#4 'Es war einmal' (Satire)

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Es war einmal ein Mann, der...

Moment Mal! Ein Mann? Warum muss der Held der Geschichte unbedingt ein Mann sein? Wo bleiben die Identifikationsfiguren, die Vorbilder, für junge Mensch*innen?

Oh, war nicht meine Absicht hier jemanden vor den Kopf zu stoßen. Die jungen Menschen sollen natürlich auch mal eine Heldin bekommen.

Es war einmal eine Frau, die...

Halt! Hängst du etwa immer noch in der überholten binären Sichtweise fest?

Wie bitte? Meinst du etwa die Erzählperspektive?

Aha, bist du also auch so jemand, der die menschliche Vielfalt auf zwei Geschlechter reduziert? Eine non-binäre Heldenperson*in  das wäre doch mal was – eine Menstruierende.

Klingt interessant. Schön, wenn das die Geschichte aufpeppt.

Es war einmal eine Menstruierende, die...

Eine weiße Menstruierende etwa?

Naja, ich dachte, ich lasse die Geschichte in einer, an das europäische Mittelalter angelehnten, Gesellschaft spielen, also...

Natürlich: Das weiße Vorherrschafts-Narrativ mal wieder bedienen. Ist es schön in deiner farbenblinden Einsamkeit?

Ich...äh...ich bin nicht einsam und ich mag Buntheit eigentlich sehr, also...

Es war einmal eine schwarze Menstruierende, die...

Vermutlich eine Versklavte?

Nun, man könnte sie als versklavte Person einführen, wenn du magst.

Sicher. Die einzige Rolle, die schwarzen Mensch*innen in der weißen Gesellschaft des Mittelalters zukommt, ist die der Versklavten. Das ist zutiefst rassistisch.

Du hast das doch aufs Tapet gebracht, ich...ok, kein Stress, lass es mich ändern. Rassismus finde ich schließlich auch scheiße.

Es war einmal eine unabhängige, schwarze Menstruierende, die...

Körperbau der menstruierenden Person?

Wie bitte? Nun ja, sie ist schlank und agil, sonst würde sie nicht als Assassinin funktionieren, wie ich es intendiert habe. Wieso fragst du?

Schon mal was von Body Positivity gehört?

Nein!?

Nun, uns werden, in Geschichten wie der deinen, immer schlanke Mensch*innen vorgesetzt, die einem idealisierten, übertriebenen Schönheitsideal entsprechen. Die Realität spricht eine andere Sprache und du solltest dich, so als kleiner Tipp von mir, wirklich mal mehr an der Realität orientieren.

Aber ich schreibe doch Fantasy? Andererseits, ich verstehe schon. Niemand soll sich wegen sowas diskriminiert fühlen.

Es war einmal eine pummelige, unabhängige, schwarze Menstruierende, die...

Pummelig?

Was passt jetzt daran bitte nicht?

Der Begriff ist so negativ konnotiert. Wähle bitte einen neutraleren Begriff.

Es war einmal eine, von der gängigen Schönheitsnorm abweichende, unabhängige, schwarze Menstruierende, die...

Vermutlich auch noch cis-normativ...

Cis-Was?

Nun, es wird doch sicher so enden, dass sich dein/deine Protagonist*in am Ende in einen Mann verliebt und beide dann zusammen glücklich werden und...gääähn...es ist immer das Gleiche.

Nunja, ich finde das eigentlich sehr schön, also wenn zwei sich verlieben. Oder...oder etwa nicht?

Sei doch mal ein bisschen auf Höhe der Zeit. Du könntest ruhig auch mal was für die LGBTQ-Community tun.

Ja, gerne doch! Was schlägst du vor? Soll ich die Heldin vielleicht „bi" anlegen?

Damit sie dann trotzdem am Ende diesen Typen abbekommen kann? Vergiss es! Du negierst alternative Familienkonzepte einfach in Gänze – und das mutwillig.

Ok...?

Es war einmal eine, von der gängigen Schönheitsnorm abweichende, unabhängige, lesbische, schwarze Menstruierende, die...

Ich kann mir nicht helfen, aber dieser Satz ist durchtränkt von Mikroaggression.

Ach? Nun denn, ich glaube ich schreibe viel lieber eine Geschichte über süße, kleine Kätzchen in einer süßen, kleinen Kätzchenwelt voller süßer, kleiner Kätzchenproblemchen!

Ist vermutlich besser so. Du bist nämlich ganz schön intolerant!

Shorties - Kurzgeschichten & Co.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt