𝙺𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 𝙳𝚛𝚎𝚒

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Sieben Wochen vor dem Unfall:

Mir ging es aufgrund vieler Faktoren seit einiger Zeit beschissen. Aber diese Appetitlosigkeit und dazugehörige Übelkeit raubten mir wirklich meinen letzten Nerv.
In meinem Badezimmer auf dem Boden zu liegen, schien mir die einzige Lösung, meine Mitmenschen größtenteils aus meinem Elend herauszuhalten.

»Emilia? Bist du da drin?«, fragte Simon und klopfte zaghaft an die Tür. Stumm nickte ich vor mich hin, bis mir auffiel, dass er mich gar nicht sehen konnte. Ich krächzte eine Antwort, bis er mich wieder in Ruhe ließ und in seinem Zimmer verschwand.

Vermutlich dachte er, ich hätte wieder einer dieser Phasen, in denen es besser war, mich in Ruhe zu lassen. Dabei hätte ich liebend gerne jemanden zum Reden gehabt.
Warum war ich solch ein schlechter Mensch? Ich hätte alles haben können. Stattdessen hatte ich wegen eines Abends alles verloren.

Gegenwart:

Erstaunlicherweise bin ich sehr höflich. Meistens auch dann, wenn ich es gar nicht sein möchte. Vor allem bei einer etwas älteren Schwester kann ich mich zusammenreißen.

Sie stürmt ins Zimmer und wühlt unaufgefordert in irgendwelchen Schubladen, die ich mal als Verbands- und Spritzennachschub identifiziert habe. Ohne einen Mucks stapft sie zu mir hinüber und reibt mir eine brennende und wirklich unangenehm riechende Flüssigkeit auf den Arm. Die Vorwarnung besteht aus einem kurzen Schniefen und schon bohrt sich die Spritze in meinen Arm.

Bevor ich protestieren kann, ist es auch schon wieder vorbei. Dennoch kann ich nicht aufhören, mir den Arm zu reiben, nachdem ich ein Pflaster selbst draufkleben darf.
Neugierig spähe ich auf meine Akte, in die die Schwester jetzt etwas einträgt.
Doch ich stelle keine Fragen. Aus Prinzip nicht.

***

Als meine Zeit im Krankenhaus dann bald um ist, bringt Magrit mir eine ganze Kiste voller Sachen von zu Hause mit, damit ich mich später wohler fühle.

Für meine Rückkehr in mein altes Leben habe ich mir vorgenommen, mich an meiner Familie zu orientieren. Simons Geschichten aus alten Zeiten sind einfach der Wahnsinn. Ich möchte das alles wieder erleben.

Auch möchte ich, dass Margit ihren sorgenvollen Blick loswird, deshalb werde ich mir größte Mühe geben, mich in mein altes Leben schnell einzufinden.

Besonders möchte ich die ganzen Unklarheiten aufdecken, die mir Tag und Nacht den Schlaf rauben und meinen Heilungsprozess verlangsamen. Ich muss einfach mehr erfahren. Was war los an dem Abend meines Unfalls?

Als ich Zeit für mich finde, nehme ich mir vor, einen Versuch zu starten. Einen Versuch, um meine Erinnerungen zurückzuholen.
Fotobücher und Kuscheltiere von früher interessieren mich nicht. Schon zu oft habe ich durch den Anblick eines fremden Gesichts versucht, mich zu erinnern. Vergebens.

Viel mehr interessiert mich etwas anderes. Es ist ein Handy. Mein Handy. Behutsam nehme ich es aus der Kiste heraus. Es ist weiß und ehrlich gesagt möchte ich nicht wissen, wie teuer es war. Aber es ist kaputt, vermutlich durch den Unfall.

Ich weiß nicht, was genau es ist, aber etwas Misstrauisches in mir bewegt mich dazu, es einzuschalten. Nach kurzer Zeit rechne ich nicht mehr damit, dass sich etwas tut. Auf dem zerstörten Display jedoch leuchtet hell eine Uhrzeit auf. Sie stimmt nicht, da bin ich mir sicher.

Ohne mich an Glassplittern zu schneiden, scrolle ich einige Benachrichtigungen durch. Hier und da einen Reminder für irgendwelche Termine, Nachrichten in einer Gruppe über Hausaufgaben. Mit all den Sachen kann ich nichts anfangen.
Interessant wird es bei den Nachrichten von Joana, also Jo, und einer unbekannten Nummer.

𝙻𝚘𝚜𝚝 𝙼𝚎𝚖𝚘𝚛𝚒𝚎𝚜 ~ 𝙼𝚢 𝚆𝚊𝚢 𝙱𝚊𝚌𝚔 𝚃𝚘 𝚈𝚘𝚞 ~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt