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Als ich Zuhause ankam, lief mir der Schweiß kalt den Rücken herunter. Das Duschen musste sich ja schließlich auch lohnen. Ich schwor mir wieder häufiger Rad zu fahren - also richtig Rad zu fahren und selbiges nicht entweder zu schieben oder in einem Tempo zu bewegen, in dem mich jedes Baby mit Rutschauto überholen könnte.

Auf dem Tresen in der Küche lagen Geld und ein Zettel. Normalerweise achtete meine Mom darauf, dass sie mich wenigstens morgens oder abends zu Gesicht bekam, heute würde sie aber schon wieder länger arbeiten und ich sollte Dad und mir Pizza bestellen. Mir sollte es recht sein. Heute würden weder widerliche Ananas, noch seltsame Artischocken oder ganz schlimm - Sauce Hollandaise -  den knusprigen Boden, die sämige Tomatensoße und den goldenen Käse von Earls Pizza Palace entweihen.

Ein bisschen wunderte es mich, dass Mom uns unter der Woche fettige Pizza erlaubte. Seit sie in der Schule gewesen war, hatte ich sie nicht gesehen. Nichtmal zu meiner Pflege war sie herangeeilt. Kein Schokoladeneis, kein Kuscheln. Ich war zwar fast achtzehn, aber ein bisschen Mamaliebe war doch das beste Medikament oder? Auf der anderen Seite hatte ich so bisher auch keinen Ärger für die Beleidigung von Motzkopp-Marzan erhalten. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass ich sie grad nicht sah.

Schulterzuckend nahm ich mir einen von den selbstgebackenen Cookies und ging kauend in Richtung meines Zimmers. Unterwegs griff ich nach einem der Einkaufskörbe, die Dad grundsätzlich in der Diele stehen ließ, obwohl Mom ihn jedes Mal bat diese direkt zurück ins Auto zu bringen und an denen ich mir in schöner Regelmäßigkeit den kleinen Zeh einrannte. Ob Gott sich wohl bei unserer Kreation gedacht hatte, dass das Anbringen dieses unnützen Knochens witzig wäre? Oder lags einfach daran, dass unser Skelett einfach recycelt ist? Modell 1.0 braucht die Zehen schließlich zum Klettern.

Ich schrieb dem Meisterbäcker, ob es ok sei, wenn ich Besuch bekäme und warf das Smartphone auf die Couch, ohne auch nur darauf zu warten was Dad antworten würde. Er würde es mir so oder so erlauben. Die Erziehung meiner Eltern sah selten ein klares ‚Nein' vor. Es war eher ein langatmiges, nerviges Fiepen, was ich gelernt hatte ganz wunderbar zu ignorieren. ‚Wenn du meinst, dass das das Richtige ist, Spätzchen.' So was in der Art eben.

Schnell begann ich zusammenzutragen, was irgendwie peinlich sein oder gegen mich verwendet werden könnte. Den Gedanken daran, dass ich paranoid sein könnte, verwarf ich sofort. Kleinstadthighschooldramageprägt war ich nicht von ungefähr. Jackson und seine Entourage machten mir das Leben zur Hölle und falls Ben doch einer von ihnen war, so mussten sie sich schon mehr Mühe machen, als jemanden in mein Zimmer zu schleusen.

Ben gehörte auch zum Team. Er war einer von ihnen oder nicht? Ich hielt inne und überlegte das Date abzusagen.

Und ewig die einzige Jungfrau der Abschlussklasse zu bleiben.

Verdammt.

„Scheiß drauf, ich ziehe das jetzt durch." Gut, dass niemand Zuhause war und mich mit mir selbst reden hörte. Ich stöhnte und räumte den Korb in meinen Schrank.

Schnell sprang ich anschließend unter die Dusche und vergriff mich an Mums teurem Duschgel. Sie wäre stinksauer, wenn sie das wüsste. Allerdings müsste sie mich sehen und riechen und scheinbar war die Arbeit diese Woche mal wieder wichtiger als alles andere.

Während ich den Fön zumindest kurz an meine Haare hielt, rasierte ich mir die Beine auf dem Badewannenrand. Die Zahnbürste klemmte in meinem Mundwinkel und ich biss darauf herum. Gleichzeitig machte ich mir Gedanken darüber, welches Outfit angemessen war. Multitasking in seiner Reinform. Ich sah mich kurz um, ob mich nicht doch jemand beobachtete, der mir tosenden Applaus spendieren konnte.

Ein Blick auf die nervig tickende Badezimmeruhr - ich hasste dieses laute Ticken, manchmal bildete ich mir ein, dieses enervierende Geräusch auch durch zwei geschlossene Türen bis in mein Zimmer zu hören - und ich schaltete den Fön ab, riss mir den Knöchel an der Klinge blutig und sabberte mir Zahnpasta auf die Brust. Soviel zu dem Applaus.

Schnell wickelte ich Toilettenpapier ab und tupfte damit über die Wunde. Anschließend sprühte ich Wunddesinfektion drüber und klatschte ein Pflaster drauf. Das kam davon. Humpelnd bewegte ich mich durch den Flur in mein Zimmer, um mich dort anzuziehen. Ein Blick in den Spiegel bestätigte mir, dass die Jeans und das weiße Shirt mir zwar gut standen - dass das verbleibende Wasser aus meinen Haaren aber den Weg ins T-Shirt gefunden hatte, was jetzt strategisch recht günstig Rücken und Dekolleté durchweicht hatte.

Natürlich klingelte es in dem Moment und mir blieb nichts anderes übrig, als nach dem schwarzen Pullover zu greifen, der zuoberst im Schrank lag und ihn mir im Gehen überzustreifen. Ein Blick in den Spiegel im Hausflur offenbarte, dass meine Brust nun vom Flower-Tropper verziert wurde. Soviel zu meinem Plan mein Faible für Star Wars, Marvel und Harry Potter zu verheimlichen. Auf der anderen Seite war das mittlerweile so Mainstream, dass es vermutlich nicht auffiel.

Ich riss die Tür auf. Jetzt war es sowieso zu spät.

„Hi."

Ben trug zur Abwechslung mal nicht die bescheuerte Roosevelt- Sportkleidung, sondern Jeans und einen schwarzen Hoodie. Auf seiner rechten Brust prangte ein handtellergroßes, gleichseitiges Dreieck, was einen Kreis mit einem vertikalem Mittelstrich umschloss. Ich starrte ihn an.

Er grinste. „Ich wusste, dass du auf Harry Potter stehst." Erwischt.

Ben ließ mir gar keine Zeit zu entscheiden, ob ich das nun gut oder schlechten finden sollte. Im Gegenteil. Er schob sich an mir vorbei, streifte seine Sneaker ab und gab sich ganz so, als ob wir uns schon ewig kennen würden und er täglich bei uns ein und aus ging.

Ein bisschen überwältigt folgte ich ihm in unsere Küche, wo er seinen Rucksack auf dem Tresen abstellte. Mein Kopf war wie leergefegt. Ich schwöre kein einziges Wort wollte mir einfallen.

Dann hob er drei Schüsseln aus seinem Rucksack. „Besteck?" Er sah mich an und ich nickte zur Schublade unter dem Herd. Als er drei Löffel herausnahm, fiel mir doch noch etwas ein. „Erwartest du noch jemanden?" Noch immer stand ich im Türrahmen. Es war so seltsam zu sehen, wie Ben in der Küche hantierte, als ob er hier wohnen würde.

Grinsend sah er zu mir. „Nein, Marian. Heute teile ich dich nicht."

„Und wenn ich geteilt werden möchte?" Kaum hatte ich gesprochen, hätte ich mich fast übergeben. Was war denn das für eine dämliche Gegenfrage gewesen? Mühsam hielt ich mich davon ab meinen Kopf am Türrahmen zu zertrümmern.

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Hände hoch wer auch zu den Menschen gehört,
a) die erst reden und dann denken
b) denen erst unter der Dusche eine witzige, flirty Antwort einfällt
c) denen ein Loch im Boden einfach auf Schritt und Tritt folgen sollte, weil a) leider zu häufig am Tag passiert.

An Alpha's BiteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt