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Damals

Positiv. Wie betäubt starrte ich auf die zwei blauen Striche meines Schwangerschaftstests. Ich schloss die Augen und kniff mir in den Arm, in der Hoffnung, wenn ich die Augen wieder öffnete, stellte sich heraus, dass alles nur ein Traum war. Ich konnte – ich durfte nicht schwanger sein. Mal abgesehen davon, dass meine Eltern eh schon ausrasten würden, wenn sie hörten, dass ich mein Jurastudium geschmissen hatte, hatte ich im Moment keinerlei Zukunftsperspektive. Langsam öffnete ich wieder die Augen, doch der Schwangerschaftstest war immer noch positiv. Die blauen Striche brannten sich auf meiner Netzhaut ein, scheinen mich verhöhnen zu wollen und Übelkeit stieg in mir hoch. Ruckartig stand ich auf, klappte den Toilettendeckel hoch und übergab mich. Wie so oft in den letzten Wochen... Zuerst hatte ich es ja nur auf die vergangenen Ereignisse geschoben, aber dann war die Übelkeit vermehrt morgens aufgetreten und meine Periode war überfällig. Also hatte ich mich dazu durchgerungen eine Drogerie aufzusuchen und diesen Schwangerschaftstest zu kaufen, in der Hoffnung ich würde mich irren. Doch jetzt hatte ich es schwarz auf weiß – obwohl eher blau auf weiß. Ich wischte mir mit Papier über den Mund und betätigte die Klospülung. Der bittere Geschmack von Galle brannte in meiner Kehle, doch das war nicht das Einzige was dort brannte. Tränen bahnten sich ihren Weg aus meinen Augen und begannen über meine Wangen zu rollen. So lange hatte ich sie zurückgehalten, aber das war nun der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Denn ich hatte nun nicht nur mein eigenes Leben, dass ich Stück für Stück zerstörte. Wenn ich nicht aufpasste, würde ich auch das kleine Leben zerstören, das gerade in meinem Bauch heranwuchs, bevor es überhaupt richtig beginnen konnte.

Heute

Mein Handy vibrierte und als ich einen Blick darauf riskierte, weil die Bäckerei eh noch nicht besucht wurde, leuchtete mir ein Bild entgegen und ich musste augenblicklich lächeln. Das Bild stammte von meiner Nachbarin, die tagsüber unter der Woche oft auf meine Tochter aufpasste und zeigte Zoe, wie sie mit konzentriertem Gesichtsausdruck, ihre Zunge zwischen den Lippen eingeklemmt, ein Mandala ausmalte. Wärme und Liebe flutete mein Herz, während ich es mir für einen Augenblick gestattete, mich einfach nur zu freuen, dass ich die Mutter von diesem wunderbaren Wesen war. Doch als ich aus dem Augenwinkel sah, dass Ryan die Bäckerei betrat, steckte ich es hastig wieder weg. Ich hatte ihm immer noch nicht erzählt, weshalb ich damals verschwunden war und hatte es auch nicht vor. Je weniger er an meinem Leben teilhatte, desto besser. Natürlich wusste ich, dass er sich nicht so leicht abschütteln lassen würde, doch ich hoffte, wenn ich so absolut gar nicht auf seine Versuche eingehen würde, würde er schon irgendwann das Interesse verlieren. Denn auch seine Geduld war endlich und als Mutter eines äußerst einfallsreichen und aktiven Kindes, musste ich Nerven wie Drahtseile und einen Geduldsfaden wie Kaugummi haben. Deshalb wandte ich mich mit einem halbwegs professionellen Lächeln Ryan zu. „Was darfs sein? Das Übliche?“. Dieser hatte jedoch andere Pläne und lehnte sich über die Verkaufstheke, bis er mir so nah war, dass mir sein Duft in die Nase stieg. Er roch nach Aftershave und nach... „Apfel?“, entfuhr es mir verwundert. Meine Augen weiteten sich und ich schlug mir die Hand vor den Mund, doch es war zu spät. Das Wort war schon längst aus meinem Mund entschlüpft und ich konnte es nicht mehr zurücknehmen. Ryan stützte seinen Kopf auf seiner Hand auf, sodass er direkt mit mir auf einer Augenhöhe war und lächelte spöttisch. „Apfel“, wiederholte er und man hörte das Grinsen in seiner Stimme. „Soweit ich mich erinnere, gehört das nicht zu meiner üblichen Bestellung“. Ich lief rot an und versuchte verzweifelt eine Ausrede zu finden. „Äh ich meinte, dass es nicht schaden könnte..., wenn du einen Apfel isst, wegen... wegen deiner Fitness“, hörte ich mich sagen und hätte mir am liebsten die Zunge abgeschnitten. Wegen seiner Fitness? Was redete ich da für einen Quatsch? Ich ritt mich doch mit jedem Wort tiefer in diese Scheiße hinein! Ryan schien das auch so zu sehen, denn sein Grinsen vertiefte sich noch eine Spur, als er sich noch ein wenig vorlehnte und dabei seine Muskeln in den Armen deutlich hervortraten und somit meinen Blick auf sich lenkten. „Ich glaube nicht, dass es wirklich das war, was du meintest“, raunte er dicht vor meinem Gesicht und ein schelmisches Funkeln trat in seine Augen. „Aber wenn du willst, kann ich dich gerne mal mitnehmen, wenn ich ins Fitnessstudio gehe, damit du dich von meiner Fitness überzeugen kannst“. Ein Schauer überlief meinen Rücken, als die Bilder in meinem Kopf abspulten, die Ryans selbstloses Angebot in meinen Kopf projizierten. Ryans Blick hielt mich gefangen und ich schaffte es erst mich wieder zu bewegen, als er sich mit einem Mal zurücklehnte, mit einem selbstzufriedenen Grinsen auf den Verkaufstresen klopfte und mit einem Augenzwinkern zu seinem üblichen Tisch verschwand. Mit glühenden Wangen, klopfendem Herzen und einem Ziehen in der Magengegend blieb ich zurück. Verdammt – so viel zu den Nerven aus Stahl!

Ich hatte – feige wie ich war – Adelia vorgeschickt um Ryans Tisch zu bedienen, aber sie stand nun schon Ewigkeiten an seinem Tisch und redete mit ihm, was mir missfiel. Ich wusste, dass sie nicht mit ihm flirtete wie Emely – nicht, dass ich auf Emely irgendwie eifersüchtig wäre oder so –, immerhin war Adelia glücklich verheiratet, aber ich misstraute dem Ganzen. Adelia würde ich zutrauen, dass sie mit Ryan etwas ausheckte und ich bezweifelte, dass dieser Plan in meinem Sinne war. Immer wieder versuchte ich unauffällig zu ihnen hinüber zu spähen, während ich andere Kunden bediente und immer mal wieder in der Backstube Nachschub aus dem Ofen holte, doch ein paar Mal erwischte mich Ryan dabei und schenkte mir ein wissendes, viel zu selbstgefälliges Grinsen. Arroganter Idiot! Endlich machte sich Adelia auf den Rückweg und ungeduldig fing ich sie an dem Tresen ab. „Was gab es denn so lange zu bereden?“. Adelia setzte ein geheimnisvolles Lächeln auf. „Das wirst du schon noch erfahren“, wich sie mir aus und lief in die Backstube. Ich folgte ihr, ohne zu beachten, dass nun niemand mehr da war, der die Kundschaft bedienen konnte. „Adelia“, jammerte ich, doch sie schüttelte den Kopf. „Später“, sagte sie nur und ich zog eine finstere Miene. „Wenn du irgendwas ausgeheckt hast...“, drohte ich ihr, aber mir fiel kein passendes Ende ein. Verdammt –, dabei war ich doch ihre Chefin. Trotzdem ließ ich es so stehen. Aus ihr würde ich sowieso nichts rauskriegen. Hoffentlich hatte sie nichts allzu Schlimmes angestellt

Die Liebesbäckerei -  eine Adventskalendergeschichte Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt