12.

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Die Villa sah noch genauso aus, wie ich sie in Erinnerung hatte. Kein einziges Staubkorn war zu entdecken, als wir eintraten. Die riesige Eingangshalle war festlich mit silbernem und weißem Weihnachtsschmuck dekoriert. Künstliche Tannenzweige waren am Geländer befestigt und Lichterketten, mit so hellweißem Licht, dass ich geblendet wegsehen mussten wanden sich darum. Der kleine Springbrunnen, der in der Mitte stand war angeschaltet und wurde angestrahlt, sodass sich das Licht glitzernd in den Wassertropfen brach. Ja – meine Eltern waren diese Art von reich. Ich hatte das schon immer reichlich übertrieben gefunden. Sicher, die Eingangshalle sah aus, als wäre sie direkt aus einem weihnachtlichen Möbelmagazin entsprungen, aber mir wurde bei dem Anblick ganz kalt. Es fühlte sich an, als hätte dieses Haus keine Seele. Sehnsüchtig dachte ich an meine eigene Wohnung, die vielleicht unordentlich sein mochte, aber bei der man wenigstens sofort erkannte, dass es ein Zuhause war. An Weihnachten bevorzugte ich eher wärmere Töne, wie rot und grün, aber auch sonst war alles viel persönlicher. Überall hingen Zoes kleine Kunstwerke und erst letztens hatten wir zusammen aus Salzteig Baumschmuckanhänger ausgestochen, die jetzt unseren Baum schmückten. Aber jetzt erst, wo ich diese Villa nach so langer Zeit wieder betrat, merkte ich wie sehr diese kleine Wohnung zu meinem Zuhause geworden war – und wie wenig es dieses Haus jemals für mich gewesen war.

„Katherine! Wie schön, dass du es einrichten konntest“, ließ sich die kühle Stimme meiner Mutter vernehmen und ich könnte schwören, dass die Raumtemperatur um zehn Grad sank. Du hast mir ja auch keine andere Wahl gelassen, hätte ich am liebsten erwidert, aber beschloss, dass es fürs Erste wohl das Beste wäre bei dem Spiel mitzuspielen und alle bissigen Antworten herunterzuschlucken. „Hallo... Mom“. Das letzte Wort würgte ich geradezu hervor. Es war lange her, dass ich sie das letzte Mal so genannt hatte und es kam mir nur schwer über die Lippen. „Wie ich sehe bist du in Begleitung. Willst du uns nicht miteinander bekanntmachen?“. Meine Mutter ließ ihren Blick erst kritisch über meine und dann über Ryans Erscheinung gleiten. „Natürlich, Mom. Das ist Ryan – mein Freund. Ryan, das ist meine Mutter“, stellte ich vor und fühlte mich jetzt schon unbehaglich in meiner Haut. „Sehr erfreut sie kennenzulernen, Mrs Grace“, sagte Ryan, streckte ihr die Hand entgegen und ließ dabei seinen unvergleichlichen Charme spielen. „Nenn mich doch bitte Aurelia“, sagte sie und verzog ihre rot geschminkten Lippen zu einem falschen Lächeln. Dann wandte sie sich wieder an uns beide. „Folgt mir doch bitte in das Esszimmer. Der erste Gang wird gleich aufgetragen“, teilt sie uns mit und wandte sich um. Der Gang zum Esszimmer gab mir die Gelegenheit mich nochmal mit Ryan zu unterhalten, der kaum ein Lachen zu unterdrücken können schien. „Ihr habt einen Springbrunnen in eurer Eingangshalle stehen? Alleine schon die Tatsache, dass ihr eine Eingangshalle habt ist ja schon genug, aber einen Springbrunnen? Ernsthaft?“. Ich verdrehte die Augen. „Glaub mir, dass musst du mir nicht sagen“, erwiderte ich und seufzte. Das war auch so eine Sache, die meine Mutter mir nie hatte nahbringen können. Ich hatte auch zu Zeiten, als ich noch Teil dieser glamourösen, glitzernden Welt war nie verstanden, warum man seinen Reichtum so nach außenhin präsentieren musste. Es war lächerlich. Aber so war nunmal die Welt im Kopf meiner Mutter: Ein Schachbrett mit lauter Figuren, die sich nur innerhalb ihrer Grenzen bewegen konnten – und mittendrin sie, die schmuckbehangene Königin.

Meine Mutter hatte uns im Esszimmer zurückgelassen und war gegangen – zweifellos, um dem Personal noch zusätzlich einzuheizen. Unterdessen war mein Vater aber hinzugestoßen und begrüßte uns. „Schatz, schön dass du dieses Jahr an Weihnachten nochmal hier bist“. Er lächelte mich warm an und nahm mich in den Arm, bevor er sich mit Ryan bekanntmachte. Mein Vater war eigentlich ein warmherziger Mensch und manchmal fragte ich mich wie er an so eine Eiskönigin wie meine Mutter geraten war. In Bezug auf sie besaß er leider keinerlei Durchsetzungskraft. Lange Zeit hatte ich versucht ihn aus der Fuchtel meiner Mutter zu befreien – aber keine Chance. Wenn sie im Spiel war, neigte er dazu die Realität zu verleugnen oder zu ignorieren. Manchmal fragte ich mich, ob er mitbekommen hatte, was damals, als ich das Studium geschmissen hatte, wirklich zwischen meiner Mutter und mir abgelaufen war und trotzdem nichts gesagt hatte. "Und das ist wohl mein Enkelkind", sagte er gerade und zog damit erneut meine Aufmerksamkeit auf sich. Mit Argusaugen beobachtete ich, wie er sich neben Zoe niederkniete, die konzentriert mit den mitgebrachten Stiften auf einem Blatt Papier herummalte. Doch mein Vater konnte gut mit Kindern und hatte Zoe bald schon in seinen Bann gezogen. Ich ließ zu, dass meine verkrampften Schultern ein Stück herabsanken und versuchte mich zu entspannen – doch es ging nicht. Überall, wo ich auch hinguckte lauerten Erinnerungen. Setz dich gerade hin! Eine Grace sitzt nicht auf dem Stuhl wie ein nasser Kartoffelsack. Und jetzt spiel die Sonate noch mal von vorne. Du kriegst nicht eher was zu essen, bis sie perfekt ist. Mit einer energischen Kopfbewegung schüttelte ich die Erinnerung ab. In dem Moment ging die Tür zum Esszimmer erneut auf und meine Schwester kam herein. Sie war ein Jahr jünger als ich und auch unser Verhältnis war nicht sehr gut. Das war mal anders gewesen, aber seit ich bei meiner Mutter in Ungnade gefallen war, war es fast unmöglich mit meiner Schwester ein vernünftiges Gespräch zu führen, ohne dass meine Mutter ihr jedes Wort in den Mund legte. Dementsprechend fiel auch unsere Begrüßung aus und schließlich setzten wir uns alle an den Tisch. Für Zoe hatte ich schon vorher extra etwas zum erhöhen mitgebracht, weil mir klar war, dass meine Mutter da wahrscheinlich nicht dran denken würde.

Die Liebesbäckerei -  eine Adventskalendergeschichte Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt