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„Mr Marzan, das Vierauge", er grinste mich höhnisch an, „Verzeihung, ich meine natürlich die Holde Maid Marian," Mr Marzan nickte ihm abwesend zu und akzeptierte so huldvoll die dahingeworfene und natürlich überaus ernst gemeinte Entschuldigung, die mir galt, die mich aber nur noch mehr demütigte. Meine Großmutter hieß Marian, ich konnte nun wirklich nichts dafür, dass die Geliebte von Robin Hood auch so hieß. Leider hatte sich der Spitzname irgendwann in der Junior High durchgesetzt. Maid Marian, die eiserne Jungfrau, männerhassende Streberin und Niete in Englisch. „Also ich finde ja, dass Maid Marian das ganz toll gemacht hat. Das prüde Outfit, ihre Blässe und der leicht grünliche Schimmer ihres Gesichts unterstreichen einfach enorm den Geist der Zeit."

Ich sah an mir herunter, weil mir schlecht wurde. Neuer Tag, neuer Diss. Was auch sonst. Dabei trug ich natürlich nichts anderes, als die meisten anderen - schlichte schwarze Jeans und einen grünen Oversizedhoddie. Der sollte meiner Gesichtsfarbe in diesem Moment dann wohl wirklich zum Vorbild werden, denn statt einer schlagfertigen Replik wurde mir einfach schlecht und ich kämpfte mit den Tränen, die sich heimtückisch hinter meine Lider geschlichen hatten, auf den richtigen Augenblick wartend um mich bloßzustellen.

Noch mehr bloß zu stellen.

Man sollte meinen, dass ich Jacksons Beleidigungen gewohnt war. Sie gehörten zu meinem Tag wie Frühstück, Mittag und Abendbrot. Trotzdem taten sie weh. Vor allem dann, wenn niemand dazwischen ging. Wirklich niemand.

Zur Ehrenrettung meiner Mitschüler:innen muss ich aber sagen, dass einige zumindest erschrocken zu Mr Marzan schauten, darunter meine besten Freunde Yaron und Charlotte.

Dennoch sagte niemand etwas.

Auch nicht, als der piefige Polunderträger tatsächlich mitlachte. „Jackson, der war gut."

Von Lehrkräften unterstütztes Mobbing war übrigens eine der Säulen dieser Schule. Zusammen mit Rückständigkeit, Bigotterie und einer Sportfanatik, die meines Erachtens gern mal ungesunde Züge annahm.

Anführer der Sportfanatiker ist besagter Jackson Lee. Was musste man über ihn wissen? Er war der Lehrerliebling, Millionärssohn, Frauenschwarm, Schülersprecher, Kapitän der Roosevelt High Wolves - und er hasste mich. Warum auch immer. Ich vermutete, dass es daran lag, dass ich eines der drei weiblichen Wesen an dieser Schule war, die noch nicht mit ihm in die Kiste gesprungen sind. Abgesehen von den Lehrerinnen, aber auch hier hatte ich Gerüchte gehört. Was ich leider nachvollziehen konnte. Jackson war erst achtzehn - und leider mit einem Körper gesegnet, der jede Frau dahinschmelzen ließ: breite Schultern, Sixpack, eine Figur wie ein V. Höllisch attraktiv.

Von Außen jedenfalls.

Nachdem Jackson sich ein High Five von seinem besten Freund und Schatten Marc geholt hatte, verlor er - so schade - schlagartig das Interesse an mir. Das war weit weniger überraschend als man glauben mochte, denn er hatte die Aufmerksamkeitsspanne einer Eintagsfliege, wenn es nicht um Brüste, Bier und Bälle ging.

Ersterem galt nun der gierige Blick aus diesen verflixt schönen eisblauen Augen. Annabeth hatte sich nämlich zu ihm umgedreht, ihre beiden Brüste - der Dress Code galt nämlich nur für die Normalsterblichen dieser Schule und nicht diejenigen, nach deren Familie das Footballstadium der Stadt benannt worden war - in Szene gesetzt und ihm irgendwas zugeflüstert, woraufhin er dreckig grinste.

Ich hätte wirklich gern gewusst, was sie gesagt hatte. Und wie sie es gesagt hatte. Wirklich wirklich gern. Meine Erfahrungen mit Jungs waren ... begrenzt. Ich hatte leider auch nicht nur keine Ahnung, wie man mit einem Jungen sprach, den man anziehend fand, sondern war auch unrühmlich schulbekannt dafür. Alle wussten es. Alle wussten, dass ich die letzte Jungfrau der Abschlussklasse war.

Aber das würde sich ändern, denn am Samstag würde ich endlich achtzehn werden. Ein gutes Alter um endlich die Jungfräulichkeit zu verlieren. Das einzige Problem an der Sache war lediglich das Fehlen des männlichen Gegenstücks. Ein klitzekleines Problem, was ich dringend beheben musste. Nur wusste ich nicht wie. Bisher hatte ich mich von Partys und potenziellen Partnern ferngehalten - vor allem deshalb, weil meine akademischen Leistungen der Schlüssel zum Abschied aus diesem Nest von engstirnigen, ungebildeten, bigotten, heuchlerischen Rednecks waren.

„Miss Morgan, sie sollen sich endlich setzen", zischte es neben mir und störte mich in meinem Hass auf diese Stadt.

Jetzt hatte ich glatt den genervten Gnom ignoriert.

Ich würdigte ihn keines weiteren Blickes, lief schnell zu meinem Platz und ließ mich, begleitet vom aufmunternden Blick meiner besten Freundin Charlotte, auf den Stuhl fallen. Hoffen wir mal, dass das gereicht hatte um diesen Quatsch hier mit einem D zu bestehen. Ich verstand einfach nicht, wieso Mathe, Englisch und Geschichte Pflicht waren, aber Naturwissenschaften zu ungeliebten Wahlfächern degradiert wurden, um die die ganzen Schwachmaten einen großen Bogen machen konnten.

Also ich wusste natürlich warum das so war, aber verstehen konnte und wollte ich es nicht, warum man in unserem hinterletzten Kaff den Aluhut schon im Kreissaal aufgesetzt bekam: Die Schöpfungsgeschichte wurde hier noch parallel zur Evolutionstheorie unterrichtet, Impfen ermöglichte Bill Gates die Menschen mit kleinen Mikrochips zu steuern und - meine Lieblingsfantasie vom alten Quentin Adams - Taylor Swift und Bryan Cranston führen weitere einflussreiche und prominente Persönlichkeiten an, die Kinder gefangen hielten, um aus ihrem Blut Adrenochrom zu gewinnen und dies als Droge zu konsumieren.
Yaron glaubte sein Vater habe sich die beiden Schauspieler ausgesucht, weil sie offen gegen Trump gestimmt hatten. Aber so genau wusste er es dann doch nicht.

Wie er es mit so einem Vater zuhause aushielt, war mir ein Rätsel. Ich schickte jeden Tag meinen Dank an das Universum, dass meine Mum Medizinphysikerin und mein Vater Allgemeinmediziner waren. Letzterem verdankte ich vermutlich den Umstand, dass sich das Mobbing Jackson's lediglich auf verbale Entgleisungen beschränkte. Dad hatte die Praxis seines Vaters übernommen und der hatte sie von seinem Vater geerbt und so weiter. Traditionen und Loyalität gingen dieser Stadt über alles. Also griff man mich nicht offen an. Machte vielleicht auch keinen Spaß, wenn man wusste, dass mein Vater mich einfach wieder zusammenflicken konnte und der Familie des Opfers nicht noch mehr Schaden durch hohe Arztrechnungen entstand.

Eines Tages würde ich die Praxis übernehmen, wenn es nach meinem Vater ging. Vorausgesetzt die rückgratlose Ratte da vorn würde mich nicht durchfallen lassen. Ob ich das wollte, lassen wir an dieser Stelle auch mal außen vor.

Hätte ich in dem Moment meiner Umgebung ein wenig mehr Aufmerksamkeit geschenkt, statt mich gedanklich mal wieder über die Rückständigkeit unserer Stadt und die Menschen hier aufzuregen, wäre mir aufgefallen, dass Yaron mich anstarrte.

Irgendwann merkte ich es dann doch, seinem genervten Augenrollen nach zu urteilen weit später, als er es angemessen fand.

Fragend zog ich eine Augenbraue hoch. Seine Augen glitten zu meinem Tisch.

Ich verstand aber nicht was er wollte.

Er wiederholte die Bewegung.

Irritiert folgte ich seinen Augen zu meinem Englischbuch. Fragend sah ich ihn wieder an, denn ich hatte keine Ahnung, was damit sein sollte. Er konnte es nicht geliehen haben wollen, denn seines lag direkt vor ihm. Seiner gerunzelten Stirn und den verkniffenen Lippen konnte ich entnehmen, dass ich irgendwas verpasst hatte. Dann sah ich die Ecke eines gelben Zettels aus dem Buch ragen.

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Mein erstes Highschoolromancedrama 🥰.  Nehmts nicht so ernst 😉.
Ein rosafarbnes, zuckerwatteweiches Wochenende wünsche ich euch ☺️

An Alpha's BiteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt