#13 'Feli ist traurig' (Kurzgeschichte)

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Felis erstes Gefühl, am frühen Morgen, hält die Fahne der Enttäuschung hoch. Der durchdringende Alarmton ihres Smartphones hat sie ihres Traumes entrissen. Wunderschön war dieser gewesen, voller Erinnerung an Licht und liebliche Farben. Nun jedoch hat der graue Alltag Feli wieder für sich vereinnahmt. Das macht sie traurig.

Ihre Eltern und das kleine Schwesterchen sitzen bereits am Frühstückstisch, als Feli mit zerzausten Haaren in der kleinen Küche auftaucht und gähnt. Es riecht nach Rührei mit Speck, doch genau so gut könnte es nach Asche riechen. Wohlgerüche sind unlängst aus Felis Leben entschwunden. Irgendwann und klammheimlich war dies geschehen. Zu vergleichen mit einer simplen Haarklammer, welche man im hohen Gras verliert. Möglicherweise bemerkt man dies nie oder erst sehr spät und wenn, dann würde sich das Suchen ohnehin nicht lohnen.

Auf das bestgelaunte „Guten Morgen", welches man ihr entgegenbringt, erwidert Feli dieselben inhaltsleeren Worte, bevor sie schließlich am, reich gedeckten, Frühstückstisch Platz nimmt. Felis Vater hat seinen beiden Töchtern süße Pfannküchlein zubereitet. In einer alten, fernen Erinnerung schien es einmal eine Zeit gegeben zu haben, in der Feli diese sprichwörtlich geliebt hatte. Heute schmecken sie nurmehr nach Pappe, welche sie wahlweise mit geruchlosem Industriekleber oder gemahlenem Styroporschnee verfeinern darf.

Teilnahmslos, ob ihrer Vielzahl an Gedanken, lässt sie das Frühstück über sich ergehen, checkt währenddessen ihr Smartphone, um sich anschließend lustlos der Morgenroutine im Badezimmer zu widmen. Den Blick in den Spiegel, vermeidet sie dabei so gut es geht.

Als dies alles begonnen hatte, da war es ein nur ein dunkler Punkt in ihrem Augenwinkel gewesen, der stets vor ihren Blicken davonlief. Mit ihm begannen die Farben der Welt langsam zu verbleichen. Die Gerüche und Geschmäcker verschwanden, nach und nach, in den Äther. Mit fortschreitender Zeit legte sich zudem ein bleierner Vorhang behutsam auf Felis Gemüt. Heute ist der einstmalige schwarze Punkt zu ihrem eigenen, dunklen Schatten herangewachsen, der rast- und lautlos, ohne das ihn sonst jemand wahrnimmt, hinter ihr hergeht. Blickt Feli in ihr eigenes Antlitz, so erblickt sie auch stets den Schatten.

Nicht, dass sie ihn fürchtet. Keineswegs. Er erinnert sie nur jedes Mal daran, wie traurig sie doch ist und das machte sie nur noch trauriger.

Ihre Eltern wünschen ihr einen schönen Schultag, ehe sie das Haus verlässt. Früher, da hatte Feli ihre Mutter stets zum Abschied geherzt, ihr einen Kuss auf die Wange gedrückt. Seit der Schatten jedoch zu ihrem ständigen Begleiter wurde, war auch dieses Bedürfnis schleichend abgeklungen und inzwischen ebenfalls passé. Stattdessen verabschiedet sie sich mit einem schlichten Winken. Ihre Familie winkt ihr zurück. Alle sind sie immerzu glücklich und gutgelaunt. Nur Feli nicht. Feli ist traurig.

Während sie, auf den Bus wartend, an der Bushaltestelle harrt, wirft sie einen Blick auf ihr Smartphone. Ihr übergroßes Taxi rollt derweil an. Sie steigt zu. Ihre Freundinnen erwarten sie bereits im etwas muffigen, aber angenehm warmen Innern. Jedoch, ob warm oder kalt, angenehm oder unangenehm, das macht für Feli unlängst auch keinen Unterschied mehr.

Die sechs Mädchen, durch Feli vervollständigt, waren schon zu Zeiten des Kindergartens eine, unzertrennlich scheinende, Clique gewesen. Während Feli ihre ‚Mädels' zur Begrüßung einzeln umarmt, verzieht sie ihre Mundwinkel so, dass ein jeder ihr ein freudiges Lächeln abkauft. Alles in allem sind es kalte Umarmungen. Pflichtbewusste Einhaltung von Konventionen, derer Feli schon so lange überdrüssig ist. Die Freude, welche Feli einst in Gegenwart anderer, geliebter Menschen verspürte, ist einer monotonen Emotionslosigkeit gewichen. Aus dem fröhlichen, kleinen Mädchen ist mittlerweile ein fleischgewordenes Uhrwerk geworden, welches stoisch vor sich hin werkelt und niemals nie nicht funktioniert.

Auf ihrem Weg zur Schule tauschen sich die Freundinnen lachend über die neuesten Themen aus. Währenddessen schmerzen Felis Grimassen, mittels denen sie den glücklichen Menschen mimt. Niemand bemerkt die Maske, welche sie trägt, niemand den Schatten, der hinter ihr sitzt. Feli verschmilzt zu einem gesichtslosen Randaspekt einer homogenen Masse und täuscht indes Lebensfreude vor, um nicht als trister, grauer Farbtupfer in dieser grellen, bunten Welt aufzufallen. Ihr Blick wandert unweigerlich auf ihr Smartphone, wo sie ihren Fokus für einen kurzen Moment auf den Mittelpunkt verlagert, der so nah, aber doch so weit entfernt von ihr scheint.

In der Schule angekommen, wartet bereits Felis Freund, Bastian, auf sie. Sie küssen sich lange zur Begrüßung. Fühlt sich so der Kuss einer Leiche an? Nass und leblos? Zu Beginn ihrer Liebe hatte Felis Herz gebrannt, ihre Haut gekribbelt, ihr Herz pulsiert. Inzwischen war jegliches Glimmen in ihr erloschen. Beinahe wie ein Lagerfeuer, welches der Regen tötet, indes nur eine dreckige, schwarze Feuerstelle zurücklassend. Wie lange noch würde Feli Bastian ihre innere Verbundenheit vorspielen können? Wie lange kann sie eine derart weit entfernte Erinnerung an ein Gefühl imitieren, welches sie nicht mehr imstande ist zu verspüren? Sie kennt keine Antwort darauf.

Als die Schulglocke den Unterrichtsbeginn einleitet, trennen sich Bastians und Felis Wege vorerst wieder. Erste Stunde, Mathe. Die Schüler bekommen ihre Klassenarbeit zurück. Feli nimmt ihre Arbeitsblätter entgegen und erblickt ihre Note: Sehr gut. Vor einer kleinen Ewigkeit, da hätte sie sich darüber gefreut. Darüber, dass sich ihr unerschütterlicher Fleiß wieder einmal ausgezahlt hätte. Darüber, dass sie ihren, hart erarbeiteten, Ruf als Klassenbeste untermauern konnte. Heute nicht mehr. Heute ist Feli nur noch traurig.

Der Schultag vergeht so schleppend und unspektakulär, wie jeder andere Tag. Am frühen Abend geht es für Feli noch zum Tischtennistraining in ihrem Heimatverein. In jener Sportart hatte sie es bereits früh zum Landesmeistertitel in ihrer Altersklasse geschafft. Im Sommer würde sie neuerlich bei den deutschen Meisterschaften antreten. Ihr Vater, selbst ein ehemaliger, wenn auch unterklassiger, Profi, begleitet sie ein jedes Mal zum Training. Er ist stolz auf seine Tochter, dessen war sich Feli bewusst. Doch auch ‚Stolz' ist kaum mehr als eine Aneinanderreihung an Buchstaben. Ein Wort ohne jegliche Gefühlskonnotation.

Mit dem ausdrücklichen Lob ihres Trainers im Gepäck, verschwindet Feli schließlich, zusammen mit ihren Teamkolleginnen, in der Umkleide. Sie diskutieren ihre Trainingseindrücke und scherzen dabei natürlich auch über ihre misslungenen Aktionen. Alle sind sie geschafft, aber glücklich. Alle? Nun, was die anderen nicht wissen, ist, dass alles, was Feli tut, nur Lug und Betrug ist. Wie ein Regenbogen, an dessen Ende nur ein Topf voller Pech wartet. Auch sie sehen weder Maske, noch Schatten.

Als alle, bis auf Feli, bereits unter der Dusche verschwunden sind, nimmt diese noch einmal ihren Mut zusammen und wagt einen Blick in den Spiegel. Der Schatten ist immer noch da. Er steht, wie gewohnt, hinter ihrem nackten, kurvenlosen Körper. Sie seufzt enttäuscht und nimmt ihr Smartphone zur Hand. Mit dem Daumen tippt sie, wie gewohnt, auf das pink-gelbe App-Symbol.

Für einen kurzen Augenblick nimmt Feli die Wärme der Farben wieder wahr, als sie durch die aktuellen Stories blättert. Alle anderen Menschen haben es offensichtlich besser als sie. Sie besitzen beinahe makellose Körper, verfügen über außergewöhnliche Talente, sind erfolgreich und leben ein aufregendes Leben. Sie alle, das kann man den zahllosen Fotos entnehmen, eint zudem etwas, was noch viel wichtiger ist. Der Glanz in ihren Augen, das Lachen auf ihren Gesichtern. Sie alle sind glücklich. Nur Feli nicht. Feli ist traurig.

Shorties - Kurzgeschichten & Co.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt