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Manchmal - wirklich nur manchmal - schickte der Himmel in solchen Momenten Hilfe. Dieses Mal in Form von Schwester Sabine, die die Tür ohne anzuklopfen aufriss. War ja auch ihr Reich und wir hätten vermutlich ohne Aufsicht gar nicht hier allein sein dürfen.

„Marian! Mrs Schwartz hat mich schon informiert und ich habe deinen Daddy angerufen, mit Gehirnerschütterungen sollte man kein Risiko eingehen." Die zierliche Frau ignorierte anstandslos, dass wir viel zu nah beieinander standen und räumte geschäftig in den Schubladen herum. „Aber er hat Patient:innen. Viele Patient:innen." Sie drehte sich um und ein leises Lächeln umspielte ihre Lippen.

Mir kam die Erkenntnis, was das hier werden würde leider zu spät - ich schob das einfach mal auf die Gehirnerschütterung - und zeitgleich mit ihren nächsten Worten. „Ich kann dich nicht allein nach Hause fahren lassen. Mr Wheeler, wären Sie so lieb?"
Wenn man bedachte, dass Schwester Sabine bei den Spielen der Wolves immer in der ersten Reihe stand, geschminkt in der grässlichen Kombination aus blau und silber, so sehr mitfiebernd, dass es albern war - und wenn man von ihrer Vorliebe für kitschige Romane wusste - machte ihr komplett beknackter Kuppelversuch fast Sinn.

Meinen Protest ignorierend schulterte Ben meinen Rucksack. Ich verstand das als Geiselnahme meines iPads und sagte ihm das auch. „Wenn du weiter von deinem iPad sprichst, als sei es dein Baby und ich der hinterletzte Schurke, weil ich dir die Tasche tragen möchte, dann muss ich dich leider zum Auto tragen, weil ich annehmen muss, dass dein Zustand sehr viel schlimmer ist, als du ihn darstellst."

Ich klappte den Mund auf, überlegte, schätzte den Sportler vor mir ein und kam zu dem Schluss, dass es besser wäre dieses Mal die Klappe zu halten. Das brauchte ich heute nicht auch noch, von einem dieser Football-Neandertaler über die Schulter geschmissen und aus dem Gebäude getragen zu werden. Wobei die Klatschtanten der Roosevelt High sich über eine zweite Show meinerseits sicherlich freuen würden.

Außerdem tat mein Kopf wirklich weh.

Grinsend drehte Ben sich zur Tür und hielt mir diese galant offen. Schnell bedankte ich mich bei Schwester Sabine und schritt anschließend erhobenen Hauptes durch diese. Vielleicht hatte er eine Schlacht gewonnen, aber den Krieg sicherlich nicht.

„Ist es ok, wenn ich Musik anmache? Oder brummt dir der Schädel zu sehr?" Ich seufzte. Soviel Rücksicht, Aufmerksamkeit und Mitdenken war ich nicht gewohnt und es machte mich skeptisch. Nicht nur, dass er seinen Laufschritt meinen kurzen Beinen angepasst hatte, er hatte mir auch die Autotür aufgehalten und augenblicklich die Sonnenblende heruntergeklappt, denn sein Wagen stand in der brütenden Hitze. „Schon ok, mach gern Musik an." Wer wusste schon, ob wir uns auf dem Heimweg irgendwas zu sagen hatten, besser Musik spielte und es gab nicht diese ohrenbetäubend laute Stille, wenn man sich anschwieg und schwitzend versuchte ein neues Thema auf den Tisch zu bringen. Oder in unserem Fall - auf das Armaturenbrett.

„Was möchtest du hören?" Schulterzuckend ließ ich ihm die freie Wahl. „Was hörst du denn für Musik?" Wenn er jetzt eigentlich alles antworten würde, würde ich ihm trotz meiner Pläne am Samstag absagen müssen. Eigentlich alles war kein Musikgeschmack, sondern zeugte von Ignoranz. Unkenntnis. Nur absolute Banausen oder Menschen mit fehlendem Rhythmusgefühl und schlechten Ohren hörten eigentlich alles. Als Hollywood Undead ertönten, während Ben aus der Parklücke setzte, seufzte ich erleichtert.

„Erzähl mir was von dir, Ben Wheeler." Sicherlich nicht der originellste Gesprächsauftakt, aber wenigsten war keiner der anderen Wolves nah genug, um meine Worte zu belauschen.

Er erzählte mir von seinen Schwestern und wie es als einziger Mann im Haus war. Sein Dad war Soldat und irgendwo an der Grenze zu Russland stationiert. Es musste schrecklich sein die Familie nicht immer sehen zu können. Es würde mich in den Wahnsinn treiben, wenn Daddy permanent auf einem anderen Kontinent wäre.

Ben war ein guter Erzähler. Er war witzig und hatte eine gewisse Leichtigkeit in seinen Worten, obwohl ihm die Abwesenheit seines Vaters sicherlich auch zusetzen musste. Immer wieder sah er kurz zu mir und lächelte mich an. Ich mochte sein Lächeln, es war ansteckend. Nicht ansteckend genug, als dass ich ihm mein Herz öffnen und mich ernsthaft verlieben könnte - das käme meinen Plänen dieses Kleinstadtnest zu verlassen nicht entgegen - aber doch so warm, dass ich mich in seiner Gegenwart wohlfühlte.

Kurz bevor wir in meine Straße einbogen, überlegte ich was ich noch fragen könnte. Dann kam mir der Gedanke, dass es ja nicht allein meine Aufgabe war das Gespräch am Laufen zu halten. Also schwieg ich. Und wartete. Aber er fragte mich nichts.

War ich irritiert? Milde ausgedrückt schon. Das war unhöflich oder? Er hatte mich doch um ein Date gebeten, sollte er nicht auch interessiert an mir sein? Oder zumindest so tun, falls das Ganze doch eine Wette, ein Scherz oder die Gelegenheit waren mich ins Bett zu kriegen.

Ich saß neben ihm und lächelte einfach abwartend vor mich hin. Vielleicht würde ihm die Stille auffallen. Noch war sie nicht unangenehm. Oder unangenehm genug.

Aber ich wartete vergeblich. Als er in der Auffahrt hielt, griff ich nach meinem Rucksack, der im Fußraum zwischen meinen Beinen gestanden hatte und dessen Gurt sich in meinem Fuß verfing. Das machte meinen Abgang weniger elegant, als ich geplant hatte. Dass ich mich bei der aufkommenden Scham und meiner wachsenden Wut auf einfach alles beim Aussteigen nicht auf die Nase legte - zum zweiten Mal am heutigen Tag - verdankte ich vermutlich allen diensthabenden Schutzengel. Mit zusammengebissenen Zähnen bedankte ich mich und lief in Richtung der Haustür.

Er stieg ebenfalls aus dem Auto - in einer fließenden Bewegung ohne wie der letzte Körperklaus von einem Rucksack angegriffen zu werden - und lehnte sich auf das Dach des Wagens. Leider sah das verflucht heiß aus, wie ich aus dem Augenwinkel wahrnahm.

„Marian? Was ist los?" Ich blieb stehen und sah ihn ebenso offen an, wie er mich. Er bekam Pluspunkte dafür, dass er gemerkt hatte, dass ich wütend war. Oder enttäuscht. Unzufrieden. Ich war unzufrieden und er hatte es gemerkt. Manchmal checkten es Yaron und Charly in solchen Momenten nicht mal und beide kannten mich, seit ich zwei Jahre alt war.

„Nichts." Ich wollte wirklich nicht rumzicken oder Drama abfackeln, dennoch drehte ich mich wieder um und ging in Richtung des Hauses ohne ein weiteres Wort zu sagen. Dann dachte ich, dass ich nichts zu verlieren hatte und wendete mich ihm doch nochmal zu.

„Ich war wirklich höflich und habe dich viel zu deiner Person und deinem Leben gefragt. Du aber hast mir kein einziges Mal eine Frage  gestellt. Wieso?" Er grinste mich frech an. Falls das überhaupt ging, machte ihn das noch attraktiver. „Jeder in der Stadt kennt dich, deine Familie und eure," er pausierte kurz, was mich grenzenlos irritierte, „Geschichte. Ich brauchte nichts fragen, weil ich schon alles weiß."

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich ihm mit offenem Mund hinterher sah, während er grinsend in seinen Wagen stieg und winkend davon fuhr.

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Noch kennt ihr nicht alle Protas. Mein neuer Jace hält sich noch versteckt, aber sein Auftritt wird umso ... lauter 🤣.

An Alpha's BiteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt