Mom wartete vor dem Haupteingang auf mich.
Ich lief Seite an Seite mit meiner neuen Freundin Susan auf sie zu.
„Na, wie war der erste Schultag?"
„Erzähl ich dir später. Das ist Susan.", sagte ich und lächelte.
Dieses Dauerlächeln hatte ich schon seit 2 Stunden auf dem Gesicht.
Susan und ich waren zusammen in die Unterrichtsstunde gegangen und hatten uns nebeneinander gesetzt.
Elisabeth hatte auch nicht schlecht geguckt.
Susan war auch neu und in meiner Klasse.
Die erste Stunde hatte sie verschlafen und zur zweiten Stunde war sie zu spät gekommen.
Sie war auch sonst ein ziemlicher Tollpatsch.
Wir waren schon beste Freundinnen.
Susan wohnte gar nicht mal weit entfernt.
Was ein Zufall!
Und sie musste mit dem Bus fahren.
„Mom, können wir Susan mitnehmen? Sie wohnt nicht weit entfernt von uns."
Mom nickte und wir stiegen ins Auto.
Susan beschrieb uns den Weg zu ihrem Zuhause.
Einem kleinen Haus mit großem Garten.
Wir luden sie dort ab und verabredeten uns für den nächsten Morgen.
Dann erzählte ich Mama von meinem Schultag.
Doch die Sache mit den School Rockers und dem Friedhoftreff verschwieg ich ihr.
Ich konnte ja einfach nicht bei dieser Versammlung erscheinen, das war doch überhaupt kein Problem, oder?
Dass es ein Problem war, merkte ich spätestens um kurz vor Mitternacht, als kleine Steinchen gegen mein Fenster flogen und mich aus dem Schlaf rissen.
Während ich in der Schule gewesen war hatte Steve mein Bett, meine Schränke und meine anderen Sachen in mein größeres Zimmer gebracht.
Dort hatte ich viel besser geschlafen.
Bis zum Steinchen-Wurf-Zeitpunkt.
Ich schreckte hoch und saß sofort senkrecht im Bett.
Die Steinchen klackerten an mein Fenster und ich stand langsam auf, um es zu öffnen.
Gerade als ich den Fenstergriff umlegte und das Fenster öffnete, flog ein besonders großer Stein hoch zu mir.
Ich riss schlagartig das Fenster ganz auf und fing den Stein in letzter Sekunde auf, bevor er mit lautem Krachen durch die Scheibe schoss.
„Ey!", rief ich leise und beugte mich heraus.
Unten stand eine dunkel gekleidete Gestalt.
„Lays, komm, deine Prüfung!"
Ich erkannte Katies Stimme und schloss das Fenster ganz schnell.
Katie griff wieder ein paar Kieselsteine und warf damit mein Fenster ab.
Es klackerte und klackerte und klackerte.
Ich stöhnte, gab die denn nie auf?
Ich schaute auf den großen Stein in meiner Hand.
Sollte ich ihn wieder runterwerfen?
Nein, dann würde Katie ihn zurückwerfen.
Ich öffnete trotzdem mein Fenster erneut, nahm den Stein und zielte so, dass er kurz vor Katie aufprallen würde.
Es klappte.
Katie sprang erschrocken zurück und ich schloss mein Fenster, ließ die Rollläden herunter und legte mich ins Bett zurück.
Klack.
Klack.
Klack.
Ich stieß wütend die Luft aus.
Gab die denn niemals Ruhe?
Ich musste mit ihr sprechen.
Auge in Auge.
Also huschte ich leise über den Flur, die Treppe runter und in den Garten.
Barfuß und ohne Jacke trat ich aus der Haustür.
„Katie, was soll das?", fragte ich leise und rieb mir die nackten Arme.
Es war eiskalt draußen.
„Deine Aufnahmeprüfung steht an! Du kannst dich nicht davor drücken!", sagte Katie mit eiskalter gefühlloser Stimme.
„Nein, ich habe dir doch gesagt, ich mache da nicht mit!", erwiderte ich und ging wieder zurück zur Haustür.
„Okay okay, ich sag Isabelle und Susan, ich habs versucht!", murmelte Katie und ging ebenfalls.
Ich horchte auf.
„Susan?"
Katie grinste und drehte sich wieder zu mir herum.
„Ja, Susan. Sie wartet beim Friedhof auf dich."
Ich runzelte die Stirn.
Susan konnte davon gar nichts wissen.
Sie war noch nicht von Isabelle angesprochen worden.
„Das stimmt nicht. Du lügst!", rief ich empört, sprang die Treppen zur Haustür hinauf und drückte gegen die Tür.
Doch sie war verschlossen.
Ich hatte die Tür hinter mir ins Schloss fallen lassen.
Mist!
„Gut, dann musst du ja mitkommen.", sagte Katie und packte mich einfach am Arm.
Wieder genau an ihrer Lieblingspackstelle, die schon ziemlich blau war.
„Lass mich los!", nörgelte ich und versuchte Katie den Arm umzudrehen.
„Vergiss es, Lays!", zischte diese und packte mich erneut.
Ich wusste nicht, was ich machen sollte.
Ich konnte doch nicht mitten in der Nacht aus dem Haus gehen.
Okay, das war ich ja schon.
Tja...
Aber ich konnte doch nicht mitten in der Nacht auf den Friedhof gehen.
Katie zog mich immer noch mit.
Entschlossen stemmte ich meine Füße in den Boden, wendete einen Befreiungsgriff an und drehte Katie zusätzlich noch beide Arme auf den Rücken.
Sie fiepte vor Schmerz laut auf, wie ein Hund, dem man auf den Schwanz tritt.
„Du lässt mich gefälligst in Ruhe, Miststück!", rief Katie laut.
„Sie leise!", flüsterte ich, drehte ihr nochmal den Arm um und sprintete zur Haustür, um zu klingeln.
Der Klingelknopf klemmte und ich schlug dagegen.
Die Melodie erklang.
Oben im Haus gingen viele Lichter hinter den Fenstern an.
Und wenig später ging die Tür auf.
Doch ich war nicht mehr da.
Katie hatte mich ebenfalls mit einem Klammergriff gegriffen und auf die Straße gezogen.
Megan stand in der Tür und schaute in die Dunkelheit.
„MEGmpfpm!"
Ich wollte nach meiner Tante rufen, doch Katie presste mir ihre Hand auf den Mund.
Sie war schwitzig und ekelhaft.
Megan schüttelte den Kopf und murmelte: „Diese betrunkenen Jugendlichen."
Naja, fast.
Jugendliche ja.
Betrunken nein.
Nur fast erfroren.
„Nun sei jetzt endlich still!", sagte Katie und zog mich den Schotterweg entlang.
Ich strampelte immer wieder und trat Katie in die Seite.
Sie fluchte und trat zurück.
„Was willst du von mir?", prustete ich, als Katie ihre Hand endlich von meinem Mund nahm.
„Ich gar nichts. Aber Isabelle will, dass du diese Mutprobe machst."
Ich wollte nicht in diese Gruppe.
Ich wollte doch einfach nur wieder ins Haus.
Die Kieselsteine pieksten meine nackten Füße.
Ich humpelte schon.
Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen, holte tief Luft und rief so laut ich konnte: „LASS MICH LOS, KATIE! ICH WILL DAS NICHT!"
Hoffentlich hörte mich jemand.
Das wäre meine einzige Chance.
Da öffnete sich die Tür unseres Hauses zum zweiten Mal und Megan stürmte heraus.
„MEGAN!", schrie ich.
Und zum Glück hörte Megan mich erneut.
Und sie sah mich auch.
„Lass sie los, du Mistkerl!", rief Megan und stürmte auf Katie zu.
Katie ließ mich schlagartig los und rannte weg.
Megan kam bei mir an und stützte sich auf ihren Knien ab.
„Wer war das?", keuchte sie.
„Katharina, aus meiner Klasse.", murmelte ich.
Und dann musste ich erzählen.
Und zwar alles!
Draußen, auf dem kalten Schotterweg.
Das war Megan wohl egal.
Sie ließ mich erst ins Haus, nachdem ich alles erzählt hatte.
Da hatte ich bestimmt schon Eisklötze an den Füßen.
Megan schimpfte nicht.
Sie war nur unglaublich zornig auf Katie und Isabelle.
„Mädel, du gehst morgen nicht in die Schule. Deine Mom und ich gehen morgen früh zur Direktorin und-"
Ich unterbrach meine Tante.
„Die weiß das doch! Ich habe es ihr doch erzählt. Okay, nicht alles...Nur, dass Katie mich sitzen lassen hat."
Megan nickte.
Ich musste niesen.
Toll, jetzt hatte ich mir auch noch eine miese Erkältung eingefangen!
„Jap, du bleibst morgen Zuhause!", bestimmte Megan und schob mich ins Haus.
Sie hatte die Tür nicht ganz zugemacht, so konnten wir sofort ins Haus.
Die Fußbodenheizung fühlte sich gut unter meinen eiskalten Füßen an.
Megan machte mir einen heißen Kakao und holte eine große Keksdose aus einem der Küchenschränke.
Sie setzte sich zu mir an den Tisch und überreichte mir warme Socken.
Schweigend saßen wir uns gegenüber und nahmen abwechselnd einen Keks.
Es war Piffy, der schließlich das Schweigen mit seinem hellen Bellen unterbrach.
Er hatte mich wohl jetzt erst entdeckt und knurrte.
„Ach Piffy, lass sie in Ruhe!", seufzte Megan und hob den Zwergspitz kurzerhand auf ihren Schoß.
Aus dunklen Hundeaugen starrte Piffy mich an und knurrte noch einmal.
Ich hatte ehrlich Angst vor diesem kleinen Hund, der mir nur bis zum Unterschenkel ging.
„Uaaah, ich bin schrecklich müde, ich geh ins Bett. Gute Nacht, Megan!", meinte ich, stand auf und lief die Treppe hoch.
Dabei ließ ich Piffy nicht aus den Augen.
Oben angekommen rannte ich dann los , öffnete hastig die Tür zu meinem Zimmer und schloss sie 2 Mal hinter mir ab.
Warum ich so eine Angst hatte?
Keine Ahnung!
Schnell legte ich mich mit ungeputzten Zähnen ins Bett und versuchte schnell einzuschlafen.
Das klappte natürlich nicht.
Gedanken sprudelten in meinem Kopf herum.
Was wollte Isabelle mir auf dem Friedhof sagen?
Warum hatte Katie mich so rabiat mitgezogen?
Sie hatte sich doch damit abgeben können, dass ich nicht in die School Rockers Gruppe wollte.
Sie hätte mich einfach ausschließen können und alles wäre gut gewesen.
Ich hatte ja Susan!
Irgendwann, verloren in Gedankenwirbeln, war ich eingeschlafen.
Als der Wecker dann klingelte, wollte ich ihn am liebsten aus dem Fenster schmeißen, damit er Ruhe gab.
Doch die Schule rief.
Ich wühlte mich mühsam aus dem Bett und taperte auf den Flur.
„Nein nein nein, junge Dame, rasch ins Bett, du bist krank und bleibst Zuhause!"
Ich zuckte zusammen.
Megan kam mit schnellem Schritt auf mich zu und schickte mich zurück ins Bett.
Das war mir gerade recht.
Sofort schlief ich wieder ein.
„Layla, aufwachen, dein Frühstück wartet auf dich.", flüsterte jemand in mein Ohr.
Ich schlug die Augen auf und schaute in Steves lächelndes Gesicht.
Ich lächelte zurück.
„Carol und Megan sind gerade in deine Schule gefahren. Komm runter, dann können wir auf der Terrasse frühstücken.", flüsterte Steve und verließ leise mein Zimmer.
Mom und Megan waren weg?
Dann hatte ich ja den ganzen Tag um das Haus zu erkunden und vor allem Louisas Zimmer.
Auch wenn Megan und Steve es mir verboten hatten, das Haus würde später komplett leer sein.
Steve musste auch zur Arbeit.
Er ging immer mittags erst arbeiten, kam aber auch ziemlich spät zurück.
Ich sprang erholt und ausgeschlafen aus dem Bett, zog mich im Bad an und stürmte dann zum Frühstück auf die Terrasse.
Fast stolperte ich über-
Na, wen wohl?
Genau, Piffy!
Er knurrte mich schon an bevor ich überhaupt die Tür geöffnet hatte.
Ich konnte nur hoffen, dass Steve ihn mit zur Arbeit nehmen würde oder irgendein kleines Mädchen aus der Nachbarschaft einen langen Spaziergang mit ihm machen würde.
Denn die liebten Piffy und er liebte sie.
Der Tisch auf der Terrasse war wunderbar gedeckt, sogar mit Blumen.
Wahnsinn!
Steve brachte Rührei und Tee aus der Küche mit und lächelte mich wieder an.
„Hab ich heute Geburtstag?", fragte ich belustigt und setzte mich.
Auch Steve setzte sich.
„Nein, aber nichts geht über ein schönes Frühstück in der wunderschönen Frühlingssonne!"
Später, als wir abgeräumt hatten, machte Steve sich auf den Weg zu seiner Arbeit.
Als er gerade aus der Tür getreten war, fiel mir etwas ein.
„Nimmst du Piffy gar nicht mit?"
Steve lachte und schüttelte den Kopf.
„Ich kann doch keinen Hund mit ins Büro nehmen!"
Dann stieg er ins Auto und rief mir noch zu: „Ihr kommt schon miteinander klar!"
Ich starrte ihn durch die Windschutzscheibe an.
Piffy und ich?
Ganz alleine zusammen?
Das würde meinen Tod bedeuten!
Vielleicht sollte ich schon mal mein Testament schreiben, damit meine Familie später, wenn Piffy mich umgebracht hatte, meine alten wertlosen Bücher erben konnte.
Okay, das ist übertrieben, ich weiß.
Es war ja nur ein kleiner aggressiver Hund.
Steve fuhr rückwärts von der Auffahrt und Piffy und ich waren schließlich allein.
Ich drehte mich im Türrahmen um.
Wahrscheinlich hatte ich erwartet, dass er schon mit gefletschten Zähnen hinter mir stand.
Doch Piffy schlief friedlich in seinem Körbchen, als könne er kein Wässerchen trüben.
Schnell lief ich hoch in mein Zimmer und machte einen Plan für meinen Ausflug in Louisas Zimmer.
Eine Tabelle.
Hier, ich habe sie mal aufgeschrieben:Was, wenn...
Dann...
...Megan und Mom wiederkommen
...schnell aus dem Zimmer schleichen
...Steve wiederkommt
...schnell aus dem Zimmer schleichen
...irgendetwas im Zimmer kaputtgeht
...den Schaden beheben + pssst!
...Paul aus der Schule kommt
...schnell auf den Flur
...Piffy kommt
...ignorieren
Piffy zu ignorieren würde dann wohl das die schwierigste Aufgabe werden.
Ich schlich über den Flur.
Klar, es war niemand da, aber Piffy hätte mich ja hören können.
Schon stand ich vor der roten Tür.
Sie faszinierte mich so.
Auch, wenn ich sicherlich nichts finden würde, ich musste einfach in dieses Zimmer.
Es zog mich einfach an.
Ich wollte noch einmal in die Schränke gucken.
Plötzlich hörte ich eine leise Melodie.
Ich zuckte zusammen.
Woher kam sie?
Ich presste mein Ohr an Louisas Tür und mein Herz blieb für eine Sekunde stehen.
Die Musik kam aus diesem Raum.
Nun klopfte mein Herz rasend schnell.
Louisa war tot.
Alle waren aus dem Haus.
Was war das also für eine Melodie?
Die Angst und die Neugier kämpften gegeneinander.
Doch die Neugier gewann.
Wie immer.
Also drückte ich die Klinke hinunter und späte ins Zimmer.
Die Melodie wurde lauter.
Ich orientierte mich am Klang und suchte den Gegenstand, der dafür verantwortlich war.
Ich entdeckte eine kleine offene Spieluhr auf einem Schminktisch.
Der Spieluhr war eigentlich viel zu kitschig für eine 16 Jährige.
Ein sich drehendes Pferd aus Kristall.
Ich berührte es vorsichtig mit dem Zeigefinger.
Die Melodie war lieblich und schön.
Doch warum war sie an?
Warum war die Spieluhr offen?
Ich schaute zu den Fenstern.
Tatsächlich, eines war geöffnet und ließ frische Frühlingsluft herein.
Vielleicht war einfach ein Vogel hier gewesen und hatte die Spieluhr aufspringen lassen.
Das war die Antwort für meinen ängstlichen Teil.
Ich schaute in die Spieluhr hinein.
Dann musste ich grinsen.
Das war irgendwie zu einfach gewesen.
In dem Bauch der Spieluhr stand eine kleine Holzdose, verziert mit Louisas Namen.
Und ich war mir zu mindestens 90 Prozent sicher, dass sich darin irgendetwas Besonderes befand.
Ich nahm das Döschen in die Hand und öffnete es.
Das Lächeln verschwand aus meinem Gesicht.
Genau wie die Schublade war das Döschen leer.
Och menno!
Es war dann wohl doch ein Vogel gewesen...
Oder was anderes.
Wo konnte denn diese besondere Sache sein, um die Megan und Steve ein solches Drama machten?
Ich untersuchte die Schränke.
Ebenfalls alle leer.
Ich ging zum Bett und setzte mich enttäuscht auf die Samtdecke.
Schade.
Ich wollte irgendetwas Tolles finden.
Irgendetwas Besonderes.
Ich begutachtete die Goldumrandung von oben.
Den Schlitz, den ich entstehen lassen hatte.
Und dann wurde ich plötzlich geblendet.
Nur ganz kurz.
Aber ich wurde definitiv geblendet.
Und zwar von etwas, was sich hinter dem Schlitz befand.
DU LIEST GERADE
The secret in the crystal
Fiksi RemajaWir zogen zu meiner Tante und meinem Onkel in eine trostlose, graue Stadt. Ihre riesige Villa birgt viele Geheimnisse. Und dann ist da diese rote Tür. Wem gehört das Zimmer wohl? Und warum will meine Familie unbedingt, dass ich mich von diesem Zimme...