Kapitel 3

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Der Wecker meines Handys riss mich aus meinem gemütlichen Schlaf.
Sofort schreckte ich hoch und stieß mir den Kopf an der schrägen Wand.
Ich wohnte immer noch in der Rumpelkammer.
Ich hatte mich nach dem Mittagessen nicht mehr in Megans und Steves Nähe getraut.
Nur noch beim Abendessen hatte ich mich zu ihnen an den Tisch gesetzt, ihnen aber nicht in die Augen geschaut.
Ich hielt mir den Kopf, krabbelte aus dem Bett und suchte meine Klamotten zusammen.
Der erste Tag an der neuen Schule!
Also suchte ich meine schönsten Sachen zusammen: Ein weinrotes Shirt mit Strass, dazu eine enge dunkelblaue Jeans.
Ich lief ins Bad, zog mich an, band meine Haare zu einem schönen Pferdeschwanz zusammen und legte ein bisschen Make-Up auf.
Ja, für den ersten Schultag musste das ja wohl sein!
Ich grinste mein Spiegelbild fröhlich an, öffnete mit Schwung die Tür und lief fast gegen Mom, die mit halb geschlossenen Augen vor der Tür stand.
Sie blickte mich an.
„Layla.", sagte sie.
Wenn sie nur Layla sagt, dann ist sie wütend auf mich.
Ich biss die Zähne zusammen und erwiderte: „Mom."
„Ich war gestern bis nach 1 Uhr auf und habe mich mit Megan und Steve unterhalten. Du weißt sicherlich warum. Ich bin schwer enttäuscht von dir, Layla!"
Mir fielen ihre dunklen Augenringe auf.
„Mom, es tut mir leid!"
„Layla, du hast Megan zutiefst gekränkt mit deinen Fragen!", sagte Mom und schob mich zur Seite.
Sie verschloss die Badezimmertür vor meiner Nase.
Ich starrte die Tür an.
Ein Rauswurf!
Meine Augen füllten sich mit Tränen.
Alle waren böse auf mich.
Megan, Steve, Piffy und Mom.
Nur Paul nicht.
Aber mein Bruder und ich hatten eh nicht das beste Verhältnis.
Also alle!
Ich unterdrückte die Tränen.
Die halfen jetzt auch nicht weiter.
Was war bloß so privat in diesem Zimmer?
Die Schublade war leer, also war dort doch nichts Besonderes.
Oder?
Ganz langsam schlurfte ich die Treppe hinunter.
Der Tisch war gedeckt.
Für eine Person.
Daneben standen Milch, Brot, Wurst und Butter.
Ich seufzte traurig.
Es aß also keiner mit mir.
Ich setzte mich hin, schmierte mir ein Brot und schenkte Milch in die Tasse.
Doch ich war nicht hungrig.
Ein dicker Kloß hatte sich in meiner Kehle gebildet.
Gerade mal 2 Tage in diesem Haus und schon alle gegen mich aufgebracht.
Ich hielt das Brot in der Hand.
Es wollte nicht in meinen Mund wandern.
Also stand ich auf und suchte nach Folie.
Ich wollte allerdings nicht in allen Küchenschränken herumkramen.
Deshalb nahm ich das Erste, was mir in die Hände fiel:
Papier für den Backofen.
Ich zuckte mit den Schultern und wickelte das Brot kurzerhand darin ein.
Meine Umhängetasche aus dunklem Leder stand schon gepackt mir Blöcken und Stiften vor der Haustür.
Ich musste auf Mom warten.
Schließlich wollte sie mich zur Schule und danach zum Arbeitsamt fahren.
Ohne sie würde ich wohl kaum pünktlich zur ersten Stunde kommen.
Wenn überhaupt jemals zum Gymnasium.
Ich packte das Brot in meine Schultasche, zog meine neuen Stiefel an und klemmte meinen Mantel unter den Arm.
Dann wartete ich vor der Tür.
Ich wartete.
Und wartete.
Die Minuten verstrichen.
Und irgendwann kam Mom dann die Treppe herunter.
„Mom, wir müssen los!", rief ich und tippte ungeduldig auf meine Armbanduhr.
Mom schaute mich an.
„Hast du etwas gegessen?", fragte sie.
Ich deutete auf meine Tasche.
„Bitte Mom, ich will nicht zu spät kommen!"
Ich trat von einem Fuß auf den anderen.
Mom war die Ruhe selbst.
„Ich kaufe mir dann halt etwas beim Bäcker.", murmelte sie und kam auf mich zu.
In aller Ruhe zog sie sich ihre Schuhe an, nahm ihre Jacke von der Garderobe und schloss die Tür auf.
Ich lief voraus zum Auto und setzte mich auf den Beifahrersitz.
Mom stieg ein, startete den Motor und gab die Adresse meines Gymnasiums ein.
Ich wippte mit dem Fuß.
Die Zeit rannte.
Ich würde es niemals zu ersten Stunde schaffen, wenn Mom noch zum Bäcker wollte.
„Mom bitte, ich komme zu spät!", quengelte ich.
Mom fuhr ohne etwas zu erwidern los.
Ich atmete aus.
„Es tut mir wirklich leid. Ich tue es auch nicht wieder, glaub mir bitte!"
„Layla, es geht doch darum was du schon getan hast. Du hast...", murmelte Mom, brach aber ab.
Ich schaute sie von der Seite an.
„Was habe ich?"
Doch sie schwieg.
Zu meinem Glück brachte Mom mich aber auf direktem Weg zur Schule.
„So, mein Spätzchen, ich wünsche dir viel Glück an deiner neuen Schule. Ich bin mir sicher, du schaffst das!"
Ich lächelte.
Mom hatte mich wieder Spätzchen genannt.
Ich schnappte meine Umhängetasche und stieg aus dem Auto aus.
Sofort waren alle Blicke auf mich gerichtet.
Alle Blicke der herumstehenden Schüler.
Ihre Gespräche verstummten.
Ich wurde rot wie eine Tomate.
Denn mir fiel in diesem Moment auf, dass ich komplett das Falsche angezogen hatte.
Die Schüler trugen Schuluniformen!
Dunkelblaue Jäckchen, darunter ein weißes Hemd, hochgezogene Kniestrümpfe und, die Mädchen, einen blauen Rock.
Sie sahen ziemlich genauso aus wie das Mädchen auf dem Fahrrad.
Ich drehte mich um und wollte Mom aufhalten, doch gerade in dem Moment fuhr sie winkend weg.
Wie konnte sie mich denn hier ganz alleine lassen?
Ich kannte mich doch noch nicht mal aus!
Wie sollte ich denn jemals mein Klassenzimmer finden?
Noch dazu so falsch gekleidet?
Die Schüler starrten mich immer noch an und machten keinen Mucks.
„Hi.", sagte ich mutig.
Und als hätte jemand ein Audio angeschaltet, lachten die Schüler alle auf einmal los.
Ich schaute mich schnell um.
Wo war der Haupteingang?
Dahinten!
Ich rannte los. Durch die Allee, wo die Parkplätze waren.
Ich öffnete die Tür des Haupteinganges.
„Ach, Layla, da bist du ja!"
Ich zuckte zusammen und drehte mich um.
Das Mädchen mit ihrem Fahrrad.
Also, nun hatte sie es nicht dabei...
Aber es war eindeutig das Mädchen!
„Hi.", sagte ich wieder und straffte die Schultern.
„Von der Kleiderordnung hast du auch noch nichts gehört, was?", sagte das Mädchen und musterte meine Jeans und meine Jacke.
Ich konnte nichts sagen.
Meine Lippen klebten förmlich zusammen.
„Ach, ist das Layla?"
Noch ein Mädchen tauchte auf.
„Ja, das bin ich!", presste ich hervor.
Nicht noch Eine, die mich heruntermachen wollte.
„Das ist ja schön, dass ich dich schon treffe! Ich hatte schon Angst, dich stundenlang suchen zu müssen."
Das Mädchen lächelte mich freundlich an.
Konnte ich ihr trauen?
„Ich bin Katie, deine Begleiterin für die ersten Tage!"
Das Mädchen, also Katie, streckte mir die Hand entgegen.
Ich atmete auf.
Eine Begleiterin.
Und dazu noch eine nette.
„Komm, ich zeige dir alles!"
Sie schnappte mich und zog mich mit sich.
„Viel Spaß Loserin!", rief das andere Mädchen.
Katie stoppte und drehte sich mit gefährlich zusammengekniffenen Augen um.
„Melissa, das war ja mal wieder klar, dass du die Neue heruntermachst!", zischte sie.
Aha, Melissa hieß sie also!
Melissa warf ihr langes braunes Haar nach hinten und zog ab.
„Du musst du nicht so ernst nehmen, Layla. Melissa ist einfach...naja, nicht nett!"
Katie fuhr sich durch ihre schwarzen Locken und zog mich wieder mit sich.
Sie zeigte mir die Mensa, die Pausenhalle, die 2 großen Pausenhöfe und die Trakte mit den Klassenzimmern.
Das Gymnasium war riesig.
Aber wirklich komplett grau.
Nicht ein bisschen Farbe!
Keine bunten Tür- oder Fensterrahmen.
Ich fühlte mich in diesem grauen Klotz irgendwie nicht wirklich wohl.
Da klingelte es zur ersten Stunde und ich zuckte zusammen.
„Oh, komm, wir holen dir jetzt deine Schuluniform.", sagte Katie und zog mich wieder mit.
Uff, ich hatte also nichts verpasst.
Die Uniform war im Gymnasium hinterlegt!
Katie zog mich wieder durch graue Flure, bis wir vor einer Tür mit der Aufschrift Ankleidezimmer standen.
„Los, klopf du!", forderte Katie mich auf und deutete auf die graue Holztür.
Ich zuckte mit den Schultern und klopfte.
Die Tür wurde geöffnet und ein kleiner Rotschopf streckte seinen Kopf hindurch.
„Sie wünschen?", fragte er vornehm und drückte seine kleine randlose Brille, die hinunter gerutscht war, zurück auf seine sommersprossige Nase.
„Paskal, lass uns rein. Lay hier braucht ihre Uniform.", erklärte Katie und verdrehte genervt die Augen.
Paskal zog die Tür ganz auf, sodass wir eintreten konnten.
Ich atmete erleichtert auf.
Der Ankleideraum war bunt.
Zumindest ein bisschen.
„Größe?", fragte Paskal und schob seine Brille erneut hoch.
Ich hatte keine Ahnung.
„Vielleicht 164, 172, S...Ich habe keine Ahnung!", sagte ich und zuckte mit den Schultern.
Paskal suchte meine vorgeschlagenen Größen heraus und ich musste sie anprobieren.
Da S ziemlich klein ausfiel, passte die Uniform mir perfekt.
„So und jetzt gehen wir in den Unterricht!", rief Katie und schob mich zur Tür hinaus.
Nachdem sie die Tür geschlossen hatte, atmete sie erleichtert aus.
„Paskal ist einfach nur anstrengend.", sagte sie und zog mich wieder mich.
Mein linker Arm schmerzte schon ziemlich von Katies spitzen Fingernägeln.
Kurze Zeit später standen wir vor dem Biologiesaal.
Katie klopfte und eine Lehrerin öffnete die Tür.
Sie war alt, grau und lächelte nicht.
„Na endlich, da seid ihr ja.", sagte sie mit rauer eiskalter Stimme.
Mir kroch eine Gänsehaut den Rücken hinunter.
Katie huschte geduckt in den Raum und ich wollte hinterherlaufen, doch die Lehrerin stemmte ihren Arm in die Tür, sodass ich nicht eintreten konnte.
„Und du bist?", fragte sie und musterte mich mit ihren grellgrünen Augen.
„Layla.", flüsterte ich.
Ich schien unter dem Blick der Frau zu schrumpfen.
„Aha, Layla, dann stell dich mal der Klasse vor.
Sie lächelte fies und ich entdeckte schiefe gelbe Zähne.
Ich schluckte und betrat ganz langsam den riesigen Saal.
27 Augenpaare starrten mich an und ich strich mir eine lose Strähne hinters Ohr.
Ich entdeckte Katie.
Sie grinste mich an und reckte den Daumen in die Höhe.
Es war komplett still.
Keiner sagte ein Wort.
Ich auch nicht.
Ich hatte große Angst vor größeren Mengen zu sprechen.
In der ersten Reihe räusperte sich jemand.
Die Lehrerin trat an meine Seite und stieß mich leicht an.
„So, das klappt ja mal wieder nicht. Bevor wir mit ihr die ganze Stunde verplempern, stelle ich sie vor. Das ist Layla, einen Nachnamen hat sie wohl nicht, Hobbys hat sie auch nicht und anscheinend auch keine Stimme mehr. Setz dich einfach nach hinten zu Elisabeth."
Ich ließ meinen Blick über die Schüler streifen und entdeckte den letzten freien Platz neben einem großen dicken Mädchen mit dunkelbraunen Haaren und einer Schweinsnase.
Da sollte ich mich hinsetzen?
Bloß nicht!
Lieber würde ich im Boden versinken!
Doch schon bekam ich wieder einen kleinen Stoß von der Lehrerin und ich stolperte direkt in den Gang zwischen all den Tischen.
Wieder waren alle Augen auf mich gerichtet.
Ich richtete mich auf, straffte die Schultern und stolperte prompt über meine eigenen Füße.
Ich fiel auf die Knie und alle lachten mich aus.
Mit hochrotem Kopf huschte ich zu der dicken Elisabeth und setzte mich auf den Stuhl neben ihr.
Viel Platz hatte ich nicht gerade.
Und Elisabeth guckte mich auch noch so an als sei ich ein noch nie gesehenes Wesen vom Mars.
Ich versuchte ein kleines Lächeln, doch sie erwiderte es nicht.
Vorne legte die Lehrerin wieder los mit ihrem Unterricht.
Irgendwann wanderte ein kleiner Zettel zu mir.
Ich öffnete ihn unter dem Tisch.
Er war von Katie:

The secret in the crystalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt