19.Kapitel

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Mein Blick folgte Calvin's Rücken, als er den Raum verließ. Meine letzte Rettungsleine, die mich vor dem Gespräch bewahrt hatte, war gegangen. Es gab keine Ausflüchte mehr. Kein weiteres Versteckspiel. Calvin hatte Recht. Mein Bruder verdiente die Wahrheit, auch wenn ich mich eigentlich noch nicht bereit fühlte, wusste ich was ich zu tun hatte.

"Setzten wir uns aufs Sofa?" fragte ich den immer noch vor mir knienden Ryan. Er hob sofort den Kopf und Hoffnung blitzte in seinen Augen auf, welche ich zuvor so kalt niedergeschmettert hatte. Und dafür hatte ich keine Entschuldigung. Ich hatte nur an mein eigenes Wohl gedacht und nicht an das meines Bruders.

Dieser stand gerade auf, sah mich fragend an und lief die wenigen Schritte zum Sofa, wo er sich drauf plumpsen ließ. Dann klopfte er auf den Platz neben sich.

"Komm her Kiki. Wir werden uns jetzt wie zwei ganz normale Menschen unterhalten. Den das ist glaube ich dringend nötig." ich nickte. Er hatte ja Recht, auch wenn ich das nur schwer zugeben konnte. Vorsichtig setzte ich mich neben ihm aufs Sofa, blieb aber angespannt an der Kante sitzen. Ryan ließ das jedoch nicht zu und zog mich ein Stück zurück, so dass ich mich gegen die Lehne fallen lassen konnte. Das tat ich dann auch und stieß einen tiefen Seufzer aus.

"Also..." begann ich.

"Also..." imitierte er mich und schaute zu mir hinunter. Mit meinen 159 cm, war das für ihn ein leichtes. Er grinste mich an, aber in seinen Augen lag eine große Traurigkeit. Ryan versuchte es tapfer zu überspielen, doch auch er kam an seine Grenzen. Innerhalb von wenigen Minuten hatte er erfahren müssen, dass seine Eltern gestorben waren. Und nicht nur das, dann wurde ihm auch noch erzählt, dass seine Eltern etwas mit mir gemacht hatten, das beim besten Willen nicht einvernehmlich war.
Mitgefühl machte sich in mir breit und ohne weiter darüber nachzudenken, umarmte ich Ryan fest.

Am Anfang blieb er stocksteif sitzen, aber nach nur wenigen Sekunden umarmte er mich fest zurück. Er umklammerte mich, als wäre ich sein Anker. Sein Rettungsanker. Aber nicht nur er benötigte Halt, auch ich sammelte durch seine trostspendende Umarmung Kraft für das Kommende.

Schweren Herzens löste ich mich dann von ihm.

"Wo warst du letzte Nacht?" fragend blickte ich ihn an. Bevor ich ihm meine Leidensgeschichte der letzten Jahre erzählen würde, musste ich noch einfach wissen, wo er die letzte Nacht verbracht hatte. Weil ganz offensichtlich war er nicht zu Hause gewesen.

Er schnaubte. "Ich habe bei meinem Kumpel Nik übernachtet. Wir waren zusammen feiern und dann war es zu spät um noch zurückzufahren. Was aber auch nicht der einzige Grund war." er räusperte sich peinlich berührt und kratzte sich mit der Hand am Nacken. Es war ziemlich offensichtlich was er mir damit sagen wollte. Er war nicht mehr nüchtern genug gewesen, um zu fahren.

"Naja und am nächsten Morgen bin ich dann sofort jobben gegangen." fuhr er schnell fort, als er mein wissendes Grinsen entdeckt hatte.

"Aber jetzt bist du dran." lenkte er schnell von sich ab. Und es half. Die Atmosphäre schlug, zumindestens bei mir, schlagartig um. Nervös wickelte ich mir eine Strähne meines Kastanien Raunen Haar um den Zeigefinger.

"Ich habe gefühlt tausende Fragen Kiki. Aber das Wichtigste zuerst: Was haben unsere Eltern getan? Und hat es etwas mit dem Puma zu tun, den ich immer wieder in deiner Nähe gesehen habe?"
Seine Frage schickte mich. Er war eigentlich von selbst auf unser Geheimnis gestoßen und konnte seine Frage damit eigentlich auch selbst beantworten. Ich musste nur bejahen.

Du musst ihm die Wahrheit sagen. Hatte Calvin mir vorhin gesagt und er hatte Recht.
Mit einem tiefen Atemzug sammelte ich noch einmal Mut und ich spürte wie mich eine tröstende und zugleich mutmachende Welle überschwemmte, die eindeutig nicht von mir kam.

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