Schnee fiel langsam auf den Boden während ich über den schwach beleuchteten Kiesweg ging. Die Kälte und Nässe drang durch meine Converse und langsam wurden meine Füße kalt. Ich versuchte dies allerdings zu verdrängen. Und wie ich erschreckender Weise feststellen durfte störte mich das nicht mal, ich genoss es eher. Genoss es etwas zu fühlen nach dem die schrecklich Leere die Kontrolle über mich übernommen hatte. Ich hatte sie eine Zeit lang verdrängt, aus meinem Leben verdammt. Aber an Silvester vor zwei Monaten war sie zurückgekommen.
An dem Tag an dem ich eine Nachricht über ihre Nummer erhalten hatte. Zunächst hatte ich mich gefreut dass sie an mich dachte, dass sie mir schrieb, auch wenn sie eigentlich Zeit mit ihrer Familie verbringen sollte. Aber schon als ich WhatsApp öffnete fiel mir auf dass da etwas nicht stimmen konnte, die Nachricht klang nicht nach ihm. Überhaupt nicht. Nicht ein Wort. Und als ich die Nachricht geöffnet hatte wusste ich auch sofort wieso: die Nachricht stammte von ihrer Mutter. Zumindest stand das so da. Und mehr als die Wörter nicht auffindbar, Abschiedsbriefe und wahrscheinlich nicht mehr am Leben konnte ich gar nicht lesen, in meinen Augen hatten sich bereits zu viele Tränen gebildet. Ich war eh nicht Zuhause, war mit ein paar Freunden am einem kleinen See am Stadtrand, weswegen ich einfach loslief. Immer und immer weiter, so weit weg wie es nur ging. Weg von allem was in den letzten Wochen passiert war, weg von der Nachricht seiner Mutter. Aber so weit ich auch lief, ich konnte der Realität nicht entkommen.
Auch jetzt nicht. Auch nach diesen zwei verdammten Monaten nicht. Wahrscheinlich würde ich nie darüber hinwegkommen. Es war ja nicht mal sicher ob er tot war, nur wurde überall genau das verbreitet. Vermutlich weil seine Familie so besser damit klar kam. Es war ja auch nachvollziehbar, sich damit abfinden jemanden nie wieder zu sehen war deutlich leichter als jeden Tag mit dem Gedanken zu spielen ob man nicht doch nochmal mit ihm reden würde, wie er aussehen würde beim Wiedersehen, ob er sich sehr verändert hätte.
Und plötzlich fiel mir wieder ein Gespräch von uns ein. Ich hatte mit ihm darüber geredet wie man sich am besten umbringen konnte ohne viele Leute zu traumatisieren. „Einfach im Wald verschwinden und nicht mehr wiederkommen", das waren ihre Worte gewesen. Und diese Erinnerung gab mir wieder Hoffnung. Hoffnung dass sie vielleicht doch noch am Leben war. Die Frage war nur: Wie nimmt man Kontakt zu einer Person auf wenn sie weder ihr Handy hat, noch du eine Idee hast wo sie sein könnte?
Also beschloss ich erstmal zu überlegen wo sie hin könnte und mehr als der Ort einer ehemaligen Freundin zu fahren bei der sie noch etwas klären wollte. Also war erstmal 12 Stunden Zugfahren angesagt, Führerschein hatte ich nicht und meine Eltern sicher nicht fahren würden.
An Ort und Stelle angekommen klingelte ich sofort an der roten Haustür und mein Herz raste wie verrückt. Zitternd stand ich da während sich die Tür öffnete. „Ihr habt nicht zufällig vor kurzem Besuch bekommen?" Als die Person vor mir nickte blieb mir kurz das Herz stehen. Zwar sah sie nicht so aus als hätte sie sich über Robbins Auftritt gefreut hatte aber das spielte gerade keine Rolle für mich. Als ich nach dem Zeitpunkt fragte machte mein Herz einen kleinen Freudensprung. „Vor ca. 2 Stunden, wieso?" Ich antwortete nur dass dies keine große Rolle für sie spielte und drehte sofort um, bereit weiter zu suchen. Zu wem könnte sie noch wollen? Solang ich auch überlegte, mir viel niemand ein. Also fragte ich irgendwelche Leute im Ort ob sie ihn gesehen hatten. Und zu meiner Freude wurde er vor einer halben Stunde noch hier gesehen. Dadurch bekam ich noch einmal Hoffnungen und bevor ich meine Suche fortsetzen konnte sah ich dass mich Schäfchen, eine Freundin von mir dessen eigentlichen Namen niemand aussprechen konnte, anrief.
„MENSCH, WO ZU HÖLLE BIST DU?"
„Oh, uhm, such grad nur wen, alles gut."
„Sicher? Silvester bist du so schnell abgehauen und deine Mutter hat gemeint, dass du erst ewig nicht aus deinem Zimmer wolltest und jetzt einfach mal zum Bahnhof weg bist. Klingt nicht gerade beruhigend nach dem wir in der Schule immer aus Spaß Pläne bezüglich Suizids machen."
„Mir geht's gut, aber Robbin maybe ned deswegen jaaa, und ich muss jetzt weiter, tschü."