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Doch leider wache ich am nächsten Morgen wieder auf. Es dauert deutlich länger um herauszufinden, was mich hier geweckt hat als sonst, denn meine Sicht ist vollkommen verschwommen und ich habe höllische Kopfschmerzen. Außerdem ist alles voll mit Blut, aber das bin ich ja schon gewöhnt. Denn mein halber Bauch und auch meine Brust sind inzwischen übersäht, gestern waren es mehr Schnitte als gewöhnlich, das macht sich auch im Schmerz-Level bemerkbar. Heute kann ich definitiv nicht zur Schule gehen.

Während ich versuche aufzustehen, schießen mir solche Schmerzen in den Schädel, dass ich mich am Regal festhalten muss, doch irgendwie schaffe ich es dann doch meine Kleidung zu wechseln, damit das Blut niemand sieht, und nach unten zu meiner Familie zu gehen. Unten angekommen kommt direkt Jimin mit besorgtem Blick auf mich zu.

"Was ist denn mit dir passiert, du bist ja blass wie eine Wand!"

"Ich habe höllische Kopfschmerzen, ich bleibe heute am Besten zuhause." Meine Mutter, welche ebenfalls in der Tür steht nickt zustimmend, sodass ich mich absolut erschöpft auf unser Sofa fallen lasse.

"Brauchst du eine Tablette?" Ich beginne zu nicken, doch dabei wird mir sogar im Liegen schwindelig, sodass ich abrupt aufhöre. Meine Mutter versteht das augenscheinlich als ein "Ja", da sie mir prompt ein Glas Wasser und eine Tablette in die Hand drückt.

Nach einer halben Stunde bin ich dann endlich allein Zuhause, sodass ich mich wieder die Treppe hoch schleife und in mein Bett lege. Ich kann nicht ganz unterscheiden, ob ich wach bin oder schlafe, aber eins weiß ich. Wäre ich doch lieber gestorben. Denn jetzt, wo ich bemerke, dass ich mich nicht einmal ordentlich umbringen kann, fühle ich mich noch miserabler als zuvor...

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Jetzt sind schon zwei Woche vergangen, zwei Tage bin ich noch Zuhause geblieben, aber jetzt bin ich wieder in der Schule. Und am liebsten würde ich es gleich noch einmal versuchen. Denn langsam halte ich es nicht mehr aus, ihn ständig zu sehen. Es fühlt sich an, als wäre dieser Körper nicht mehr meiner, ich werde dieses Gefühl nicht mehr los, als er mich angefasst hat.

Das einzig gute an all dem ist, dass Namjoon es nicht mitbekommen hat. Er ist auch weiterhin der einzige Grund, weshalb ich noch nicht weg bin, aber jede kleinste Veränderung könnte dazu führen, dass ich es beende. Das habe ich am eigenen Leib bemerkt, denn seit dem Vorfall musste ich mich schon mehrmals davon abhalten, mir nicht mit der Klinge die Pulsadern durchzuschneiden. Auch das Ausmaß der Narben an meinen Oberkörper nimmt immer und immer weiter zu.

Gerade sitzen Namjoon und ich in der Cafeteria, denn wir haben eine Freistunde. Ein paar weitere Schüler, teilweise aus unserer Klasse, aber auch Fremde sitzen ebenfalls hier.

"Ich gehe kurz auf die Toilette, bis gleich." Ohne mir groß Gedanken zu machen, laufe ich aus dem breiten Eingang in einen der fensterlosen Gänge, in Richtung der Toilette. Hier sind, abgesehen von den Toiletten, noch zwei leere Räume, wir haben die letzten Jahre scheinbar weniger Schüler als sonst, sodass wir viele leere Klassenräume haben.

"Hilf-" Hat da gerade jemand um Hilfe geschrien? Es klang, als würde jemandem der Mund zugehalten werden, was ist hier bloß los? Es kommt aus einem der leeren Klassenräume. Das ist doch nicht... Bestimmt nicht, er wäre ja wohl nicht so blöd, das zu machen, wenn hier noch andere Schüler Unterricht haben. Doch im Endeffekt gewinnt die Neugier Überhand und ich schaue durch das kleine Fenster in den Raum, möglichst unauffällig.

Doch ich gefriere in meinen Bewegungen. Das was ich da sehe, verschlägt mir den Atem und zwar im negativen Sinne. Aus diesem Blickwinkel kann ich nur einen schmalen Abschnitt der Klasse sehen, jedoch sind genau in diesem Blickfeld zwei Köpfe zu sehen. Jemand wird mit einer Hand über dem Mund zu Boden gedrückt, ich glaube ich kenne ihn. Soweit ich mich richtig erinnere, heißt er Hoseok, er ist in unserer Parallelklasse und seine Freunde sitzen auch gerade in der Cafeteria, ich habe ihn eben noch gesehen.

Und als ich sehe, wessen Hand ihn da zu Boden drückt, falle ich nach hinten auf meine Hände, unfähig mich zu bewegen. Es ist er. Dieser Lehrer. Schon wieder dieses Lächeln. Wieso muss er das noch einer weiteren Person antun? Warum? Langsam rutsche ich mit dem Rücken voran weiter auf die Wand des Gangs zu, gegenüber der Tür. Ich weiß, dass ich ihm helfen müsste, aber ich kann nicht. Ich habe so eine unfassbare Angst. Ich kann ihm nicht in die Augen sehen, ich kann einfach nicht. Ich will dieses Lächeln, diesen abartig genussvollen Gesichtsausdruck nie wieder sehen müssen.

Und als ich dann auch noch gewisse Geräusche seinerseits höre, springe ich auf und laufe weg. Vollkommen in dieser Erinnerung gefangen laufe ich den Gang herunter, als ich die offene Tür des Putzraums am Ende des Korridors sehe, laufe ich hinein und schließe sie. Was, wenn er mich gehört hat und mich sucht? Was, wenn er mir das erneut antut?

In heilloser Panik drücke ich meine Hände auf meine Ohren, meine Knie ziehe ich an mich. Es muss aufhören, diese Erinnerung. Diese Geräusche, seine Stimme. Dieses Gefühl, schon wieder angefasst worden zu sein. Erst, als ich die Narben an meiner Taille wieder aufgekratzt habe, geht die Panik endlich runter und Schuldgefühle übernehmen die Oberhand. Ich habe ihm nicht geholfen. Ich hätte ihm das ersparen können, aber ich konnte es nicht. Nur weil ich so ein Feigling bin, habe ich das zugelassen. Es ist meine Schuld, dass er das für den Rest seines Lebens mit sich herum tragen muss.

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Hätte ich da doch schon gewusst, dass sein Leben nicht mehr sonderlich lang sein würde. Denn nachdem ich mich soweit beruhigt habe, hörte ich von draußen einen lauten Knall. Vorsichtig öffnete ich die Tür und lief aus dem Korridor heraus, denn direkt neben dem Putzraum ist eine Tür nach draußen. Das Geräusch kam irgendwo aus der Richtung der Sporthalle, diese ist nämlich direkt angeschlossen an diesen Gebäudeteil. Und als ich um die Ecke der Halle lief, dort ist normalerweise niemand, da es auf der gegenüberliegenden Seite der Eingangspforte ist, erkannte ich wo das Geräusch herkam.

Dort lag jemand, in einer Blutlache. Und bei genauerem Hinschauen erkannte ich Hoseok. Er hatte sich vom Dach gestürzt, nachdem er mit ihm fertig war. Mir entfuhr ein lauter Schrei und ich fiel zu Boden, erneut vollkommen unfähig mich irgendwie zu bewegen. Gott sei dank kamen nach wenigen Sekunden weitere Leute hinter das Gebäude, denn Schüler in der Sporthalle hatten wohl meinen Schrei gehört.

Der Lehrer voran, liefen die Schüler auf ihn zu und auch sie sind vollkommen geschockt, einer rief nach Aufforderung des Lehrers einen Krankenwagen. Der Lehrer, seinen Namen kenn ich nicht, versuchte verzweifelt ihn wiederzubeleben, aber er schaffte es nicht. Wie auch, das Dach der Sporthalle ist sehr hoch und er ist auf Beton gefallen. Und während der ganzen Zeit saß ich zusammengekauert an der Wand angelehnt auf dem kalten Boden, die anderen Schüler stehen auch noch um mich herum.

Das ist alles meine Schuld...

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The incident° ~ Yoongi FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt