Kapitel 17

185 10 1
                                    

AMALIA

Ich fühlte mich wohl in Brunos weiten Klamotten. Mir ging es zwar schon etwas besser, aber erholt hatte ich mich noch nicht ganz von diesem Tag. Alma hatte darauf bestanden, dass ich bei Julieta im Zimmer schlief, um sicherzugehen, dass jemand da war, wenn etwas sein sollte, aber ich konnte ohnehin nicht schlafen, also hatte ich mich rausgeschlichen. Ich war mit Casitas Hilfe aufs Dach geklettert und hatte mich auf die kühlen Ziegel gesetzt. Ich starrte gedankenverloren ins Dorf hinunter, das jetzt still und dunkel vor mir lag. Was wohl gerade zuhause los war? War Papá wieder ausgerastet? Bestimmt, anders konnte ich es mir nicht vorstellen. Ich kuschelte mich tief in Brunos Poncho und sog den angenehmen Geruch ein, der mich sofort etwas beruhigte. Ich dachte über den heutigen Tag nach und plötzlich fiel mir etwas ein. Brunos Vision. Sie hatte gezeigt, dass ich Casita winkte und dann zu jemandem gelaufen war - in einem Hochzeitskleid. Aber nicht in dem von heute. Und das heute war auch nicht annähernd so abgelaufen wie in der Vision. Hatte Bruno sich vielleicht geirrt? Hatten wir die Zukunft verändert? Oder würde es noch eine andere Hochzeit geben? Mit jemand anderem? Vielleicht mit...
"Hey, kannst du auch nicht schlafen?" Bruno. Ich drehte mich um, als mein Freund sich zu mir auf das Dach setzte und mich in den Arm nahm. Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter.
"Nein, nicht so wirklich", antwortete ich ihm schließlich. "Und du? Du kannst auch nicht schlafen?"
"Offensichtlich nicht", gab er zu und zuckte die Schultern, während er mich musterte. "Du bist nachdenklich. Ist alles gut?" Ich nickte.
"Ja, der Tag nagt nur noch etwas an mir. Und ich hab über deine Vision von letztens nachgedacht", erwiderte ich, worauf er mich neugierig ansah.
"Ach ja? Was ist denn damit? Sie hat sich erledigt, du bist nicht verheiratet. Wir können sie also vergessen, wir haben sie verhindert", hakte er neugierig nach, aber ich schüttelte den Kopf.
"Was ist, wenn wir das nicht haben? Ich meine, dieser Tag war gar nicht, wie in deiner Vision! Was ist, wenn es noch eine andere Hochzeit gibt? Mit jemand anderem?", erwiderte ich, worauf er mich unsicher ansah.
"Du meinst, dass diese Vision gar nicht heute gemeint hat?", fragte er interessiert nach, ich nickte.
"Es wäre eine Möglichkeit. Oder wir haben die Zukunft wirklich verändert", antwortete ich.
"Tja, es gibt nur einen Weg, um das rauszufinden", meinte er und stand auf, bevor er mich ebenfalls auf die Füße zog. "Wir gehen in meine Höhle und sehen nach."
"Sicher, dass du das willst?", fragte ich unsicher nach, er nickte.
"Na klar, sonst finden wir es ja nie raus", stimmte er zu, also kletterten wir mit Casitas Hilfe wieder vom Dach herunter und gingen in Brunos Höhle. Die Treppen hinauf zu steigen war mit Hose und Poncho sehr viel leichter als im Kleid und zum ersten Mal hatte ich keine Probleme damit, alle Treppen ohne Pause hinauf zu steigen. Ich folgte Bruno in seinen Raum voller Sand, schloss die Tür hinter mir und setzte mich dann zu ihm in den warmen Sand. Er hielt mir seine Hände hin, die ich annahm. Er schloss die Augen, um sich besser konzentrieren zu können und nach wenigen Sekunden begann ein Sandsturm um uns herum zu toben, der mir beim ersten Mal, als ich das hier beobachtet hatte, große Angst gemacht hatte. Aber heute war er nicht mehr ganz so Furcht einflösend. Er konnte uns ja schließlich nichts tun. Als Bruno seine Augen wieder öffnete, strahlten sie grellgrün, fast wie ein Smaragd. Ich mochte dieses leuchtende Grün sehr, es stand ihm wirklich gut. Der Sand nahm einen ebenso grünlichen Schleier an und ich sah mich neugierig um, um die Vision entdecken zu können. Es dauerte eine kurze Weile, aber dann sah ich sie. Sie war genau gleich wie beim letzten Mal, also hatte sich die Zukunft nicht verändert. Meine Hochzeit mit Cristiano war also nicht gemeint gewesen. Aber was für eine Hochzeit dann? Ich sah Bruno an.
"Kannst du sehen, wer der Bräutigam ist?", rief ich über den Wind hinweg, der uns umgab.
"Das hab ich letztes Mal schon versucht, aber es hat nicht geklappt. Ich probiere es noch mal!", antwortete er mir und schloss die Augen, um sich stärker zu konzentrieren. Er kniff die Augen zusammen und ich hatte das Gefühl, dass er dabei Schmerzen hatte.
"Ist alles ok?", fragte ich besorgt und drückte seine Hand.
"Ja, alles gut, nur Kopfschmerzen. Jedes Mal, wenn ich das Gesicht sehen will, tut es weh", antwortete er.
"Dann lass es, ich will nicht, dass du Schmerzen hast", bat ich. Er öffnete die Augen wieder. Das Grün hatte leicht nachgelassen, wahrscheinlich aufgrund der Kopfschmerzen. Ich sah mich in der Vision weiter um und versuchte das Gesicht der Person zu sehen, auf das ich zuging. Es war nicht zu erkennen, aber es kam mir definitiv bekannt vor. Die Statur, die Haare, das könnte... "Bruno, das bist du!" Er sah mich erstaunt an und konzentrierte sich dann auf die Vision.
"Ich? Heißt das, dass wir trotz deines Vaters wirklich zueinander finden?", fragte er überrascht nach, ich nickte.
"Ja, so wie es aussieht schon!", antwortete ich glücklich und lächelte ihn an. "Wir schaffen das! Das Schlimmste scheint überstanden! Wir kriegen das hin!" Er lächelte. Der Sand fiel über uns zusammen und die grüne Tafel erschien. Bruno war darauf zwar immer noch nicht klar zu erkennen, aber ich erkannte ihn und mehr brauchte es nicht. Wir würden heiraten. Wir würden es schaffen. Es würde also alles gut werden. Der Alptraum war vorbei! Ich konnte bei ihm bleiben! Ich war so glücklich, dass ich meinen Freund stürmisch umarmte und ihn küsste. Wir würden uns verloben! Gab es denn schönere Nachrichten?
"Das heißt aber nicht, dass wir gleich heiraten, oder?", fragte Bruno grinsend nach. "Ich meine, ich liebe dich, aber ich weiß nicht, ob wir sofort zurück in die Kirche rennen sollten. Erst recht nicht nach heute."
"Da hast du vollkommen recht. Der Priester will uns wahrscheinlich so schnell eh nicht wiedersehen. Lass uns warten, ja? Wir können die Zeit genießen, wir wissen jetzt ja, dass alles klappt", stimmte ich ihm zu und vergrub meinen Kopf an seiner Schulter. "Te quiero mucho, amor."
"Te quiero también", erwiderte er und küsste sanft meine Stirn. "Und ich lasse dich nie wieder gehen, versprochen. Noch mal lasse ich dich bestimmt nicht aus den Augen."
"Und ich dich auch nicht, mein kleiner Rattenkönig", neckte ich ihn und grinste ihn an. Er seufzte und sah die Decke an.
"Den Spitznamen kriege ich nie wieder los, oder?", fragte er, ich schüttelte den Kopf.
"Nein, niemals Brunito", antwortete ich ihm, er lachte.
"Und den auch nicht. Aber na gut, du darfst das", willigte er ein und drückte mich an sich. "Willst du heute Nacht bei mir übernachten? Wenn wir früh genug aufstehen, erwischt Mamá uns sicher auch nicht und schimpft nicht." Ich nickte.
"Gerne." Also gingen wir zurück ins Kinderzimmer und kuschelten uns gemeinsam unter die warme Bettdecke. Bruno nahm mich in den Arm und ich ihn auch, während ich meinen Kopf in seiner Halsbeuge vergrub. Er gab mir einen Kuss auf die Stirn.
"Schlaf gut, mi vida."
"Du auch, amor. Ich liebe dich."
"Ich dich auch."

Ich brauche dich, BrunoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt