9 - Wahl, Wahrheit oder Pflicht

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Mabels POV

„Das wird nur eine kleine Party", hat Rave vor zwei Wochen zu mir gesagt.

„Sozusagen im engsten Kreis", hat er gesagt.

Was er mir nicht gesagt hat? Dass seine Definition von kleine Party knapp hundert Menschen umfasst.

Das ganze Haus ist mit tanzenden und grölenden jungen Erwachsenen gefüllt. Eine Mischung aus Rauch, Alkohol und Schweiß liegt in der Luft, die sich mit den wummernden Bässen der Musik vereint.

Wohin ich auch schaue, überall sind lachende Menschen zu sehen, die diesen Abend genießen.

Anscheinend bin ich die Einzige, die sich nicht entspannen kann, da ich ständig darauf achte, dass keine Vasen umgestoßen oder andere Gegenstände zerstört werden.

Raves Eltern würden ihn umbringen, wenn das Haus morgen einem Schrottplatz gleichen sollte.

Fast einen Monat lang musste mein Freund seine Eltern anbetteln, seine Geburtstagsparty bei sich zu Hause feiern zu dürfen. Voraussetzung dafür war jedoch, dass das Haus am nächsten Tag wie neu aussieht und jeder zerstörte Gegenstand von Rave ersetzt wird.

„Da bist du ja, Mabel", reißt mich der Junge aus meinen Gedanken in die Realität zurück. „Amüsierst du dich schön?"

Am liebsten würde ich mit dem Kopf schütteln, doch Rave zuliebe nicke ich. Meinetwegen hat er sogar unsere damaligen Freunde aus der High School eingeladen, weil ich mal vor einigen Monaten erwähnt habe, wie sehr ich mich freuen würde, sie wiederzusehen.

Nur leider hält sich meine Freude ausgerechnet heute in Grenzen.

„Dann lass uns tanzen gehen, okay?" Der Lockenkopf schaut mich flehend aus seinen blauen Augen an, sodass es mir unmöglich ist, ihm seinen Wunsch abzuschlagen. Das ist auch der Grund, weshalb ich meine Hand in seine lege und mich von ihm auf die provisorische Tanzfläche im Wohnzimmer ziehen lasse.

Sobald wir uns im Getümmel der Menschen befinden und unsere Körper langsam zum Takt der Musik bewegen, entspanne ich mich ein bisschen. Lange hält dieses positive Gefühl jedoch nicht an, da Rave von einem seiner Kommilitonen zum Beer Pong Spielen überredet wird und mich somit allein zwischen den grölenden Erwachsenen zurücklässt.

Eigentlich habe ich kein Problem damit, neue Kontakte zu knüpfen, doch aktuell sinkt meine Laune immer weiter in Richtung Tiefpunkt.

Während Rave im Garten Beer Pong spielt und sich unsere damaligen Freunde aus der High School auf der Tanzfläche vergnügen, stehe ich unbeholfen an der Wand und verfluche diesen Abend.

Eine kleine Geburtstagsrunde wäre mir deutlich lieber gewesen!

Kurz spiele ich mit dem Gedanken, meine ehemalige beste Freundin Audrey zu suchen, doch als ich sie gemeinsam mit einem schwarzhaarigen Typen flirten sehe, verwerfe ich diese Idee sofort wieder.

Dass diese Nacht in einem Desaster enden wird, spüre ich schon jetzt.

„Du siehst aus, als könntest du einen Drink vertragen", werde ich plötzlich von der Seite angesprochen.

Diese Stimme kenne ich mittlerweile so gut, dass sich automatisch ein Lächeln auf meine Lippen schleicht.

Glücklich darüber, dass ich wenigstens für eine Person in diesem überfüllten Haus nicht unsichtbar bin, schließe ich Lee zur Begrüßung in die Arme. „Schön, dass du hier bist", nuschele ich leise in seine Halsbeuge. „Und nochmal danke für heute Morgen. Rave hat sich sehr über unser Geschenk gefreut."

„Ach ja?", hakt Lee überrascht nach, während er sich langsam aus unserer Umarmung löst. „Als ich ihn eben gesehen habe, hat er mich bloß mit einem merkwürdigen Blick gestraft."

Wenn Sonne und Regen aufeinandertreffenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt