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Als ob mein Tag nicht schon beschissen genug verlaufen wäre, nachdem die eine Hälfte der Schule meine bühnenreife Darbietung der darnieder sinkenden Maid zum Anlass für Spott und Häme nutzte und die andere Hälfte mir einzureden versuchte, dass kein Mensch auf der Welt mich anfassen würde und dass Ben sicherlich nur mit mir redete, weil er eine Wette verloren habe, hatte ich als Nächstes Sport.

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Ich verspürte ernsthaft körperliche Schmerzen als ich mein Fahrrad abschloss, aber Dad war unerbittlich gewesen und hatte mich in die Schule geschickt. Mit dem Rad. Entweder taugte er als Arzt nichts oder hatte mehr Vertrauen in meine Konstitution als ich. Oder meine Sportlehrer seit der zweiten Klasse. Vielleicht hatte er aber auch recht und meinem Kopf ging es gut. Tatsächlich schienen der Schlaf und die Infusion mich völlig wiederhergestellt zu haben. Die plötzlichen Bauchschmerzen hingegen waren aber ganz sicherlich eine Nebenwirkung der Gehirnerschütterung und kein Zeichen dafür, dass ich die Hosen voll hatte, weil sich der tägliche Spießrutenlauf dank meiner öffentlichen Ohnmacht zu einer unerträglichen Folter steigern würde.

Ich lief so langsam zur Eingangstür, dass mittlerweile fast alle anderen Schüler:innen an mir vorbei gelaufen waren. Erst als ich das kalte Metall der Tür unter meinen Fingern spürte, wurde mir klar, dass mein Plan als letzte hineinzuhuschen einfach nur dämlich gewesen war. Ich hätte als erstes kommen und mich direkt in den erstbesten Klassenraum begeben sollen.

Es half nichts, dass man hinterher immer klüger war, also stieß ich die Tür auf. In Erwartung mir um die Ohren fliegender dummer Sprüche hatte ich die Luft angehalten und stur geradeaus gestarrt. Und so hatte ich ihn nicht kommen sehen.
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Als Tochter eines Arztes war mir die hehre Zielsetzung des Sportunterrichts natürlich vertraut und grundsätzlich hatte ich nichts gegen sportliche Betätigung ... aber hatte ich erwähnt, dass ich in einem Kaff lebte, deren Einwohner nicht nur sportbegeistert, sondern nahezu fanatisch waren, wenn es um ihren Körper ging? Ich konnte ganz passabel Radfahren, ging hin und wieder Joggen ohne ein Sauerstoffzelt zu benötigen, machte auch keine schlechte Figur auf Inlineskatern  - zumindest auf graden, nicht abschüssigen, asphaltierten Wegen. Aber das waren keine Fähigkeiten, mit denen man an der Highschool punkten konnte. Hier zählte einzig und allein dein Können im Rahmen von Teamsportarten - schlimmer noch - Teamsportarten mit Bällen. Meine persönliche Hölle, in der ich zweifellos landen würde, weil ich mich dem Geist dieser Stadt nicht unterwerfen wollte, sah 24/7 irgendeinen Quatsch mit Ball für mich vor: mit einem Stock auf einem am Boden liegenden Ball eindreschen, versuchen einen fliegenden Ball mit einem anderen Stock zu erwischen, ohne diesen Typ, der immer brav neben einem kniete um den Ball zu fangen, den man verfehlt hatte, umzuhauen - und ich wünschte ich spräche hier nicht aus Erfahrung - Basketball, Football, Soccer, selbst Golf - ich konnte dem allem wirklich nichts, rein gar nichts abgewinnen.

Mein Dad hatte mir natürlich eine Entschuldigung für Sport geschrieben, aber noch schlimmer als mitzumachen, war es leider nicht mitmachen zu können. Ich war mir sicher, dass auch ein Ganzkörpergips nach einem schweren Autounfall mit diversen Knochenbrüchen und mehreren Tagen Koma kein hinreichender Grund für Ms Evans wäre nicht teilzunehmen. Sie betrachtete jede Nicht-Teilnahme als persönliche Beleidigung. Die Frau hätte eine glänzende Karriere als Drill-Instructor beim Militär machen können. Oder bei ANTM. Je nachdem wessen Tränen sie glücklicher machten.

Stattdessen begnügte sie sich aber damit Schüler:innen zu quälen. Namentlich mich. So wie anscheinend nahezu jeder in diesem bigotten Hinterwäldler-Paradies hatte auch sie ein Problem mit mir.

Zur Belohnung für meine Gehirnerschütterung durfte ich nämlich die Grasflecken auf den schwitzigen, klammen Trikots des Footballteams einweichen. Schließlich drückte  ich mich, ganz bösartig und als persönliche Beleidigung von Ms Evans gedacht - der grässlichsten Sportlehrerin in diesem Sonnensystem - vor dem mitreißendsten, motivierendsten und am aufwändigsten geplanten Sportunterricht aller Zeiten.

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