Nachtwanderung

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Es dauerte mehrere Stunden, doch letztendlich waren alle im Bett.

Als alle Lichter aus waren, ging ich aber noch nicht sofort raus, sondern ich wartete noch ein bisschen, um sicherzustellen, dass auch wirklich alle schliefen.

Wenn man mich erwischt hätte, wäre ich sowas von erledigt gewesen.

Als ich mir zu 100% sicher war, dass alle schliefen, stopfte ich zur Sicherheit ganz viele Kissen unter meine Bettdecke, damit es so aussah, als ob ich drinnen liegen würde - für den Fall der Fälle.

Nachdem ich es hinbekommen hatte, dass es realistisch wirkte, nahm ich mir den Brief und schlich mich so leise wie möglich nach unten.

Ich klaute heimlich den Haustürschlüssel aus Dads Jackentasche und schnappte mir noch eine Taschenlampe. Das packte ich alles in einen Rucksack.

Danach lauschte ich nochmal, um sicherzugehen, dass alle schliefen.

Als ich niemanden hörte, eilte ich zur Haustür und verließ das Haus.

Es fühlte sich seltsam an, mich mitten in der Nacht aus dem Haus zu schleichen. Sowas hatte ich noch nie zuvor gemacht, doch ich wollte mich ordentlich von Kia verabschieden. Sie hatte es verdient.

Dass ich so dumm gewesen bin, war schließlich nicht ihre Schuld.

Ich hoffte zwar, dass wir uns irgendwann wiedersehen würden, aber ich hielt es für sehr unwahrscheinlich. Ich glaubte nicht an Schicksal und sowas.

Irgendwo tief in mir war ich mir sicher, dass wir uns nie wieder schreiben würden.

Inzwischen saß ich auf dem Fahrrad und radelte durchs Dorf.

Vor der Kirche stand der Briefkasten und dort fuhr ich hin. Dieser Briefkasten war meinem Haus am nächsten und dadurch wäre ich am schnellsten wieder zu Hause.

Das war wichtig, denn wenn es schnell ging, bekam niemand etwas davon mit.

Als ich endlich den Briefkasten erreicht hatte, zog ich meinen Abschiedsbrief und die Taschenlampe aus dem Rucksack.

Mit der Taschenlampe leuchtete ich auf den Briefkasten und warf den Brief ein.

Sobald ich den Brief losgelassen hatte, fing ich zum dritten Mal an diesem Tag an, zu weinen.

Es tat mir im Herzen weh, doch ich hatte keine andere Wahl. Ich musste den Brief einwerfen, denn Kia sollte wissen, warum ich ihr nicht mehr schrieb.

Es dauerte eine Weile, bis ich fertig war, doch als es soweit war und ich aufsah, stieg ich wieder auf mein Fahrrad und fuhr zurück nach Hause.

Dort angekommen räumte den Schlüssel, die Taschenlampe und den Rucksack auf. Danach ging ich zurück ins Bett und versuchte, einzuschlafen, doch es gelang mir einfach nicht. Ich musste immer wieder daran denken, dass Kia vermutlich ziemlich sauer auf mich sein würde, wenn sie den Brief las.

Das war jetzt aber sowieso egal, denn unsere Freundschaft war eh vorbei und wir würden uns nie wieder schreiben können.

Die Brieffreundin Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt