Kapitel 17 - Schmerzhafte Erinnerungen Teil 4

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~Einschnitt~

„Nein..."

Ein Reißen.

Ein Knacken.

Dann...

Tosende Stille.

Ihre Augen unweigerlich auf das grauenhafte Exempel gerichtet, das die skrupellose Bestie vor ihr errichtete, verstand sie dennoch nicht, was in diesem Moment mit der einen Hälfte ihres Lebens geschah.

Nein !

Nein, nein, nein !

Ihr Innerstes verkühlte sich.

Weigerte sich zu begreifen, was sie so eben sah.

Was sie noch immer sehen konnte.

Jeremy.

Seine nun mehr leblose Hülle, eingehüllt vom Blut seines eigenen Leibes, sackte haltlos zusammen, als durch den grausigen Schlag des Monsters die nötige Verbindung von Kopf und Körper gekappt wurde und so die grausamsten Bilder beschwor, die sie jemals erleben sollte.

Sie sah in stürzen.

Nein

Sah seinen Kopf, der sich durch den unerwarteten Aufprall vom Platz seiner kraftlosen Schultern löste.

Nein.

Und hörte, wie er schließlich mit einem endlos hallenden Geräusch über den Boden der feuchten Lagerhalle rollte, als die Schwerkraft mit ihren festen Klauen nach ihm packte und ihre brennenden Augen damit zwang, dieser grotesken Bewegung zu folgen, die eine blutige Spur auf dem kühlen Beton hinterließ.

Nein !

Als er endlich innehielt - die glanzlosen Augen in stummer Verzweiflung zu ihr empor starrend-, brachte er damit auch die Welt um sie herum zum stehen, während eine gähnende Leere ihren gesamten Körper erfasste.

Und sie hoffen ließ, der Akzeptanz dieser Situation entfliehen zu können.

Das passiert alles gar nicht, das passiert alles gar nicht.

Wie ein Mantra setzte sich dieser beschwörende Gedanke in ihrem betäubten Kopfe fest.

Und wiederholte sich immer und immer wieder.

Baute Stein um Stein eine schützende Mauer um ihr angerissenes Herz.

Bis sie ein weiteres Knacken verspührte, das eben diese Mauer mit einem einzigen Schlag zertrümmern ließ.

Als sich das emotionale Messer der Erkenntnis, das sich zuvor beim Schrei ihres Bruders schon seinen Weg in sie hinein gegraben hatte, nun mit rücksichtsloser Gewalt herum drehte und nichts weiter als den kümmerlichen Rest eines geschlagenen Herzens hinterließ, das viel zu schnell mit der Endgültigkeit dieser Situation belastet wurde.

Und doch wollte - konnte - sie ihren entsetzten Blick nicht von seiner bewegungslosen Gestalt abwenden, auf der er klebte, als wenn das Monster insgeheim wusste, das diese Art der Tötung wohl ihren letzten Widerstand zerbröckeln lassen würde.

Ich weiß nicht, wo ich hinsehen soll, dachte Jane in einem Anflug panischer Verzweiflung.

Sein Körper liegt so weit von seinem Kopf entfernt.

Immer hektischer schoss ihr Blick zwischen den Einzelteilen ihres Bruders hin und her, während die in ihr brodelnde Hysterie sich drohend Bahn brach.

In ihrer irrationalen Hilflosigkeit, befürchtete sie, das ihr Bruder nicht mehr zu retten war , sollte sie es wagen ihren Blick von ihm abzuwenden und sich so eine einzige Sekunde der mentalen Erholung zu gönnen.

Obwohl ihre innere Stimme nicht müde wurde zu flüstern, das es doch längst zu spät für Jeremy sei.

Halt den Mund, halt den Mund, halt den Mund !

Mit brutaler Geschwindigkeit rammte sich Jane ihre Fäuste gegen die klingenden Ohren, als könnte sie so die gehässige Stimme zum Schweigen bringen, die als einziges neben dem Rauschen ihres Pules, die dröhnende Stille dieses unheilvollen Ortes durchbrach, während ihre Augen immer schneller zwischen den blutigen Punkten ihres Bruders hindurch huschten.

Jeremy, Jeremy.

Doch egal wie sehr sie ihn in ihren wirren Gedanken beschwor, regte sich sein starrer Körper keinen Millimeter.

Sein Kopf. Sein Körper.

Wo soll ich hinsehen ?

Ihre Nägel kratzten sich in purer Verzweiflung in ihre schmerzende Kopfhaut.

Nur das verächtliche Gelächter des Monsters, das sich trotz ihrer schützenden Handflächen durch ihre Ohren brannte, brachte sie endlich dazu ihre gespaltene Konzentration zu fokussieren.

Doch was sie sah, rammte das Messer in ihrem Herzen nur noch erbarmungsloser in die Tiefen ihres geschundenen Inneren:

Die gekrümmten Klauen des Monsters von seinem brutalen Angriff schimmernd und blutdurchtränkt.

Jeremys Blut...

Sein Gesicht eine einzige Maske des Triumpfes.

Und ehe er seinen raubtierhaften Blick auf  den ihren niederlegte, bleckte er die triefenden Zähne und ließ seine  Zunge schnalzend hervorschnellen.

Seine Finger fuhren zu seinem offenen Mund, bevor er genüßlich an ihnen saugte.

Das grauenhaft schmatzende Geräusch seiner Zunge, brannte in ihren gereizten Ohren wie die kantigen Klingen eines ungeschliffenen Schwertes .

Seine kranken Augen, die nun nach noch mehr Mordlust gierten, blickten ihren entgegen.

Seinen stummen Hohn vermittelnd.

Sie atmete ein.

Ließ ihre Hände sinken.

Schloss ihre Augen.

Legte den Kopf in den Nacken.

Ihr war bewusst, was sich dort ihrer Kehle erhob ... und ließ es los.

Sie schrie.

Als sich eine neue, willkommene, Empfindung sich über die des Verlustes und des Schmerzes legte.

Und ihr Verstand setzte aus.

Nur noch undeutlich hörte sie den überraschten Fluch, der sich aus seinen Munde erhob.

~Ende~

Red Death - der rote TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt