#1 'Riesentöterin' (Kurzgeschichte)

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Wie sollte sie ihn nur töten? Den Speer ins Herz, kurz und schmerzlos? Oder sollte sie ihn mit dem Schwert schneiden? Immer und immer wieder. Mit ihm tanzen, bis er irgendwann den Dreck zu ihren Füßen fressen würde?

Ebenso kreisten ihre Gedanken darum, mit welcher Trophäe sie, als Beweis ihrer erfolgreichen Mission, in das Dorf zurückkehren sollte. Der Kopf des Ungeheuers würde vermutlich mehrere Pfund an Gewicht auf die Waage bringen und sie hatte wahrlich keine Lust darauf zwei Tage lang diese, angeblich überaus hässliche, Rübe durch die Wildnis zu schleppen.

Einige Dorfbewohner, die den ‚bergischen Schrecken' bereits gesehen, ihm vielmehr nicht in die Quere ge- oder gar entkommen waren, berichteten von grausigen Stoßzähnen und spiralförmigen Hörnern, welche ihm aus dem Kopf wachsen sollen. Ob das Mitbringen eines jener Auswüchse die Menschen überzeugen würde? Wohl kaum. Schließlich hätte sie sich dafür auch einfach bei einem der, zumeist friedlichen, Tiere bedienen können, die die grauen Berge zuhauf bevölkerten und deren Bestimmung als Jagdbeute der Dörfler, ein gewisser Riese in schöner Regelmäßigkeit zu verhindern wusste.

Oder sollte sie diesem vielleicht doch einfach, so wie sie es sich vergangene Nacht an ihrem kleinen, gemütlichen Lagerfeuer ausgemalt hatte, den Pimmel abschneiden und letztlich diesen als Nachweis ihres Triumphes ihren Auftraggebern präsentieren? Es amüsierte sie der Gedanke, in welchem sie sich die Reaktionen der Männer Bergens, auf das riesenhafte Gemächt ausmalte. Beschämte Blicke, selbst hinter Männlichkeit vortäuschendem Bartwuchs nicht zu verbergen, sah sie dabei immer wieder vor Augen. Kerle, zu kleinen Jünglingen verkommen, die sich der eigenen Kümmerlichkeit ihrer winzigen, rosafarbenen Zipfel bewusst werden würden. Aber war es denn nicht schon genug, dass deren Mannhaftigkeit gegenwärtig bereits darunter litt, dass ausgerechnet Henricca aus den, oftmals verspotteten, da ‚verweichlichten' grünen Landen, den bösen, bösen Riesen für sie töten sollte?

Mochte ihre Wertschätzung für die Bergischen noch so gering ausfallen, für die horrende Belohnung, die man ihr in Aussicht stellte, sollte sie sich ihnen gegenüber zumindest nicht allzu provokant gebaren.

Ihr Weg hinauf zu den Gipfeln gestaltete sich beschwerlich. Gab es zu Anfang noch Straßen, die als solche erkennbar waren und denen sie folgen konnte, verkümmerten diese nun immer mehr zu steinigen, schmalen Pfaden, auf denen man nicht einmal mehr einen Handkarren hätte mit sich führen können. Mochte sich hier, aufgrund der Wildheit der Natur, kein Anzeichen menschlicher Bestrebungen finden lassen, ebendiese in ein Korsett zu zwängen, so waren doch die Spuren, die augenscheinlich einem Riesen zuzuordnen waren, unübersehbar. Umgeknickte Bäume, förmlich niedergemähte Hecken und Sträucher und natürlich die riesigen Spuren in den getrockneten Schlammpfützen. Fußabdrücke, die fast zwanzig Zoll an Länge maßen und sich etwa zwei Hand breit ausdehnten. Sie wirkten wie, in den Boden gezeichnete, Warnungen.

„Dreh um und geh' nach Hause", schienen sie ihr förmlich entgegen zu rufen. Und um ein Haar hätte sie wirklich zu zweifeln begonnen und am Ende womöglich gar auf die versprochene Belohnung geschissen. Doch solche Gedanken waren nur einmal mehr ein Anzeichen dafür, dass es wieder an der Zeit für einen Schluck Verwegenheit war.

Es schmeckte erneut fürchterlich. Wie jedes Mal, wenn sie sich einen Mundvoll des dickflüssigen Gesöffs in den Rachen goss. Gerade genug, um keinen Brechreiz auszulösen und den kostbaren Tropfen ja bei sich zu behalten.

„Wie vergorene Milch, welche aus einem faulenden Fischkadaver gepresst wurde", lautete die überaus treffende Geschmacksbeschreibung.

Ausgesprochen hatte sie ein, in bunte Stoffe gekleideter, brauner Mann aus dem Inselring, dessen Handelsschiff, in Folge eines Sturms, unplanmäßig vor der Küste ihres Heimatdorfs ankern musste, damit man sich um dessen beschädigte Segel kümmern konnte.

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