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Cornelius. Meine Mum hatte im Büro von Mr Leonard von ihm gesprochen. Wie konnte ich das nur vergessen haben. Siedend heiß fielen mir weitere Bruchstücke des Tages ein. „Brut", „keine von uns", „wir waren mal viele".
Entweder hatte mein Hirn entschieden, dass das absoluter Nonsens war oder Marzan hatte meinem Kopf schwerer zugesetzt, als ich für möglich gehalten habe.

„Ich will Antworten. Sofort."

Nachdem ich Ben mehr oder weniger rausgeworfen hatte, war ich im Wohnzimmer immer wieder zwischen der grässlich unbequemen beigen Couch und dem massiven Esstisch hin und her gelaufen. Meine Mum war weder ans Telefon gegangen, noch hatte sie auf Nachrichten reagiert. Einfach zum Kotzen. Das müsste ich mir mal erlauben. Ich konnte weder stillsitzen, noch mir einen Reim auf das Gehörte machen. Noch weniger war mir klar, wie ich das hatte vergessen können. Irgendwas lief hier und ich fand es scheiße.

Mein Dad war irgendwann gegen 22h aufgekreuzt, hatte nur einen Blick in mein Gesicht geworfen und mitsamt der Tageszeitung und einem tiefen Seufzen auf dem Sofa Platz genommen.
Erst hatte ich ihn angestarrt und überlegt, wie dieses Verhalten ins Bild passte, aber da ich gar kein echtes Bild hatte - nur Emotionen und winzige Fetzen Informationen - entschloss ich mich meinen Vater zu ignorieren und mir weiter zu überlegen, was ich alles fragen wollte, sagen wollte, wissen musste! Was verheimlichten sie mir?

Erst weit nach Mitternacht war sie endlich aufgetaucht. Inzwischen saß ich auf den ausgetretenen Treppenstufen, die nach oben führten und hatte die Haustür so lange beschwörend angestarrt, dass Rücken und Kopf wetteiferten, wer mir mehr weh tun könnte. Ich hatte mir so viele Sätze zurecht gelegt, die ich ihr sagen wollte. Hatte so viele Fragen. Und dann übernahm doch meine Wut das Steuer. Immer eine gute Idee, kann ich wirklich empfehlen.

„Wie redest du denn mit mir?" Gelassen schlüpfte meine Mum aus ihren Heels und stellte sie in den riesigen Schuhschrank. Diese alltäglichen Handgriffe, die ich schon hunderte Male beobachtet hatte, machten mich heute so unendlich wütend, dass ich spuckte, während ich sprach. Eklig.
Falls sie überrascht war, dass ich sie erwartet hatte, zeigte sie es nicht. Im Gegenteil, eigentlich ignorierte sie mich. Reagierte kaum. Noch bevor sie in die Küche abbiegen konnte, setzte ich also nach. Die Ränder meine Blickfeldes schwammen in rot, in mir drohte alles zu explodieren.

„Wie redest du mit mir, Mom? Oder besser, wie redest du nicht mit mir? Was redest du alles nicht mit mir? Warum redest du nicht mit mir?" Vor meinem inneren Auge applaudierte mir eine Reihe niedlicher Pinguine dazu meiner Mom die Stirn zu bieten. Dieselben, die mir auch morgens immer applaudierten, wenn ich es geschafft hatte aufzustehen und mich mit Kaffee und Müsli in einen halbwegs erträglichen Menschen zu verwandeln ohne unterwegs eine Spur der emotionalen Verwüstung zu hinterlassen.

Hätte ich mal besser die Augen auf meine Mum, statt auf meine Tagträume gerichtet.
Die Gelassenheit meiner Mutter schien nämlich mit einem Mal wie weggefegt.

„Geh ins Bett, Marian. Sofort." Mit zusammengebissenen Zähnen presste sie die Worte zwischen ihren blutroten Lippen hervor.

Den Teufel würde ich tun. Das sagte ich ihr auch, wobei ich zunehmend an meinem Selbsterhaltungstrieb zweifelte. Mein Vater teilte vermutlich meine Zweifel, er war nämlich aufgestanden und zu uns gekommen. Die Zeitung hing irgendwie traurig in seiner Hand. Ich wandte mich ab. Meine Konzentration konkurrierte mal wieder mit der einer Eintagsfliege. Zurück zu meiner Mum, die mit verschränkten Armen auf die Ausführung ihrer Anweisung wartete.

Ich starrte sie einfach nieder. Nun gut, ich starrte sie einfach an. Hoffend, flehend. Was war bloß los mit ihr? Sie war schon immer rational gewesen. Rationaler als andere Mütter. Sie war nicht der Typ Wehwechen wegzupusten oder mit unsichtbaren Freunden Tee zu trinken. Aber sie war nie so distanziert gewesen. Nie so abwesend wie jetzt. „Mummy." Es war mir egal wie weinerlich ich klang. Sie war nicht da gewesen, als ich mit Gehirnerschütterung im Bett lag.

Ihre einzige Antwort war ein Seufzen, so tief, so genervt, dass meine Sicherungen endgültig durchbrannten. Bevor Dad einschreiten konnte, erbrach ich ihr einfach alles vor die Füße, was in mir drin gärte.

„Wie kannst du mich so im Stich lassen? Was bist du für eine Mutter? Was hast du für eine Scheiße mit Marzan abgezogen, dass der mir mein Leben versaut? Die Chance versaut hier wegzukommen? Ich hasse es hier. Ich will nicht länger hier sein. Ich will hier weg." Ich schluchzte. „Du bist Schuld an all dem hier. Du bist Schuld daran, dass ich in diesem scheiß Kaff festsitze und verblöde. Ich hasse dich. Ich hasse dich so sehr."

Hilfesuchend sah sie Dad an. Dad. Nicht mich. „Mum!" Sie sah mich noch immer nicht an. Wollte mich einfach nicht ansehen. „Mum!" Mein Kreischen ließ sie zusammenzucken. Sie nickte meinem Dad zu, noch immer nicht bereit mich eines Blickes zu würdigen.

„Deine Mum und Marzan haben ihr Leben zusammen verbringen sollen." Dad sah aus, als würde er sich jeden Moment übergeben. Ich sah ihm an, welches Unbehagen ihm diese Information bereitete und das konnte ich verstehen. In meinem Universum gab es für meinen Dad nur meine Mom. Dass hinter ihrer Ehe ein Drama lauern sollte, ein Drama so riesig, dass es meinen Abschluss versaute, mein Leben versaute, konnte und wollte ich gar nicht glauben.
Alles in mir sträubte sich. Jedes Haar stellte sich auf. Wie widerlich war das denn? Marzan und Mom? Marzan und Mom! Das einzige, was ich in dem Moment fühlte, war ein tief empfundener Ekel. „Du hattest was mit dem widerwärtigsten Widerling der Welt? Wie tief kann man sinken?!" Als ich das Bedauern auf dem Gesicht meines Vaters las, kam mir ein grauenhafter Gedanke. Der grauenhafteste Gedanke, den ich je gedacht habe. „Marzan ist aber nicht mein Vater?"

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Hach ja, Familie kann man sich nicht aussuchen, ne? 😇

An Alpha's BiteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt