Nach der Schule stapfte ich durch den Park zum Friedhof.
Vielleicht würde ich ihn gar nicht finden und...
Mein Blick fiel auf die Wegweiser am Straßenrand.
Sie waren alt und morsch, dennoch konnte ich die Wörter darauf entziffern.
Der Park war so ziemlich das Einzige, was in dieser Stadt nicht trostlos war.
Die Bäume hatten schon grüne Blättchen und Vögel zwitscherten.
Die Sonne schien warm und ich zog meine Jeansjacke aus.
Die Wegweiser zeigten in verschiedene Richtungen und auf einem stand leider in großen Druckbuchstaben Friedhof.
Ich seufzte, warf meine Jacke über die Schulter und folgte dem Schild.
So hatte ich wohl leider keine Ausrede.
Der Weg führte mich direkt zu dem großen alten Friedhof, der mit der riesigen fast zertrümmerten Kirche im Mondlicht bestimmt gruselig aussah.
Eine Gänsehaut legte sich auf meine Arme und kroch mir den Rücken hinunter.
Nein, ich würde stark bleiben!
Ich würde mich Isabelle stellen!
Ich würde...
„Ach, da ist sie ja!"
Ich schaute zur Kirche hinauf.
Dort standen Isabelle und Katie.
Ich blieb stocksteif stehen.
Mitten auf dem schmalen Weg.
Hinter mir hörte ich eine Fahrradklingel.
Ich drehte mich um und sah dem Radfahrer mit seinem Rennrad entgegen.
Meine Füße wurzelten sich im Boden fest.
„Weg da, Mädchen!", rief der Radfahrer mir entgegen, denn er konnte sein Rad nicht mehr bremsen.
So schnell wie er durch den Park raste, war das bestimmt nicht erlaubt.
Ich starrte ihn nur an.
Ich war unfähig mich zu bewegen.
Ich war in eine Schockstarre verfallen.
Neben mir war kein Grasstreifen, sondern ein Graben und daneben Bäume.
Der Radfahrer konnte mir nicht ausweichen.
Er war zu schnell um zu bremsen.
Ich war im Boden festgewachsen.
„HEEEEY, GEH WEG DA!", rief nun auch Katie und sprintete los.
Der Radfahrer wich mir dennoch aus und rempelte mich dabei hart an der Schulter.
Kopfüber stürzte er mit seinem Rad in den Graben.
Sein Hinterrad erwischte mich am Kopf und ich taumelte rückwärts.
Dann fiel ich in den Graben am anderen Straßenrand.
Ich hörte noch Katies entsetzen Schrei.
Dann klappten meine Augen zu und alles um mich herum wurde schwarz.
„Layla? Layla! Layla, hörst du mich?"
Ich spürte viele leichte Schläge an meiner Wange.
Benommen blinzelte ich in die helle Sonne.
Katie holte aus und gab mir eine Backpfeife.
„Au!"
Ich riss die Augen und starrte Katie an.
Mein Kopf lag auf meiner Umhängetasche.
Ich sah die Sanitäter, die den verletzten Radfahrer auf einer Trage zum weit entfernten Krankenwagen schoben.
Mein Kopf hämmerte.
Ich fasste mir an die Stelle und ertastete einen Verband.
Katie sah mich besorgt an.
„Layla, alles gut bei dir?"
Ihre Stimme klang ehrlich besorgt.
Isabelle stand neben ihr und hatte die Arme verschränkt.
Ihr Mund war ein einziger Strich.
Ich traf ihren fast tödlichen Blick.
„Was ist mit dem Radfahrer?", fragte ich heiser.
Meine Stimme hatte wohl irgendwie unter dem Unfall gelitten.
„Er hat sich laut den Sanitätern den Arm gebrochen und ein paar miese Platzwunden zugezogen.", erklärte Katie und setzte sich neben mich auf den Kiesweg.
Ein Sanitäterin kam zu uns und fragte mich, wie es mir ging.
Mir war ein bisschen schwummerig und mein Kopf tat weh, aber sonst war alles soweit okay.
Ein Polizeiauto fuhr vor und 2 Polizisten stiegen aus.
Sie sprachen mit den Sanitätern und kamen dann auf mich zu.
„Kannst du dich an den Unfall erinnern?", fragte einer der Polizisten und kniete sich zu mir.
Ich nickte.
„Kannst du mir den Hergang erzählen?"
Ich nickte nochmal.
Und dann begann ich den kompletten Unfallhergang zu erzählen.
Wie ich bei Isabelles Anblick vor der gruseligen Kirche stehengeblieben war.
Wie der viel zu schnelle Radfahrer mich aus dem Weg klingeln wollte.
Wie ich mich vor Schreck nicht bewegen konnte.
Wie der Radfahrer in den Graben auswich.
Wie ich rückwärts in den Graben fiel.
Der Polizist hörte mir zu.
Er unterbrach mich nicht.
Er schrieb nur auf einem kleinen Notizblock mit.
„Der Radfahrer war zu schnell, das ist klar! Hier muss man absteigen, weil der Weg so schmal ist.", sagte er dann.
Er stand auf und sprach mit seinem Kollegen.
Und dann sah ich, wie Moms Wagen mit quietschenden Reifen neben dem Polizeiauto hielt.
Mom und Megan sprangen heraus und kamen auf mich zu.
Die Polizisten hielten sie kurz auf.
„Ich bin die Mutter, lassen sie mich durch!", rief Mom aufgebracht.
Ich schaute ihr entgegen und rang mir ein kleines Lächeln ab.
„Schatz, was hast du gemacht? Warum bist du hier? Was ist passiert?"
Sie strich mir übers Haar und drückte mich an sich.
„Mom.", flüsterte ich.
Knapp 30 Minuten später saß ich auf dem Sofa Zuhause.
Es war komisch, Megans und Steves riesige Villa mein Zuhause zu nennen.
Dennoch war es so.
Ich wohnte nun in einer Villa.
Und das würde wohl auch erst mal so bleiben.
Mom hatte nicht vor umzuziehen.
Ich musste ihr, Megan, Steve und Paul wieder und wieder erzählen wie es zu diesem tragischen Unfall kurz vor dem Friedhof gekommen war.
Natürlich musste ich dann auch von Isabelle erzählen.
Megan kannte die Geschichte von Isabelle ja schon, aber Mom war vollkommen entsetzt.
„Warum hast du denn nichts erzählt?", fragte sie zum bestimmt 10 Mal.
„Weil du mir nicht geglaubt hättest! Du hast doch auch in Katharina das Gute gesehen!"
Ich funkelte Mom an und bekam sofort Kopfschmerzen.
Bestimmt hatte ich eine Gehirnerschütterung.
Mom funkelte zurück.
Zum Glück mischte Megan sich im passenden Moment ein: „Es ist ja wohl klar, dass wir das alles der Direktorin erzählen müssen. Sie muss etwas gegen diese Isabelle etwas ausrichten!"
„Aber wir haben keine Beweise!", erwiderte ich unglücklich.
„Doch, dich!", rief Paul dazwischen.
Ich musste kichern.
Aber Paul meinte es ernst.
„Wir haben dich, du kannst der Direktorin alles erzählen!"
Das klang gar nicht so abwegig.
Aber würde Mrs Jones mir glauben?
Wohl kaum.
Katie konnte so unschuldig und treu gucken und Isabelle...
Isabelle war einfach nur bildhübsch.
„Ja Layla, du musst deiner Direktorin das alles erzählen! Erst dann kann sie etwas gegen Isabella und Katia-"
„Isabelle und Katharina!", verbesserte ich schnell.
Steve rollte mit den Augen.
„Erst dann kann sie etwas gegen die beiden ausrichten!"
Mom und Megan stimmten zu.
„Gleich morgen!", rief Paul.
Mom schüttelte den Kopf.
„Nein, Layla ist krank. Sie geht morgen nicht zur Schule."
Ich überlegte.
„Und wenn wir einfach nur zu Mrs Jones gehen und danach wieder nach Hause fahren?"
Megan nickte.
„So machen wir's!"
Und wirklich, genauso machten wir es.
Ich klopfte an Mrs Jones Bürotür.
„Herein!"
Ich trat ein und Mom folgte mir.
„Ach, Layla, und Mrs Millar, was machen Sie denn hier? Müsstest du nicht längst im Unterricht sein, Layla?"
Mrs Jones deutete auf die beiden Stühle.
Mom lächelte verunsichert.
„Ja, das müsste sie. Aber es gibt ein Problem mit 2 ihrer Schülerinnen."
Ich setzte mich neben Mom.
Mrs Jones' Blick fiel auf das riesige Pflaster an meinem Kopf.
„Na dann erzähl mal."
Und ich erzählte.
Von meiner ersten Begegnung mit Isabelle, ihre Ansage mit dem Friedhof um Mitternacht zur Aufnahmeprüfung, Katies Steinchenwurf-Aktion, ihre Aktion auf der Straße, Isabelles Drohungen in der Schule, ihre erneute Ansage mit dem Friedhof nach der Schule und schließlich von dem Unfall.
Mrs Jones runzelte die Stirn.
Sie wusste wohl auch nicht so ganz, ob sie mir glauben konnte.
Mom war ebenfalls ganz still.
So ausführlich hatte ich es ihr nämlich auch nicht erzählt.
„Aber sie werden es ganz sicher leugnen.", sagte ich zum Schluss und ließ den Kopf hängen.
„Katharina und Isabelle sagst du?"
Mrs Jones tippte auf ihrer Tastatur und zeigte mir schließlich 2 Bilder, die sie in einer Datei mit den Schülerfotos gespeichert hatte .
Es waren tatsächlich Isabelle und Katie.
Ich nickte.
„Von Isabelle wurde mir schon öfters erzählt."
Mrs Jones stand auf und ging zu einem Mikro.
Schon ertönte ein Gong.
Dann Mrs Jones Stimme: „Ich bitte die beiden Schülerinnen Katharina Wilson und Isabelle Martin in mein Büro!"
Wieder ertönte der Gong.
„So, jetzt müssen wir nur noch warten.", sagte sie und lächelte.
5 Minuten später trat Katie ins Büro.
Sie hatte die Schultern hochgezogen und ihr Blick huschte im Zimmer herum.
Als sie mich entdeckte, stockte ihr der Atem.
„Katharina, gut, dass du da bist!"
Mrs Jones hatte einen weiteren Stuhl an ihren Schreibtisch gestellt und Katie setzte sich sich.
Dann kam auch Isabelle.
Sie allerdings schien nicht wirklich ängstlich zu sein.
Sie warf im Laufen ihre Haare zurück.
„Was verschafft mir die Ehre, Mrs Jones?", flötete sie mit zuckersüßer Stimme.
„Setz dich doch bitte neben Layla."
Isabelle presste die Lippen aufeinander, setzte sich dann aber neben mich.
„Es liegen mir hier mehrere brutale Geschichten von Schülerinnen vor, die mir in allen Einzelheiten geschildert haben, dass du sie verletzt, ausgenutzt und psychisch völlig fertig hast."
Mrs Jones schaute Isabelle genau in die Augen.
„Kannst du das nachvollziehen, was sie mir erzählt haben?"
Isabelle schüttelte den Kopf.
„Nein, das kann ich nicht. Ich weiß nicht wo diese Schülerinnen das herhaben.", sagte sie und plinkerte mit ihren langen Wimpern.
Katie atmete schnell und sie war ganz blass.
„Doch.", flüsterte sie dann, „Sie war es."
Isabelle sprang auf.
„WAS SAGST DU DA, DU KLEINES MISTSTÜCK?", schrie sie.
Katie richtete sich auf.
„Ja, sie war es! Ich kann es bezeugen! Ich bin ihre Helferin, doch bitte glauben Sie mir, ich wollte das wirklich nicht!"
Isabelle stemmte die Hände in die Hüften und funkelte Katie an.
„DU SPINNST JA WOHL!"
„Isabelle, setz dich bitte wieder hin!", sagte Mrs Jones mit fester Stimme.
Isabelle ließ sich vor Wut schnaubend auf ihren Stuhl zurückfallen.
„Katharina, ist das war, was du hier gerade erzählst?", fragte die Direktorin dann.
Mom und ich saßen nur still da und hörten zu.
Katie nickte und schielte zu mir hinüber.
„Es ist aus, Katharina!", zischte Isabelle, „Du gehörst nicht mehr zu meiner Ban-"
Sie legte sich ihre lackierten Fingernägel auf die Lippen.
Beinahe hätte sie ausgeplaudert, dass sie die Chefin der School Rockers war.
„Wolltest du Bande sagen, Isabelle?", fragte Mrs Jones eindringlich.
Isabelle lächelte charmant und schüttelte den Kopf.
„Doch, wollte sie! Sie ist die Chefin einer Mobber-Bande!", riefen Katie und ich wie aus einem Mund.
„Bin ich nicht!", blaffte Isabelle.
Mrs Jones tippte wieder auf ihrer Tastatur.
„Gefährliche Mutproben, Einschüchterung, Schülerinnen wollen nicht mehr zur Schule...", las sie vor.
„Isabelle Martin, ich rufe jetzt deine Eltern an, damit sie herkommen und ich mit ihnen reden kann. Katharina, du gehst bitte wieder in den Unterricht. Und Layla, du darfst nach Hause gehen!", bestimmte Mrs Jones.
Ich lächelte ein bisschen.
Das war dann wohl geglückt!
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The secret in the crystal
Teen FictionWir zogen zu meiner Tante und meinem Onkel in eine trostlose, graue Stadt. Ihre riesige Villa birgt viele Geheimnisse. Und dann ist da diese rote Tür. Wem gehört das Zimmer wohl? Und warum will meine Familie unbedingt, dass ich mich von diesem Zimme...