#7 'Der außerordentlich talentierte Pfau' (Fabel)

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Mit stolz geschwellter Brust blickte der Pfau, vom höchsten Ast der höchsten Kiefer, auf die Welt hinab. Keiner im grünen, grünen Wald konnte mit Sicherheit sagen, was den stolzen Vogel in derartige Höhen getrieben hatte. Immerhin, das war bekannt, beherrschte er mehr schlecht als recht die Kunst des Fliegens. Oh ja! Jede gewöhnliche Taube ritt schließlich eleganter auf den Schwingen des Windes dahin. Kein Geheimnis, das zu Behüten sich irgendjemand verpflichtet fühlte.

War der Pfau also dort hinaufgehievt worden? Etwa vom Wind oder durch einen Zauber? Kam er vielleicht gar durch eine List in jene schier unerreichbare Höhe? War es womöglich süß-saurer Schlummer, listig und fingiert, welcher den Gaukler zu diesem Ziel führte?

Pardon für solcherlei Ehrverletzung! Nichts läge mir ferner als, missgünstig und verbittert, dem edlen Federtier sein Plätzchen an der Sonne zu neiden.

Was es auch gewesen war, wie auch immer der Pfau auf den höchsten Ast der höchsten Kiefer des grünen, grünen Waldes gelangt sein mochte: Der ebenda herrschenden Selbstverständlichkeit, mit der der Buntgefiederte seither über allem und jedem thronte, tat solch eine Frage keinen Abbruch. Jedenfalls war es bald schon vorbei mit der genussvollen Einsamkeit, als der unsichtbare Vorhang der Szenerie hochgezogen und einer weiteren Figur der Auftritt gewährt wurde.

In Bewunderung derartiger Leistung, ließ sich im schönsten Sonnenschein nämlich ein Rabe neben dem königlichen Vogel nieder. Beinahe ehrfürchtig näherte dieser sich dem Pfau, welcher, unbeeindruckt von dem gemeinen Besucher, weiterhin die Welt zu seinen Pfauenklauen überblickte. Fast schon ein wenig genant gebarte sich der pechschwarz gefiederte Bewunderer in Gegenwart seines prächtigen Nebenmannes. War dieser jener, so schien es für den Raben, doch so viel schöner und klüger und weiser als er. All seinen Mut musste Pflückebeutel daher zusammennehmen, ehe er sich förmlich erdreistete und jene Worte an den Pfau richtete, die ihm so sehr unter dem Schnabel brannten.

„Duuu?", bemühte er sich um eine kräftige Stimme, „Ich darf doch ‚Du' sagen? Was machst du hier oben?"

Des Pfaus Federkrönchen wackelte sanft, als dessen Träger langsam den Kopf zur Seite neigte, um die Quelle jener lästigen Ablenkung ausmachen zu können. Dreister Rabe! So schlicht im Kleid, so einfältig im Gemüt. Tumb und simpel, so sind sie allesamt im grünen, grünen Wald, ob am Boden oder in den Lüften.

„Du darfst mich siezen, wenn ich dir erlaube zu sprechen", stellte der Pfau sofort klar, welche Prioritäten auf dem höchsten Ast der höchsten Kiefer herrschten. Als der Rabe, scheu nickend, sein Verständnis signalisierte, fuhr der Pfau fort: „Was ich hier mache, ist die Wahrnehmung einer Verantwortung, welche nur mit größter Akribie, unbändigem Fleiß und unter erheblichen Anstrengungen zu erfüllen ist. Ich überwache das Leben im grünen, grünen Wald, habe dabei ein Auge auf die Bäume und Sträucher und Blumen. Auf die Pilze und auf die Insekten. Blicke auf die Vögel, die Nager, das Wild, und so weiter, herab. Tut einer der Waldbewohner nicht was er soll, so muss ich ihn darüber belehren, welche Fehler er begangen und das er diese in Zukunft zu vermeiden hat. Du merkst schon, ohne mich würde dieser Wald in den Fluten des Chaos versinken. Gäbe es meine Mehrhaftigkeit nicht, sähe man bald die vier Wildschweine der Apokalypse zwischen den Bäumen hindurchgaloppieren, alle kümmerlichen Reste mit sich reißend, welche von der vorangegangenen, verheerenden Flut noch übriggeblieben wären. Gehe und verkünde die Bedeutung meiner Präsenz, junger Grünling."

Der Rabe war sichtlich beeindruckt und brauchte ganze drei Minuten, bis er endlich in der Lage war, sich aus der Sprachlosigkeit herauszumanövrieren, die ihn über-rabet hatte. Natürlich machte er sich sofort ans Werk, alle Bewohner von des Pfaues bedeutsamer Aufgabe zu unterrichten. So verließ er den Ast der höchsten Kiefer und flatterte aufgeregt Richtung Boden. Zuerst verkündete er den Bäumen die Wichtigkeit des pfau'schen Werkes: „Der edelste aller Vögel wacht mit Fleiß und Akribie über den Wald, damit keine Flut und keine Wildschweine diesen kaputtmachen und er belehrt euch auch, wenn ihr Fehler macht. Das ist sehr anstrengend, oh ja, das kann ich euch sagen."

Shorties - Kurzgeschichten & Co.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt