Kapitel 18

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BRUNO

"Bruno!" Ich schreckte aus dem Schlaf hoch, als ich Mamás Stimme hörte. Sie stand mit verschränkten Armen in der Tür und sah uns ernst an. Sie war wohl nicht sehr erfreut darüber, dass Lia und ich zusammen in einem Bett geschlafen hatten. Das hatte ich von Anfang an gewusst, ich hätte mir vielleicht einen Wecker stellen sollen. Lia setzte sich müde auf. "Was macht ihr zwei denn da?! Ich hab größtes Verständnis für eure Gefühle, aber das hier geht nicht! Sonst läuten gleich die Hochzeitsglocken für euch!"
"Nach gestern wäre das wohl keine gute Idee", wandte ich ein, Lia lachte.
"Nein, wäre es wohl nicht", gab sie zu und stand auf. "Es tut mir leid, Alma, ich hab nicht nachgedacht. Ich konnte nur nicht schlafen und dachte, dass ich zu Bruno gehen kann."
"Er hätte es trotzdem besser wissen müssen! Dieses Mal lasse ich es euch durchgehen, wegen der ganzen Aufregung gestern, aber wenn ich euch noch mal so erwische, dann bringe ich euch in die Kirche! Wer weiß, was sonst noch passiert!", erwiderte Mamá und ging dann aus dem Zimmer. Lia kicherte leise.
"Das haben wir ja ganz toll hinbekommen! Der Priester sieht uns doch wohl früher wieder als gedacht, wenn wir so weitermachen!", grinste sie und strich sich eine Locke zurück. Ich seufzte leise und quälte mich aus dem Bett.
"Sieht so aus, aber ich würde dir den Anblick der Kirche nach gestern gerne noch eine Weile ersparen. Wollen wir erstmal frühstücken gehen?", erwiderte ich, sie nickte und gab mir einen Kuss auf die Wange.
"Gute Idee, ich sterbe vor Hunger!", stimmte sie begeistert zu.
"Dann los, lass uns runtergehen. Julieta wird bestimmt schon Essen gemacht haben." Wir gingen zusammen nach unten in die Küche, wo alle schon auf uns warteten. Lia setzte sich mir gegenüber hin, als Mamá uns einen vielsagenden Blick zuwarf. Sie grinste mich an und wandte sich dann dem Frühstück zu.
Nach dem Essen wollten wir beim Aufräumen helfen, als plötzlich die Tür aufgestoßen wurde. Überrascht drehten wir uns um. Marco, ein Bewohner des Dorfes, kam in die Küche gestürmt.
"Tut mir leid, dass ich störe, Señora, aber wir haben ein Problem! Ines liegt veletzt im Haus und Esteban ist verschwunden!", rief er, worauf Lia mich bestürzt und panisch ansah. Bevor wir reagieren konnten, war sie schon losgerannt, wir rannten ihr nach. Lia stürmte ins Dorf, kämpfte sich durch die Menge, die vor ihrem Haus stand, und stieß die Tür auf. Sie schluchzte leise auf, bevor sie ins Haus ging, wir folgten ihr und schoben die schaulustige Menge beiseite. Ines lag blutend auf dem Boden und schien sich nicht bewegen zu können. Lia kniete sich weinend neben ihre Mutter und begann mit ihr zu sprechen, worauf Ines die Hand ihrer Tochter nahm und sie schwach drückte. Ich setzte mich zu Lia und nahm sie in den Arm, um sie zu trösten, während Julieta mit einem Korb voller Arepas zu uns kam. Wir halfen Ines sich aufzusetzen und obwohl sie dabei sichtlich große Schmerzen hatte, schaffte sie es, sich an der Küchentheke anzulehnen. Lia hielt immer noch die Hand ihrer Mutter, während sie leise weinte. Mamá kam zu uns, während Pepa draußen versuchte die anderen vom Haus wegzuhalten, was dank ihrer neu entstandenen Gewitterwolke auch recht gut funktionierte.
"Ines, was ist passiert? Wo ist Esteban?", fragte Mamá, während Julieta ihr eine Arepa gab. Ines nahm sie schwach an und biss ab, worauf sich eine kleine blutende Wunde schloss. Es würde wohl eine Menge Arepas brauchen, bis es ihr wieder richtig gut ging.
"Esteban, er...", begann Ines, aber es kostete sie so viel Kraft, dass sie abbrechen musste und die Augen schloss.
"Ist gut, lass dir Zeit. Erzähl uns alles in Ruhe", beruhigte Mamá sie, während ich Lia an mich drückte und ihr beruhigend über den Arm strich.
"Beruhig dich, Julieta kümmert sich um deine Mutter. Es wird alles gut", beruhigte ich sie, sie nickte knapp und schluchzte leise auf. Während meine Schwester Ines langsam heilte, kehrte in deren Gesicht langsam Farbe zurück und sie schien sich auch nach und nach besser bewegen zu können. Lia fiel ihr um den Hals, als die meisten oberflächlichen Wunden verschwunden waren.
"Lia, mi vida, es ist alles gut, beruhig dich", flüsterte Ines ihr leise zu und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
"Was ist passiert, Mamá?", fragte Lia besorgt nach und drückte die Hand ihrer Mutter. Ines seufzte leise.
"Es war Esteban. Nachdem du gestern aus der Kirche gestürmt bist, ist er total ausgerastet. Er hat mich nach Hause gezerrt und mich beschuldigt, dass alles so gelaufen ist. Als ich ihm widersprochen und versucht habe, ihn zu beruhigen, hat er mich geschlagen, bis ich fast ohnmächtig geworden bin. Er ist weg, ich weiß nicht wohin, aber er kommt wieder, das weiß ich", erklärte sie, worauf Lia ihre Mutter losließ und sie erschrocken ansah.
"Papá hat dich so zugerichtet... wegen mir?", flüsterte sie fassungslos und zitterte dabei leicht. Ines griff sofort nach der Hand ihrer Tochter und drückte sie.
"Nein, mi hija, du bist nicht schuld. Nur er kann etwas dafür, nicht du. Du hast alles richtig gemacht. Im Gegensatz zu mir bist du stark genug, um für das zu kämpfen, was du willst", widersprach sie ihr, aber Lia schüttelte den Kopf.
"Nein, ich bin schuld. Ich habe dich verletzt", sagte sie, bevor sie sich von ihrer Mutter losmachte. "Es tut mir leid." Damit rannte sie aus dem Haus, ich folgte ihr sofort. Was hatte sie vor? Vor dem Haus stand ein Pferd der Nachbarn angebunden, das Lia kurzerhand losmachte und aufsaß. Sie wendete es und galoppierte dann davon.
"Lia, warte!", schrie ich ihr nach, aber sie hörte mich nicht. Was hatte sie vor? Wieso lief sie weg? Ich musste ihr nach, sofort. Ich rannte auf das nächste Pferd zu, und obwohl ich eigentlich nicht reiten konnte, saß ich auf und lenkte das Pferd ungeschickt in dieselbe Richtung, in die Lia auch verschwunden war. Ich rief nach ihr, aber es kam keine eine Antwort. Wo war sie hin? Wieso antwortete sie mir nicht? Ich rief weiter nach ihr, alle paar Sekunden, und versuchte auf weitere Huftritte zu achten, aber ich konnte nur die meines eigenen Pferdes hören. Wie war Lia so schnell verschwunden? Und wohin war sie verschwunden? Ich machte mir wirklich Sorgen um sie!

Als ich zu Casita zurück kam, war es bereits dunkel draußen. Die Grillen zirpten und es war kalt, als ich das Pferd seinem Besitzer zurück gab und dann nach Hause ging. Ich hatte ganz Encanto nach Lia abgesucht, aber ich hatte sie nirgends gefunden. Sie war weder auf unserer Lichtung, noch am Fluss oder in den Bergen gewesen, und ganz egal, was ich versucht hatte, ich hatte sie nicht finden können. Wo war sie nur hin? Ich machte mir wirklich Sorgen um sie. Sie war gerade in einer wirklich instabilen Lage und ich konnte ihr dabei nicht mal helfen! Wieso nur war sie weggelaufen? Wieso ließ sie mich nicht helfen? Als ich niedergeschlagen ins Haus getrottet kam, kamen Pepa, Julieta, Mamá und Ines aus der Küche gestürmt.
"Brunito! Das bist du ja, wir haben uns Sorgen gemacht! Wo warst du?", fragte Mamá und umarmte mich hektisch, ich schob sie schwach zur Seite.
"Ich bin Lia nach und wollte sie suchen. Das hat aber nicht geklappt, ich konnte sie nicht finden. Und ich hab das ganze Encanto nach ihr abgesucht", antwortete ich verzweifelt und sah Ines an. "Lo siento, Ines, ich hab versagt. Ich wollte sie beschützen und sie nie wieder aus den Augen lassen und ich hab versagt. Es tut mir wirklich leid." Sie schüttelte den Kopf und umarmte mich.
"Das muss dir nicht leidtun, Bruno, du kannst nichts dafür. Ich kenne Lia und so wie sie dich ansieht, liebt sie dich wirklich. Sie wird zurück zu dir kommen, da bin ich mir sicher", sagte sie. Ich hoffte das auch, aber im Moment war ich mir da nicht so sicher.

Ich brauche dich, BrunoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt