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Die Frau, Nara, starrte sie an.
Sie starrte zurück.
Die Luft knisterte.

„Nara ist zurück!", rief Lukas. Er schien die Spannung in der Luft nicht zu bemerken. „Oh Kingsley, hast du Glück gehabt, sie ist zurück!"

„Lukas?", wurde Lukas von Nara unterbrochen. „Wer ist das?" Nara zeigte auf sie.

„Sie ist hübsch nicht?", plapperte Lukas drauf los. „Ich hab sie heute morgen auf dem Feldweg gefunden. Du hättest sie sehen müssen! Fürchterlich sah sie aus! Ich finde ja, dass sie aussieht, als hätte sie mindestens ein Jahr lang nichts mehr gegessen. Und ihre Klamotten! Nicht mal eine Hose trug sie! Und das ausgerechnet am kühlsten Tag des Julis! Und ich konnte noch nichtmal ihre Haarfarbe bestimmen, so braun wie sie vom Matsch waren. Sie sieht aus wie..." Lukas hielt inne. Verwirrt blickte er von Nara zu ihr und von ihr zu Nara. Bei ihm schien der Groschen gefallen zu sein.

„Sag mir bitte einfach, wer sie ist", drängte Nara, sie knurrte schon fast.

„Ihr seht euch ähnlich", stellte Lukas fest und sprach damit das aus, was sie schon seit jenem Augenblick dachte. „Seid ihr verwand? Ist sie vielleicht deine Nichte? Ne, dann wäre sie ja meine...meine Tochter. Und meine Tochter ist..." Lukas hielt. Ohne es zu wollen, war er wohl zu einem Thema gelangt, dass ihm Unbehagen, ja, Bedauern bereitete.

„Naja, das soll nicht eure Sorge sein", fuhr er fort, als versuche er, einen Gedanken zu vertreiben.

„Nicht unsere Sorge?!", wiederholte Nara aufgebracht. „Ich bin verdammt nochmal deine Schwester! Ich weiß, dass du damals jede Nacht geweint hast!" „Nara", versuchte Lukas Nara zu beruhigen, „bitte nicht vor Kingsley." „Ist mir egal, wer zuhört!", fuhr Nara ihn an. „Du hast Wochen gebraucht, um es zu verkraften. Ich weiß wie viel du dir vorwarfst! Und immer noch vorwirfst! Glaub ja nicht, du könntest mich zum Narren halten!"

Kingsley, der die ganze Zeit unbeteiligt im Hintergrund gestanden hatte, räusperte sich. „Ich glaube, ich lasse euch nun allein. Guten Tag", dann verschwand er die Treppe runter.

Kurz herrschte Stille, doch mit dem Klacken der Tür, durch die Kingsley das Haus verließ, brauste das Gespräch zwischen Nara in ihrem Bruder Lukas wieder auf.

„Du bist so ein Idiot, Lukas Wing!", fuhr Nara ihren Bruder an.

Schon wieder dieser Name, Wing. In letzter Zeit kam er ihr zu oft vor. Nicht so oft, dass man von einer Invasion sprach, aber oft genug, um zu viel zu sein.

Nara drückte ihren Bruder jetzt gegen die Wand. Ihre Worte waren wie Messerstiche: „Lukas Wing, sag niemals mehr, wirklich niemals, dass etwas nicht unsere Sorge sei! Und vor allem nicht, wenn es um deine Tochter geht. Sie ist bei einer...", Nara suchte nach Worten, "...einer Sklavenhalten!"

„Sag niemals nie", versuchte Lukas die Situation aufzulockern und spielte damit auf Naras ersten Satz an. Doch Nara schien es nur noch wütender zu machen.

„Du weißt doch gar nicht, wovon du sprichst!", fuhr sie ihn an. „Ich war dort! Ich hab es mit eigenen Augen gesehen. Es ist schrecklich! Schrecklicher als alles, was ich je gesehen habe! Es gibt dort Sklaven. Sklaven, Lukas! Und du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sie behandelt werden. Es gibt dort Menschen, denen noch nicht einmal Namen gegebnen werden!"

Lukas' Blick wanderte zu ihr. Sie wurde rot. Leicht beschämt blickte sie zu Boden.

Nara schien seinem Blick gefolgt zu sein, denn sie sagte: „Du...du willst mir also sagen, dass dein Gast keinen Namen hat?!"

„Es tut mir leid", meinte das Mädchen mit ihrer zarten Stimme. Wieder dachte sie, dass es schlimm sein musste, sie aufzunehmen, wo sie doch nicht mal einen Namen hatte.

„Das muss dir nicht Leid tun", meinte Nara, die jetzt viel sanfter klang. Als das Mädchen den Kopf hob, sah sie Nara langsam auf sich zukommen. Als Nara vor ihr stand, strich sie dem Mädchen sanft über den Kopf.

„Merlin", meinte Nara, „Lukas hat wirklich Recht, du siehst aus, wie nach einer Hungersnot! Komm, wir wollen uns etwas zu Essen machen, ist sowieso Zeit für's Mittagessen." Bei ihren Worten warf sie Lukas einen wütenden Blick zu, als wäre es der Weltuntergang, dass er nicht selbst auf diese Idee gekommen war. „Und außerdem", fügte sie hinzu, „hab ich Hunger wie ein Bär." Dann führte sie das Mädchen in die Küche.

Die Küche war kleiner, als die Küche, die das Mädchen kannte. Aber sie war gemütlich eingerichtet und man fühlte sich sofort wohl.

Nara öffnete den Kühlschrank. „Marmelade oder Honig?", fragte sie. „Ähm", antwortete das Mädchen, nicht wissend, was sie antworten sollte. Schließlich hatte sie weder das eine, noch das andere je probiert. Woher sollte sie also wissen, was sie wählen sollte?

Aber Nara nahm ihr die Entscheidung kurzerhand ab, indem sie sagte: „Egal, Marmelade ist sowieso viel leckerer. Ich weiß gar nicht, was Lukas an seinem Honig hat." Damit zog sie die Marmelade aus dem Kühlschrank, knallte die Kühlschranktür zu, schnappte sich aus dem Brotkorb daneben einen kleinen Laib Brot und stellte beides auf den kleinen Tisch, der in der Mitte des Raumes stand und an welchem gerade so vier Personen Platz hätten, allerdings standen dort nur zwei Stühle.

Als sich das Mädchen etwas unschlüssig auf einen der Stühle setzte, machte dieser komische Geräusche. Der Stuhl schien zu kreischen und begann doch glatt, hin und her zu laufen.

Erschrocken rutschte das Mädchen vom Stuhl. „Eichfred!", fuhr Nara den Stuhl an, als spräche sie mit einem Lebewesen. „Wie kannst du es wagen, so mit einem Gast umzugehen?! Jetzt stell dich hin und sei ein braver Stuhl!" Mit einem leisen Murren, so schien es dem Mädchen, stellte sich der Stuhl an seinen alten Platz.

„Du weißt doch, dass du das nicht sollst!", redete Nara weiter auf den Stuhl ein. „Wir wissen ja noch nicht einmal, ob sie überhaupt eine Hexe ist." Der Stuhl schien sich ganz klein machen zu wollen, als würde er sich schämen. „Nicht doch, Eichfred. Sei nicht beleidigt. Braver Stuhl, ganz feiner Stuhl. Und jetzt lässt du unseren Gast auf dir Platz nehmen", befahl Nara dem Stuhl und warf einen kurzen Blick auf den anderen. „Und du, Rosalinde, für dich gilt das selbe."

Als das Mädchen nun zum zweiten Mal auf dem Stuhl namens Eichfred Platz nahm, kratzte dieser mit einem Bein auf dem Boden, blieb aber an Ort und Stelle.

Gerade als Nara die Teller auf den Tisch stellte, kam Lukas durch die Tür.

„Du kleiner Idiot!", murmelte Nara in seine Richtung. Lukas stellte sich neben sie. Dabei sah man, dass er gut einen halben Kopf größer war, als seine Schwester. „Na, wer ist hier klein?", neckte er sie.

Nara gab ihm als Antwort nur eine leichte Kopfnuss und setzte sich dann zu dem Mädchen an den Tisch. Mit schiefgelegtem Kopf schaute sie es an.

„Ich glaube", meinte Nara dann nach einer kurzen Weile, „Ich glaube, du brauchst einen Namen."

•1130 Wörter•

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