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Lily hatte sich verändert, seit Petunia sie das letzte Mal gesehen hatte.
Sie wirkte reifer, entschlossener und ihre Haare, die sie in ihrer Jugend immer in langen Zöpfen getragen hatte, waren nun kurz und reichten geradeso bis an ihre Schultern.

"Tuney?", fragte die junge Hexe überrascht. "Entschuldige, Petunia. Was machst du denn hier?" Hinter ihrer Schwester konnte Petunia lautes Lachen und ruhige Melodien hören. Sie wollte gerade zum Sprechen ansetzen, da entdeckte Lily auch schon den Schlafenden Dudley in seinem Kinderwagen und die großen Reisetaschen, die Petunia bei den Schaukelstühlen verstaut hatte.
"Oh, Petunia.", hauchte Lily traurig und zog Petunia an ihren Händen ins Haus. "James, hilf mir mal bitte mit den Taschen.", rief sie ins Innere des Hauses und kurz darauf tauchte auch schon Lilys Ehemann in der Türschwelle auf.

Petunia hatte James Potter nur wenige Male getroffen und jedes dieser Mal war es nicht gut verlaufen.
Dennoch trug er ohne zu zögern die Taschen in den Hausflur, blinzelte nicht einmal, als er sah, wer vor seiner Haustür aufgetaucht war und lächelte ihr sogar noch freundlich zu.
"Möchtest du einen Tee, Petunia? Vielleicht auch etwas stärkeres?" Seine Stimme war tief und brummig, ganz anders als sie es in Erinnerung hatte. Wann immer sie einmal an James und Lily gedacht hatte, was nicht oft gewesen war, klangen sie noch wie Teenager, nicht wie die beiden erwachsenen Eltern, die hier vor ihr standen.
"Ein Tee wäre nett, vielen Dank.", murmelte Petunia erschöpft. Ihre Schultern schmerzten und ihre Fußzehen konnte sie schon lägst nicht mehr spüren.
James nickte, sah seine Frau noch einmal kurz an und verschwand dann hinter einer der Türen. Lily hingegen hielt Petunias Hände fest umklammert und musterte all die Gesichtszüge, die vor wenige Jahren noch ganz anders ausgesehen hatten.
"Hat Dudley denn schon gegessen? Hast du etwas gegessen? Möchtest du dich hinlegen? Ich kann dir das Gästezimmer vorbereiten?", fragte Lily, ohne dabei einmal Luft zu holen und half Petunia aus ihrem Mantel. "Du bist doch bestimmt ganz durch gefroren? Merlin, du hast ja noch nicht einmal Schuhe an." Ohne Petunias Antworten abzuwarten, zog sie aus der Garderobe ein großes, buntes Paar Pantoffeln und hielt sie ihr hin.
"Sie sind nicht die Schönsten, aber sie halten warm.", gab sie kleinlaut zu und Petunia nickte schweigend. Die Hausschuhe waren furchtbar grell und nichts, was Petunia jemals freiwillig angezogen hätte, aber kaum hatte sie sie übergezogen, wärmten sie ihre Füße wieder auf und auch ihre Zehen konnte sie wieder spüren. Petunia fragte sich, ob sie vielleicht verzaubert waren und Lily es ihr lediglich nicht sagte.
"Danke.", murmelte sie dann schließlich, ihre Stimme leise und rau. Einen Moment stand sie hilflos vor ihrer kleinen Schwester, bis diese tief seufzte und Petunia in eine warme, liebevolle Umarmung zog. Etwas versteift blieb Petunia in dieser Umklammerung stehen, bis sie sich schließlich dazu überreden konnte, ihre Arme um Lilys Hals zu schlingen. Als sie sich wieder voneinander lösten waren Lilys Wangen ganz rot, wie immer, wenn sie aufgeregt war. Petunia freute sich, wenigstens dieses kleine Detail im sonst fremden Gesicht ihrer Schwester wiederzuerkennen.

"Wir haben noch einige Freunde da. Wenn du möchtest, stelle ich sie dir kurz vor." Sanft zog Lily sie in Richtung der Tür, durch die auch schon James verschwunden war. "Und dann isst du erst einmal etwas richtiges und erzählst mir, was passiert ist, ja?"
Beschämt zog Petunia ihre Hand aus Lilys Umklammerung und hob Dudley, der leise anfing zu quengeln, in ihre Arme.
"Ihr habt Besuch? Entschuldige, ich hätte gar nicht einfach so auftauchen dürfen." Innerlich rügte Petunia sich selbst, schließlich wusste sie, dass es sich nicht gehörte, irgendwo unangemeldet zu erscheinen. "Habt ihr ein Hotel hier in der Stadt? Dann übernachte ich mit Dudley dort und wir sprechen morgen, wenn deine Freunde weg sind." Lily lachte leise, aber als sie merkte das Petunia es ernst meinte, seufzte sie wieder besorgt.
In ihrer Jugend hatte Lily nie so oft geseufzt wie heute Abend, dachte Petunia still. Ob es wohl nur an ihr lag oder war Lilys Leben einfach so viel komplizierter geworden, als noch vor wenigen Jahren?
"Sei nicht albern, Petunia. Ich lasse euch bestimmt nicht weiter in Godric's Hollow herumirren." Lily strich vorsichtig über Dudleys Stirn, so sanft und liebevoll, dass Petunia sich wieder daran erinnerte, dass sie schließlich ein eigenes Kind hatte, nur wenige Monate jünger als Dudley. "Du bist mein Gast und das bedeutet grelle Hausschuhe, warmes Essen und ein frischbezogenes Bett."

The dream I dreamed - Eine kurze Geschichte über Petunia Dursley und Lily PotterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt