Kapitel 1

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Ich lief ruhig über das Eis, beobachtete schweigend die Bewegungen meiner Schüler. Nach den vielen Stunden, die wir bereits in den letzten Monaten gemeinsam trainiert hatten, waren sie schon wirklich gut geworden. Diese Gruppe von unter 10-jährigen war sehr talentiert, sie begriffen schnell, was ich von ihnen erwartete und setzten es für gewöhnlich ebenso schnell um. Davon konnten sich sogar einige der Erwachsenen eine Scheibe abschneiden, von denen ich es gewohnt war, dass sie erstmal über alles diskutieren mussten.

»Sehr schön. Dann machen wir für heute Schluss, ja? Dehnt euch draußen noch ein bisschen«, sagte ich und entließ damit die Kinder von ihrer heutigen Unterrichtsstunde auf dem Eis. Ich selbst drehte aber noch ein paar Runden und sah den anderen Gruppen zu, die auch gerade trainierten.

»Eiichiro! Wenn du gerade nichts zu tun hast, kannst du mir ja helfen!«, rief Sugawara, der hinter der Glasfront stand. Ich trat mit der rechten Kufe hinter mir vom Eis ab und schlitterte zum Ausgang der Eisfläche. »Sicher, wo kann ich behilflich sein?«, fragte ich den Grauhaarigen.

»Die nächste Gruppe fängt mit ein paar Trockenübungen für eine Choreo an und dafür wollte ich schonmal die Matten bereitlegen«, erklärte er, während wir zu den Übungsräumen gingen. »Für die zehn bis zwölf-jährigen findet nächsten Monat ein Wettbewerb statt, an denen sie teilnehmen wollen«, erzählte er weiter.

Während wir gemeinsam alles aufbauten, erklärte er mir, wie die Choreo aussah und fragte nebenbei nach ein paar Tipps. Da Koshi selbst kein Eiskunstlauf beherrscht, half ich ihm regelmäßig bei der richtigen Ausführung der Übungen außerhalb des Eises.

»Weißt du eigentlich, wie dankbar ich dir bin, dass du uns so sehr unter die Arme greifst?«, fragte ich nach seinem Redeschwall. Er arbeitete eigentlich als Grundschullehrer, aber kam dennoch regelmäßig her und übernahm einige Kurse. Ohne große Gegenleistung opferte er seine Freizeit.

»Ach was. Dafür sind doch Freunde da, oder?«, lächelte er. Theatralisch fasste ich mir gerührt ans Herz. Sugawara war wirklich ein Goldstück. »Womit haben wir dich nur verdient?« Ich wischte eine imaginäre Träne aus meinem Augenwinkel, bevor ich meine Arme um den Kleineren legte.

»Du bist echt eine absolute Heulsuse, Chiro«, hörte ich hinter mir die Stimme meines Bruders witzeln. »Halt doch die Klappe, Toshiro! Nur weil du so gefühlskalt bist!«, bemerkte ich.

»Ich bin nicht gefühlskalt, nur ehrlich«, beteuerte er. »Aber er hat Recht, Suga. Du könntest wenigstens das Geld von uns annehmen.« Koshi seufzte. »Wie oft soll ich euch das noch sagen? Ihr könnt das besser gebrauchen. Steckt das Geld in die Weiterentwicklung der Halle«, sagte er verzweifelt. Diese Art von Unterhaltung hatten wir schon unzählige Male geführt und immer mit dem selben Endergebnis.

In diesem Moment kamen die ersten Teilnehmer des Kurses in den Raum. Die zwei Mädchen setzten sich auf jeweils eine der Matten und begannen sich aufzuwärmen. Indessen setzte ich mich etwas abseits der Gruppe auf eine Bank. Ich hatte beschlossen dem Kurs zuzusehen, da ich aktuell sowieso frei hatte. Mein Bruder schien den selben Gedanken zu haben, denn nicht viel später saß auch er auf der Bank.

»Suga macht das echt gut, was? Er scheint einfach das Talent zum Unterrichten zu haben«, murmelte mein Nebenmann nach einer Weile, in der wir stumm zugesehen hatten. Da konnte ich ihm nur zustimmen. Koshi erklärte alles so einfach, dass selbst die Jüngsten es gut verstanden und umwandeln konnten.

Ich scannte die Haltungen der Kinder ab und stand kurz danach auf. Vorsichtig, um niemanden zu erschrecken, ging ich auf ein zierliches Mädchen zu. »Wenn du deine Körpermitte mehr anspannst, hast du auch mehr Gleichgewicht«, sagte ich zu ihr und drückte leicht an Bauch und Rücken. Sie wandelte es direkt um und lächelt mich breit an, als sie einen besseren Stand hatte.

Hier und da korrigierte ich die Haltungen und setzte mich anschließend zurück auf die Bank. »Ein Glück, dass wenigstens einer von uns beiden so gut mit Kindern kann«, gluckste Toshiro. »Mit deinen Piercings siehst du ja auch unglaublich gefährlich aus!«, witzelte ich und deutete dabei auf den silbernen Stein unterhalb seiner Lippe.

»Also ich bin ja der Meinung, das liegt an deinen süßen roten Löckchen.« Dabei wuschelte er mir durch die Haare. Ich sah böse zu ihm rüber und knuffte ihn mit meiner Schulter. »Da könntest du richtig liegen. Meine süßen roten Löckchen sehen viel liebenswerter aus als deine schwarzen«, gab ich zufrieden zurück. Wir waren zwar Zwillinge, allerdings kam er mehr nach unserem Vater, während ich die männliche Version unserer Mutter war.

»Jeder hier weiß, dass ich der liebenswertere von uns beiden bin«, sagte Toshiro vollkommen ernst. Da konnte ich nur noch Lachen. »Ja, ganz sicher!«

Ich lachte immer noch, als plötzlich unsere Managerin in den Raum kam. »Da seid ihr zwei Hohlköpfe ja! Kommt mal bitte mit!«, wies Akina an. Gleichzeitig standen wir auf und liefen schweigend hinter der Braunhaarigen hinterher. Sie lief mit schnellen Schritten in Richtung der Büroräume.

Dort angekommen, setzten wir uns an den langen Tisch. Akina breitete Unterlagen vor uns aus. »Ihr wisst ja, dass ab morgen die Volleyball-Nationalmannschaft bei uns trainiert«, stellte sie fest. Wir nickten beide. Sicher wussten wir das, denn man bekam nicht jeden Tag eine Anfrage von einem Nationaltrainer. »Kazuki hat vorhin angerufen. Er wird eine Weile ausfallen, da er sich den Knöchel angebrochen hat. Allerdings sollte er mit den Spielern trainieren.«

»Das heißt, dass wir umstrukturieren müssen. Nicht nur dieser, sondern alle seine Kurse müssen übernommen werden«, schlussfolgerte ich. In meinem Kopf versuchte ich bereits einen geeigneten Plan zusammen zu stellen.

»Ganz genau. Da nicht klar ist, wie lange Kazuki ausfällt, würde ich vorschlagen, dass die Volleyballer nicht nur Übergangsweise mit wem anders trainieren, sondern sie von Anfang an einem anderen Trainer übergeben werden«, erklärte unsere Managerin. Die Gedanken in meinen Kopf flogen nur so durch ihn durch.

»Wen könnte man da am besten einplanen?«, murmelte ich vor mich hin, während ich einige Namen unserer aktuellen Trainer durch ging. Allerdings waren die Meisten nur ein bis zweimal die Woche hier und hatten bereits volles Programm.

»Eiichiro?«, holte mich mein Bruder aus meinen Gedanken. »Hm?« »Ich denke, Akina will darauf hinaus, dass du das übernimmst«, bemerkte er. Ich sah ihn überrascht an. »Ich? Nein das geht nicht, ich habe doch alle Hände voll zu tun mit den Kindern und allem«, versuchte ich mich rauszureden. Ich arbeitete nicht gerne mit Erwachsenen zusammen. Und schon gar nicht, mit irgendwelchen Balltypen, die keine Ahnung von unserem Sport hatten!

»Ich bin auch der Meinung, dass du die beste Wahl dafür bist«, bestand er darauf. »Wir werden dir natürlich auch helfen. Suga kann die Trockenübungen übernehmen und ich, wenn du zufällig gleichzeitig einen deiner anderen Kurse hast.« Ich blieb eine Weile still und überlegte. Es wäre sicher eine gute neue Herausforderung. Meine größte Angst, wenn ich mit Erwachsenen trainierte, war, dass sie einfach keine Lust mehr hatten und aufhörten. Kinder konnte man mit Spiel und Spaß motivieren, doch bei den Älteren funktionierte das nicht immer besonders gut. Allerdings waren es ja Nationalspieler, also sollten sie die nötige Durchsetzungsfähigkeit haben, oder? Ein Versuch war es wert.

»Na schön! Dann macht die Fliege! Ich muss schließlich noch einen Plan bis morgen zusammenbauen!«, kommandierte ich die beiden. Sichtlich zufrieden standen sie auf und ließen mich allein. Mit sicheren Schritten ging ich auf das Flipchart zu und begann meine Ideen aufzuschreiben.

Déjà Vu - Kageyama x male OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt