Kapitel 6

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Cansus Sicht

,,Cansu!", sagte die Stimme. Ich drehte mich um und sah ihn auf mich zukommen. Was wollte er denn von mir?

,,Cansu, was suchst du hier? Gökhan will definitiv nicht, dass Zeynep etwas von dir erfährt", sagte er leise und hielt mich an meinem Arm fest, ,,auf, wir gehen jetzt". ,,Cihan, ihr habt beide recht, aber verstehe mich doch. Zeynep ist meine Tochter und ich habe sie jahrelang nicht gesehen. Lass mich jetzt los", sagte ich und zog meinen Arm zurück. ,,Ohne Zeynep will ich keine weitere Minute verbringen", sprach ich. Meine stimme zitterte von dem Weinen. Ich fühlte schon, dass meine Augen und meine Nase total rot geworden waren. ,,Haklısın Cansu (Du hast Recht). Ich kann schon verstehen, was du fühlst. Aber du musst dem Gökhan einfach Zeit lassen. Egal was der Grund ist - es ist sehr schlimm, das eigene Kind nicht sehen zu können. Warte vorerst auf den richtigen Zeitpunkt, um ihm alles erzählen zu können. Dann wird er dir mit der Zeit schon verzeihen", sagte er und versuchte mich etwas zu beruhigen. ,,Heute nicht. Warte ab. Du wirst es sehen. Zeynep wird dich auch lieben, stell dir das doch mal vor. Wenn du jetzt dorthin gehst, wird alles durcheinander geraten. Tue Zeynep das nicht an, sie ist noch zu klein, um so etwas zu vertragen". Ich nickte und verließ die Gegend mit Cihan.

Gökhans Sicht

Wir zogen uns etwas Bequemes an und aßen eine Kleinigkeit. Am Esstisch durfte ich mir alles anhören, was Zeynep zum Erstaunen brachte und was sie dazugelernt hatte. ,,Baba, kann ich heute Wii spielen?", fragte sie ganz herzlich mit einem Blick, dem ich nie widerstehen konnte. ,,Ja, aber nur, wenn ich mitspielen darf", sagte ich, ,,und es wird nicht übertrieben!". Sie freute sich sehr und ging nach dem Essen ins Badezimmer, spritzte Seife auf ihre Hände und wusch sie sorgfältig. In der Zwischenzeit verknüpfte ich die Konsole mit dem Fernseher und bereitete das Spiel schon mal vor.

Während der ersten Runde klingelte mein Handy. Cihan rief mich an. ,,Moment mein Schatz, Cihan Amcan arıyor"(Cihan ruft an). ,,Efendim Cihan?"(Ja, Cihan), fragte ich. ,,Gökhan, Cansu war heute vor deinem Haus und war kurz davor, sich Zeynep vorzustellen. Zum Glück war ich auf dem Weg zu euch und habe sie verhindern können". ,,Ist das dein Ernst?", schrie ich und merkte, dass Zeynep zuckte. Ich ging schnell in die Küche und redete dort weiter. ,,Wie kommt sie denn auf diese Idee, obwohl ich sie oftmals ermahnt hatte?". ,,Bak arkadaşım (Schau mal mein Freund), ich weiß ganz genau, dass du ihr nicht verzeihen kannst und dass du auch recht hast. Aber du solltest dir trotzdem mal alles anhören, bevor du weitere Vorurteile eingehst", riet er. ,,Cihan", sagte ich etwas genervt und er unterbrach. ,,Gökhan, sie wird es nicht aufgeben. Wann willst du das denn kapieren? Cansu ist ihre Mutter und natürlich hat sie ein Recht dazu, Zeynep zu sehen. Sie wollte euch nicht verlassen, allerdings hatte sie keine andere Wahl. Jetzt ist sie hier, bei euch. Tue das einer Mutter nicht an. Deshalb solltest du dir alles gut überlegen, bevor du auch noch Reue fühlst. Cansu hat es bereut, glaub mir", sagte er und wir legten auf. Ich kam für einige Minuten zu einem Stillstand und stellte mir vor, was meine Tochter alles fühlen könnte, wenn ich ihr alles erzählen würde. Sie hatte nie nach ihrer Mutter gefragt, aber das wäre nicht für immer so geblieben. Ich wusste nicht mehr, was richtig und was falsch war. Vor allem konnte ich mir nicht vorstellen, ob Zeynep sich freuen oder eher in Schock geraten würde. Allahım, sen yardım et! (Gott, hilf mir)

Am nächsten Morgen..

Mit einem Ruck wachte ich auf. Langsam aber sicher öffnete ich meine Augen und befeuchtete sie, indem ich mehrmals meine Augenlider auf- und zuklappte. Zeynep lag in meinen Armen. Ihre Arme wickelten sich - so weit es ging - um meinen Körper. Dieser traumhafte Moment zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht. Ich schaute auf die Uhr und stellte fest, dass es noch zu früh für Zeynep war. Deshalb wartete ich eine knappe Stunde, um sie aufzuwecken. Während dessen lag ich bei ihr und beobachtete, wie ihr winziger Oberkörper bei jedem Atemzug stieg und wieder sank. Meine Hände waren immer an ihren Haaren. Das Spielen mir ihren Haaren war wie eine Sucht für mich.

Ölüme DairWo Geschichten leben. Entdecke jetzt