tränen für Rave

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Mabels POV

Es ist zehn Uhr abends, als mein Handy klingelt.

Innerlich rechne ich damit, dass Rave derjenige ist, der mich gerade anruft – vermutlich, um mir wieder irgendwelche Versprechungen zu machen, die er sowieso nicht einhalten kann – doch zu meiner Überraschung erscheint der Name von Raves Mutter auf meinem Display.

Eigentlich habe ich Carol meine Nummer nur für den Notfall gegeben, weshalb es mich verwundert, dass sie mich in dieser Sekunde anruft. In den vergangenen fünf Jahren hat sie schließlich kein einziges Mal Gebrauch von meiner Nummer gemacht.

Mit rasendem Herzen und einem unguten Gefühl im Magen nehme ich den Anruf entgegen. „Hallo Carol. Ist etwas passiert?", möchte ich sofort wissen.

Auch wenn ich momentan nicht besonders gut auf meinen Freund zu sprechen bin, mache ich mir Sorgen um ihn. Rave wird doch wohl nichts zugestoßen sein, oder?

„Mabel!" Carol klingt aufgelöst und durcheinander. „Kannst du zum Krankenhaus kommen? Jetzt sofort? Bitte!"

Wie von selbst wallt Panik in meinem Inneren auf. Meine Kehle schnürt sich zu, sodass ich kaum noch Luft bekomme, und mein Körper beginnt zu zittern. Nur mit Mühe und Not schaffe ich es, meine Frage vom Anfang des Telefonats zu wiederholen. „Ist etwas passiert?"

Kurz schweigt Carol, ehe sie ernst sagt: „Komm bitte einfach so schnell du kannst zum Krankenhaus, ja?" Mit diesen Worten beendet sie unser Gespräch und lässt mich umhüllt von der Unsicherheit zurück.

Während ich mir schnell Jacke und Schuhe anziehe, klopft mir mein Herz unangenehm bis in den Hals. Obwohl ich nicht genau weiß, was vorgefallen ist, spüre ich, dass etwas mit Rave passiert sein muss – andernfalls hätte mich Carol nämlich nicht angerufen.

So aufgelöst wie ich meinen Freund heute Nachmittag in der Stadt zurückgelassen habe, würde es mich nicht wundern, wenn er einen Nervenzusammenbruch hatte.

Mit den Gedanken bei Rave schwinge ich mich auf mein Fahrrad und radele in Richtung Krankenhaus. Auf dem Weg wähle ich Lees Nummer und warte darauf, dass er abnimmt.

„Mabel?", ertönt auch schon wenig später seine verschlafene Stimme. Kurz habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn scheinbar geweckt habe, doch dann rufe ich mir wieder die verzweifelten Worte von Carol in den Kopf und bitte ihn flehend: „Kannst du gleich zum Krankenhaus kommen, Lee? Raves Mutter hat mich angerufen. Ich weiß zwar nicht, was passiert ist, aber ich möchte nicht allein dort sein."

Trotz des Fahrtwindes, der mir peitschend um die Ohren schlägt, kann ich hören, wie mein Gesprächspartner schwer schluckt.

„Hältst du das wirklich für eine gute Idee?", möchte Lee vorsichtig wissen.

Nach dem heutigen Vorfall in der Eisdiele hat mir der Blondschopf gesagt, dass er von nun an in der Öffentlichkeit meine Nähe meiden möchte. Seine Angst vor Rave ist einfach zu groß.

Ein bisschen kann ich Lees Entscheidung auch nachvollziehen, immerhin wurde Rave ihm gegenüber bereits gewalttätig, aber jetzt gerade brauche ich ihn als mentale Stütze. „Bitte, Lee", flehe ich ihn also mit weinerlicher Stimme an. „Ich habe keine Ahnung, was mich im Krankenhaus erwarten wird. Bitte sei einfach nur für mich da."

Daraufhin ist es für einen Augenblick still am anderen Ende der Leitung. Gerade als ich denke, dass Lee bereits aufgelegt hat, seufzt er leise und sagt: „Na gut, ich bin in einer Viertelstunde da, okay?"

„Okay." Etwas beruhigter beende ich unser Telefonat und beschleunige nochmal mein Tempo.

Wenig später komme ich außer Atem vor dem Krankenhaus zum Stehen, schließe mein Fahrrad ab und stürme dann in das Innere des Gebäudes.

Wenn Sonne und Regen aufeinandertreffenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt