Kapitel 14

170 13 0
                                    

BRUNO

Fünf Tage. Fünf lange, verdammte Tage. Seit fünf Tagen hielt Esteban seine Familie schon zuhause fest. Ich hatte schon hundert Mal versucht ins Haus zu sehen oder irgendwie zu Lia zu kommen, aber es war unmöglich. Die Vorhänge waren zugezogen und die Tür abgeschlossen, es gab keine Chance irgendwie zu Lia zu kommen oder in Erfahrung zu bringen, wie es ihr ging. Ich hatte daran gedacht, ihr einen Brief zu schreiben, aber ich war mir sehr sicher, dass Esteban den Brief einfach wegschmeißen würde, also war das auch keine Option. Nachdem ich keinen Weg gefunden hatte, Lia zu helfen, blieb ich einfach in meinem Zimmer. Ich fühlte mich schrecklich und hilflos und allein der Gedanke daran, dass ich Lia nicht helfen konnte und sie möglicherweise verletzt war, brach mir das Herz. Mir tat alles weh und ich hatte das Gefühl, als hätte mir jemand das Herz rausgerissen. Ich lag seit ein paar Tagen einfach nur auf meinem Bett und starrte entweder die Wand oder die Decke an. An der Wand war eine kleine Kinderzeichnung, die Lia und ich mit fünf Jahren dort angebracht hatten. Wir hatten von Mamá damals ziemlichen Ärger bekommen, weil wir die Wand verschmiert hatten, aber mir gefiel die Zeichnung. Sie durfte niemals abgehen. Erst recht nicht in dieser Situation. Sie war im Moment das einzige, das ich noch von Lia hatte - und daran hing ich mehr als an allem anderen. Selbst Amigo, Carla und ihr Theaterstück konnten mich nicht aufmuntern, auch, wenn die kleinen Ratten es immer wieder versuchten. Auch Julieta, Pepa und Mamá versuchten alles, damit es mir wieder besser ging, aber auch das half nicht. Erst, wenn ich Lia wieder sehen konnte, würde es mir besser gehen. Vorher war an eine Besserung gar nicht erst zu denken. Ich starrte auf die Zeichnung und streckte meine Hand danach aus, bevor ich sie vorsichtig berührte. Es waren Lia und ich darauf zu sehen, wie wir nebeneinander unter einem Regenbogen standen und jeder jeweils eine der Ratten in der Hand hielt. Ich liebte diese Zeichnung. Jeden einzelnen Pinselstrich. Da ging meine Tür auf, worauf ich mich im Bett umdrehte. Julieta und Pepa kamen rein, schlossen die Tür hinter sich und setzten sich zu mir. Julieta hielt einen Teller mit Essen in der Hand, Pepa einen Brief.
"Hey, hermanito, wie geht's dir?", fragte Julieta besorgt.
"Wie soll es mir schon gehen? Lia ist eingesperrt bei sich zuhause und ihr könnte schon sonst etwas passiert sein! Und ich kann nichts tun! Ich fühle mich so schrecklich hilflos!", antwortete ich aufgelöst und musste einige Tränen unterdrücken. Meine Schwestern legten mir eine Hand auf die Schulter.
"Ich weiß, dass du dich schrecklich fühlst, aber wir können nichts tun. Komm schon, iss wenigstens etwas. Du hast seit zwei Tagen nichts mehr gegessen", bat Julieta und hielt mir den Teller hin, aber ich stellte ihn zur Seite.
"Das kann ich nicht, tut mir leid. Vielleicht später", lehnte ich ab und drehte mich um. Pepa setzte sich auf und hielt mir den Brief hin.
"Der ist von Lia und Cristiano. Eine Einladung zur Hochzeit dieses Wochenende. Du bist nicht eingeladen, tut mir leid, aber es ist ein kleiner Zettel für dich dabei", sagte sie, worauf ich mich sofort aufsetzte und ihr den Brief aus der Hand riss. Ich öffnete ihn und nahm die große Einladung heraus, die ich allerdings sofort an meine Schwestern abgab. Mich interessierte bloß der kleine Zettel. Er lag zusammengefaltet am Boden des Umschlags und war so klein, dass man ihn leicht übersehen konnte. Ich faltete ihn schnell auseinander und begann zu lesen.

Brunito,

Es geht mir gut, mach dir keine Sorgen. Mein Vater hat mich zwar geschlagen, aber das ist alles schon wieder verheilt, bis dich dieser Brief erreicht. Du musst dir keine Sorgen um mich machen, wirklich. Es tut mir leid, dass ich es nicht geschafft habe zurück zu dir zu kommen, aber noch geben wir nicht auf. Ich schreibe dir das, damit du weißt, dass die Hochzeit mit Cristiano doch stattfinden wirst - aber das wirst du wahrscheinlich schon wissen. Sonst würde dieser Brief dich wahrscheinlich gar nicht erst erreichen. Jetzt wird es Zeit für unseren Plan. Bitte, tu mir den Gefallen und komm in die Kirche! Ich will nicht ohne dich leben, ich liebe dich. Ich brauche dich, Bruno. Ich brauche dich jetzt mehr denn je. Bitte, hilf mir. Nimm auch Julieta und Pepa mit, wenn du möchtest, aber hilf mir. Ich liebe dich, amor.

Lia

Ich hatte Tränen in den Augen, als ich den Brief zusammenfaltete. Ich liebte Lia auch. Ich würde ihr helfen, das war gar keine Frage. Ich würde diese Hochzeit sprengen - ganz egal, was das Dorf dann von mir halten würde. Ich musste meiner Freundin helfen, egal wie. Ich sah meine Schwestern an und drückte mir den Brief an die Brust. Ich wollte ihn nie wieder loslassen, geschweige denn ihn verlieren. Es war das einzige, das ich im Moment von Lia hatte. Sie hatte sogar etwas von ihrem Parfüm auf das Papier gesprüht und allein dieser Duft ließ mich schon etwas besser fühlen.
"Ok, Lia bittet mich darum, die Hochzeit zu sprengen. Ihr müsst mir nicht helfen, wenn ihr nicht wollt, aber ich muss ihr helfen", berichtete ich meinen Schwestern.
"Natürlich helfen wir dir! Gar keine Frage! Ich könnte ja einen kleinen Sturm in der Kirche veranstalten, dann könnt ihr vielleicht besser abhauen", schlug Pepa vor, ich nickte.
"Das ist eine gute Idee", stimmte ich zu. "Das probieren wir aus."
"Gut, dann versuche ich die Leute aufzuhalten, die euch aufhalten wollen", erwiderte Julieta. "Wir kriegen Lia da raus, versprochen."
"Danke, das hoffe ich auch. Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn meine Freundin wegen meinem Versagen unglücklich wird", sagte ich und kratzte mich unsicher am Arm.
"Wie wäre es, wenn du nachsiehst, ob das alles klappt? Dann könnten wir uns zur Not einen Plan B überlegen", schlug Pepa vor.
"Nein, lieber nicht. Ich will es gar nicht sehen, wenn es nicht klappt. Wir schaffen das schon", lehnte ich ab, weil dieser Fehler wirklich gravierend wäre und damit könnte ich nicht leben. Ich musste versuchen positiv zu bleiben, etwas anderes würde mich nur verrückt machen. Aber ich war auch so schon nervös genug. Das durfte einfach nicht schiefgehen, sonst würde ich Lia endgültig verlieren. Das konnte ich nicht verantworten. Ich musste diese Hochzeit mit allen Mitteln verhindern. Koste es, was es wolle.

Ich brauche dich, BrunoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt