Kapitel 4

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Ella grinst mir über das Display entgegen. »Du bist so ein Glückspilz!«

»Bin ich das?«

»Du warst gestern mit deinem äußerst attraktiven Chef und seinem charmanten besten Freund in einem Fahrstuhl eingesperrt. Natürlich bist du ein Glückspilz«, erklärt sie und wirft mir einen Blick zu, als würde sie sich fragen, wie ich nicht von selbst darauf kommen würde.

Ich lache und schüttele den Kopf, während ich mir einen weiteren Weg durch die laufende Menschentraube bahne, die sich am Eingang vor der Subway bildet.

»Ich weiß nicht. Du machst da eine viel zu große Sache draus. Wir waren eingesperrt, haben uns notgedrungen miteinander unterhalten und ich habe ein paar Dinge über Jonah erfahren. Zum Beispiel, dass er gerne flirtet, um zu zeigen, dass eine gescheiterte Beziehung ihm nichts anhaben kann. Oder, dass er am liebsten Magier geworden wäre.«

»Interessant. Du bist ein Tag in New York und wirst direkt angebaggert«, erklärt sie grinsend.

»Das ist nicht wahr! Außerdem habe ich sehr schnell klargemacht, dass ich nicht interessiert, und auch nicht auf der Suche nach einer Beziehung bin.«

Ein Seufzen ertönt aus meinem Kopfhörer und Ellas Mimik nach zu urteilen, war es ein Fehler Jonahs Flirtversuche abzublocken. Wie gut, dass ich noch immer mein eigener Herr über meine Sinne, meinen Verstand und Körper bin.

»Wenn du ihn allein durch Erzählungen so toll findest, kannst du ja hierher kommen und ihm aus seiner Misere helfen«, erkläre ich und grinse schief, als sie die Augen verdreht.

»Ich bin vergeben. Du nicht«, merkt sie an. »Das sind zwei ganz unterschiedliche Ausgangspunkte. Außerdem liebe ich Patrick.«

»Das weiß ich doch. Ich will dich nur ärgern«, sage ich und werfe dann einen Blick auf die Uhr in der oberen rechten Ecke. 08:52. »Hör mal – ich ruf später wieder an. Ich muss mich beeilen.«

»Okay, du fleißige Biene. Ich sollte wohl mal aufstehen«, sagt sie und kichert. Während ich mich bereits auf dem Weg zu B&G befinde, verweilt Ella noch immer in ihrem Bett. Während sie sich vor zwei Monaten dazu entschlossen hat, ihr Studium zu schmeißen, habe ich einen Umzug auf die Beine gestellt und versucht, sie wenigstens aus etwas Entfernung zu motivieren, damit sie nicht einfach nur in ihrem Kinderzimmer versauert. Es ist überhaupt nicht schlimm, sich neu zu orientieren oder nicht zu studieren, aber all das Potenzial verschwenden, das in ihr steckt, sollte sie auch nicht.

»Das solltest du dringend«, erwidere ich. »Bis später, Ella.«

»Viel Spaß bei der Arbeit. Und überleg es dir noch einmal bezüglich Jonah«, meint sie noch.

Mit einem Augenrollen verabschiede ich mich von ihr und beende daraufhin den Anruf. Dann beschleunige ich mein Tempo und laufe so schnell wie möglich den letzten Rest zum Firmengebäude von B&G.

Pünktlich um 09:00 Uhr sitze ich an meinem Schreibtisch, habe meinen Computer hochgefahren und warte auf Stacy, die noch nicht im Büro ist. Ich überprüfe daher ihren Terminkalender und entdecke ein Meeting, das um halb zehn angesetzt ist. Und zu meiner Überraschung steht es auch in meinem Kalender. Ein Treffen mit dem Editorialteam, um die letzten Änderungen an der kommen Ausgabe zu verändern. Augenblicklich durchflutet mich bereits jetzt ein Kribbeln, das bis in meine Fingerspitzen reicht.

Ich öffne die entsprechenden Ordner auf dem Computer und beschließe, mich mit der kommenden Ausgabe etwas vertrauter zu machen. Ganz ahnungslos möchte ich nicht dabei sein, auch wenn ich nur die Aufgabe habe, mitzuschreiben.

Knappe zwanzig Minuten später rauscht Stacy an mir vorbei, wünscht mir einen guten Morgen und verschwindet für nicht einmal eine Minute in ihrem Büro. Dann steht sie vor mir und lächelt.

TendernessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt