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Sie wachte erst auf, als sie merkte, dass sie auf etwas Weiches gelegt wurde. Erschrocken machte sie die Augen auf.

Wo war sie? Warum war sie hier? Wer hätte sie hier her gebracht?

Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals vor Angst.

„Du bist wach." Schon wieder diese tiefe Stimme.

Etwas ängstlich, aber auch neugierig schaute sie sich um.

Als erstes fiel ihr auf, dass sie auf einem Bett lag. Keines, dass nur aus einem Stück Holz und einer dreckigen und durchlöcherten Decke bestand, wie sie es kannte, sondern einem, in dem man sich wohlfühlte.

Die weiße Decke unter ihr war mit dem Matsch befleckt, der an ihr klebte, aber sie war trotzdem so weich wie die Wolken im Himmel sei mussten.

Zu der tiefen Stimme gehörte ein junger Mann. Seine Ausstrahlung beruhigte sie fast so sehr wie seine Stimme. Sein schwarzes Haar fiel ihm auf die Schultern, und sein Lächeln schickte Wärme in Teile ihres Körpers, in denen sie nichts als Kälte und Dunkelheit vermutet hatte.

Erst dann fiel ihr der Raum auf. Die Bilder an den Wänden wirkten wie echt, als wäre ein Stück des Lebens darin eingefangen, dass sie durch die vielen Fenster sehen konnte.

Aber Moment mal, hatte sich nicht gerade diese Frau dort auf dem Foto bewegt? Und wogen die Äste dieses Baumes nicht in einem Wind, der nicht da sein durfte?

Der Mann war ihrem Blick gefolgt. „Magie", meinte er, und nannte ihr wieder das Wort, aus dem ihr Leben bestand. Dann sah er sie an.

„Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, im Dreck zu schlafen?", murmelte der Mann, ob er es zu ihr sagte, oder nicht, konnte sie nicht sagen. „Ich bin übrigens Lukas", stellte der Mann sich vor und streckte ihr die Hand entgegen.

Ungläubig starrte sie auf die Hand. Als der Mann - Lukas - bemerkte, dass sie sie nicht schütteln würde, steckte er sie unschlüssig in seine Hosentasche. „Und du?" fragte er dann.

Sie antwortete nicht.

„Wer bist du?" fragte Lukas etwas zögerlich nach.

„Ich", fing sie an, und erschrak über ihre eigene Stimme. Hatte sie immer schon so heißer geklungen? „Ich bin-" Sie hielt inne.

Wer war sie? War sie überhaupt jemand? Oder war sie niemand? Sie hatte keinen Namen, aber hieß das, dass sie so war, namenlos? Ein nichts in einer lauten Welt?

Lukas sah sie erwartungsvoll und ermutigend an. „Ich bin ein freies Mädchen", meinte sie dann leise, aber mit einem gewissen Trotz in der Stimme.

„Nun denn, freies Mädchen", sagte Lukas, „Ich denke, du solltest ein Bad nehmen und dir neue Kleidung anziehen. Dein... Kleid?... sieht - verzeih - aber es sieht aus, als wäre es Jahre her, dass es zuletzt gewaschen wurde."

Das Mädchen starrte ihn an. Hatte er sie gerade um Verzeihung gebeten? Und ihr angeboten, ein Bad zu nehmen?

„Wenn du nicht willst, musst du auch nicht", sagte Lukas schnell, als er ihren Blick bemerkte. Er klang fast ein wenig gekränkt. „Nein" entgegnete sie ebenso schnell, „ich nehme mehr als gerne an, Mister Lukas."

„Ach", Lukas winkte ab, „du kannst du zu mir sagen. Und jetzt komm, ich zeig dir das Bad."

Lukas führte sie durch das Haus, das im Allgemeinen betrachtet groß war, aber deutlich kleiner als jenes, an dass sie keine guten Erinnerungen hatte, und zeigte ihr, wo sie baden konnte. Dann gab er ihr noch einen Stapel Klamotten. „Falls dir noch etwas fehlt, sag Bescheid", sagte Lukas noch und ließ sie dann im Bad alleine.

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Nachdem sie ausgiebig gebadet, sich gewaschen und sich die sauberen Klamotten angezogen hatte, die wie durch ein Wunder genau passten, obwohl sie nicht glaubte, dass es noch jemanden gab, der so dünn und klein war, wie sie es war, ging sie zurück in das Zimmer, indem sie zu sich gekommen war.

Erschöpft ließ sie sich auf das Bett fallen. Auf der Decke waren immer noch braune Flecken zu sehen, aber das störte die nicht weiter. Sie legte sich darauf hin und begann ein wenig zu dösen.

Als sie durch aufgeregte Stimmen aus dem Dämmerschlaf gerissen wurde, waren ihre Haare bereits getrocknet, und durch die Fenster an der Wand schien die Sonne mit voller Pracht.

Sie stand auf und lief zur Tür. Als sie diese öffnete, sah sie Lukas mit einem dunkelhäutigen Mann reden. Der Mann erinnerte sie etwas an Samira, eines der Mädchen, die sie noch aus ihrem »alten« Leben kannte, aber das musste an der Hautfarbe liegen, die bei beiden dunkel, ja fast schwarz war.

Der Mann und Lukas schienen zu streiten und jetzt konnte sie auch verstehen, was sie sagten.

„...dass Nara sich nicht bei dir gemeldet hat", meinte der Mann gerade ernst.

„Nein, verdammt!", rief Lukas aufgebracht und raufte sich die Haare. „Ich habe seid gestern nichts mehr von ihr gehört, Kingsley. Und ich schwöre dir, Kingsley, wenn meiner Schwester irgendetwas passiert ist, dann bist du", Lukas drückte mit dem Zeigefinger gegen die Brust des Mannes, „dafür verantwortlich!"

„Beruhige dich, Lukas!", sagte der Mann und nahm Lukas' Schultern sanft in die Hände. „Ihr wird nichts passiert sein." Durch einen Zufall fiel der Blick des Mannes auf das Mädchen, dass dem Gespräch aus dem Türrahmen heraus zugehört hatte. „Wie es mir scheint hast du Besuch", stellte er fest. „Willst du uns den nicht vorstellen?"

Lukas war so erstaun über diesen plötzlichen Themenwechsel, dass ihm für ein paar Sekunden die Luft wegblieb.

„Also", fing er dann, immer noch verwirrt, an, „das ist ein freies Mädchen", er zeigte auf sie, „und das ist Kingsley Shackelbolt, der Minister für Zauberei."

„Bitte einfach nur Kingsley", erwiderte Kingsley und neigte leicht den Kopf in ihre Richtung. „Und wie lautet dein Name, freies Mädchen?"

„Das wüsste ich auch gerne", murmelte Lukas. Kingsley warf ihm einen kurzen Blick zu, in dem sich Verwirrung spiegelte, doch dem Mädchen entging er nicht.

„Ich", hauchte sie, „habe keinen Namen."

Beinahe sofort hätte sie die Worte am liebsten nie gesprochen. Sowohl Lukas, als auch Kingsley, was sie etwas erstaunte, sahen sie entsetzt an.

„Was...? Wieso...?", stammelte Lukas. Er schien fassungslos zu sein, jemanden ohne Namen bei sich aufzunehmen, jedenfalls waren das die Gedanken des Mädchens.

„Es war nie jemand da, der mir einen hätte geben können." Diese Erkenntnis traf sie wie einen Schlag, als sie es aussprach.

Sie hörte wie eine Tür ins Schloss fiel. „Lukas? Bist du da?", kam eine Stimme nach oben.

„Nara", hauchte Lukas und drehte sich um.Nur ein paar Sekunden später tauchte er wieder auf, den Arm um eine Frau gelegt, die unterschiedlicher nicht sein könnte.

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~Mein Ziel ist es, glücklich zu sein, nicht perfekt~
XO, Filou

the Story of her- Hp ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt