𝙺𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 𝙵𝚞̈𝚗𝚏𝚞𝚗𝚍𝚣𝚠𝚊𝚗𝚣𝚒𝚐

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Drei Wochen vor dem Unfall:

Meine Oma und ich telefonierten relativ häufig miteinander. Als sie mich an diesem Nachmittag anrief, griff ich also mit Freude nach dem Hörer.

„Hallo Oma!", strahlte ich. Bei allem, was in meinem Leben gerade vor sich ging, konnte ich etwas Ablenkung gut gebrauchen.

„Hallo, mein Kind!", begrüßte sie mich wie immer, doch ich hörte einen nervösen Unterton aus ihrer Stimme heraus.

„Was gibt es?", wurde ich also zögerlich und setzte mich auf die Couch. Am anderen Ende des Hörers hörte ich meine Oma schwer seufzen.

„Emi. Liebes. Mit mir kannst du immer sprechen, das weißt du, oder?" Nicht lange brauchte ich, um zu verstehen, was diese Frage sollte.

„Sie haben dich darauf angesetzt, mit mir zu sprechen, habe ich recht? Meine Eltern?"

Das konnte ich nicht glauben. Jetzt hetzten sie schon den Rest der Familie auf mich auf? Nur, weil wir gerade nicht mehr miteinander sprachen, versuchten sie auf so billige Art an mich heranzukommen?
Traurig, was in dieser Familie alles schief gelaufen ist.

Gegenwart:

Ich gehe schon seit einigen Minuten in meinem Zimmer auf und ab. Weil meine Sicht auf die Straße und unsere Auffahrt von meinem Fenster aus perfekt ist, halte ich alle paar Sekunden davor an. Vorsichtig schiebe ich die Gardinen zur Seite und spähe hinaus in die Hitze.

Mom hat mir von ihrem letzten Besuch im Shoppingcenter einen Overall mit rotem Muster mitgebracht, der mich jetzt wahnsinnig macht. Meine Haare kleben in meinem Nacken und so unwohl wie jetzt habe ich mich zuletzt gestern gefühlt.

Als nach einer gefühlten Ewigkeit immer noch nichts auf der Straße los ist, werde ich ungeduldig. Einerseits wünsche ich mir, meine Eltern hätten dieses Familientreffen nie geplant. Andererseits brenne ich darauf, es hinter mich zu bringen. Ganz ehrlich, wer will denn nicht seine Familie kennen?

Trotzdem glaube ich, dass es ein Desaster wird. Allein schon Simon und ich mit unseren Eltern geht auf Dauer nicht gut. Wie soll das nur mit mehreren von uns werden?

Man hört mich wohl deutlich die Treppe hinunterkommen, weil Mom alles stehen und liegen lässt, um zu mir zu hetzen.

»Da bist du ja! Schnell, Emi! Der Kuchen muss noch auf den Tisch! Und vergiss nicht, die Servietten zu falten!«

Kaum betrete ich die letzte Stufe, bin ich schon wieder gestresst. Um meiner Mutter deutlich zu zeigen, wie sehr mir das alles auf die Nerven geht, rolle ich übertrieben mit den Augen.

Ich möchte das nicht machen. Vermutlich lasse ich mit meinen zittrigen Händen noch den Kuchen fallen. Das kann jetzt keiner von uns gebrauchen.

Simon hat sich in seinem Zimmer verkrochen und vermutlich die Nase in ein Buch gesteckt. Was würde ich nicht alles dafür tun, um an seiner Stelle zu stehen!

»Lass sie nur! Ich mache das schon«, löst Dad mich ab und tritt ohne eine Antwort in die Küche. Ausatmend hüpfe ich von der letzten Stufe und trotte meinem Vater hinterher.
Ich habe ganz vergessen, wie anstrengend es mit der Schiene war, die Treppen zu laufen. Mom verschwindet derweil oben, um vermutlich Simon anzuschnauzen.

Ich weiß nicht, ob ich kurz vor einer Panikattacke bin und meine Aufregung sich in mir anstaut, oder ob ich den Tag tatsächlich gut wegstecken kann. Ich tippe jedoch auf Nummer Eins.

Kaum habe ich mich mit dem Kopf auf dem Ellenbogen gestützt an den Tresen gesetzt, vernehme ich die erste Autotür. Kurze Zeit später klingelt es an der Tür und ich schrecke auf.

𝙻𝚘𝚜𝚝 𝙼𝚎𝚖𝚘𝚛𝚒𝚎𝚜 ~ 𝙼𝚢 𝚆𝚊𝚢 𝙱𝚊𝚌𝚔 𝚃𝚘 𝚈𝚘𝚞 ~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt