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Zittern wie Espenlaub betrete ich den Gerichtssaal, er besteht hauptsächlich aus hölzernen Möbeln und wäre eigentlich ein angenehmer Ort, wenn er nicht hier wäre. Hr. Nam legt mir vorsichtig eine Hand auf die Schulter um mich ein bisschen zu bestärken und es hilft tatsächlich. Ich fühle mich nicht mehr, als würde ich all das allein durchstehen müssen.

Als ich mich auf den mir zugewiesenen Platz setze, sehe ich links neben mir, im Zuschauer Bereich, meine Eltern, Jimin und Namjoon, sowie einige andere Mitschüler und ein paar Lehrer, wie zum Beispiel unsere Schulleitung. Auch die Bibliothekarin ist da, sie alle wollen vermutlich mitbekommen, was jetzt wirklich passiert ist.

Und dann betritt er den Raum. Alle Blicke sind auf ihn gerichtet, zu meinem Glück ist aber scheinbar niemand so richtig auf seiner Seite. Ich merke, wie ich leicht angespannt werde, aber ich werde den Blickkontakt jetzt aufrecht erhalten. Denn er weiß ganz genau, dass er mir hier nichts anhaben kann.

Die erste Viertelstunde lief so ab, dass das Überwachungsvideo gezeigt wurde und wir beide von unserer Sicht die Situation nochmal beschreiben sollten. Ich habe jede Kleinigkeit erwähnt, auch dass ich ihn mehrmals angeschrien habe und mich gewehrt habe, woher auch der Schnitt an meiner Seite stammt, den man im Video gut sehen kann. Selbstverständlich zeige ich ihn jetzt nicht, denn das würde mir ziemliche Probleme machen. Doch dann kommt tatsächlich der Satz.

"Was er sagt ist gelogen, der Sex war einvernehmlich und die Verletzung war ein Versehen." Mehr sagt er nicht, nur diesen einen Satz, sodass von uns ein Konter erwartet wird.

"Können sie das widerlegen?" Ich schaue Hr. Nam an und er nickt nur, sodass ich zittrig anfange zu erzählen. Von den Suizidversuchen.

"Ich habe danach mehrmals versucht mir das Leben zu nehmen. Einerseits mit Tabletten, aber das hat nicht funktioniert und ich habe versucht mich... mich zu erhängen. Mich hat jemand gerettet, daher habe ich es überlebt, aber davon habe ich diese Narbe." Mit diesem Satz siehe ich meinen Kragen herunter, sodass die lange Narbe zum Vorschein kommt.

"Der Ort, wo es versucht habe ist ein leerer Raum in der Schule, die äußeren Umstände wurden schon von der Polizei abgenommen, sodass es als sicherer Beweis gewertet werden kann." Sagt daraufhin Hr. Nam und ich schaue ihm weiter in die Augen. Meine Familie kann ich gerade einfach nicht anschauen, ich fühle mich einfach zu schuldig. Und schon versucht er schon wieder es abzustreiten.

"Das hättest du doch genauso gut fabrizieren können, das Seil usw. dort hinzulegen und ein bisschen Blut dran zu schmieren ist ja nicht so schwer, hast du noch irgendwelche anderen Beweise?" Ich hasse ihn so sehr, ich wollte das nie tun aber ich denke ich muss. Ich flüstere Hr. Nam zu.

"Sollen wir die Notlösung einsetzen?"

"Wenn du dich dazu im Stande fühlst, mach das aber du musst nicht wenn es zu schwer ist." Erst zweifle ich, doch als ich wieder nach vorne schaue und in sein abartig lächelndes Gesicht sehe, entscheide ich mich schlagartig um.

"Würde jemand so etwas tun nur um eine Gerichtsverhandlung zu fälschen?" Und damit ziehe ich mein Shirt an einer Seite so hoch, dass die ganzen Schnitte zum Vorschein kommen, all die alten, bereits weißen Narben und auch die neuen, roten Schnitte. Einige Pflaster kleben auch darauf.

"Das hat angefangen direkt nachdem du mich vergewaltigt hast, denn jedes mal wenn ich den einen Schnitt gesehen habe, den du mir zugefügt hast, habe ich Panikattacken bekommen. So habe ich bereits vor Monaten angefangen, mich zu verletzen, das sieht man daran, dass viele der Narben bereits weiß statt rot sind. Und ich habe es bis heute nicht geschafft, damit aufzuhören, jedes Mal wenn ich nachts Panik bekomme ist das meine einzige Möglichkeit." Und ab dann stockte ihm endlich der Atem.

Danach ging die Gerichtsverhandlung weiter ohne, dass er noch ein einziges Mal eine solche Aussage getätigt hat. Auch ich habe mich daraufhin zurückgehalten und konnte meinen Eltern immer noch nicht in die Augen schauen...

"... Und somit verurteile ich Herrn Choi Il-seong zu einer Haftstrafe von sechs Jahren wegen sexuellen Missbrauchs, bzw. Vergewaltigung eines Minderjährigen." Mir fällt eine unglaubliche Last von den Schultern als ich diesen Satz höre. Er ist weg. Er ist endlich weg und kann mich nicht mehr belästigen. Und langsam rollen mir Tränen über die Wangen, einfach auf Grund dieser gigantischen Erleichterung.

"Doch leider muss ich ihnen, Hr. Min mitteilen, dass ich sie aufgrund der Suizidversuche und dem selbst-verletzenden Verhalten zwangseinweisen muss." Mir stockte der Atem.

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Jetzt ist die Gerichtsverhandlung bereits eine Woche her und ich bin seit Montag in einer Klinik. Aber es ist ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe, ich habe freundliche Therapeuten, welche mir helfen mein PTBS (post-traumatische Belastungsstörung) zu überwinden. Und seit er seine Haftstrafe absitzen muss, fühle ich mich wenigstens ein bisschen besser, ich hatte bisher noch keinen Panikanfall. Und so wie es aussieht, kann ich bald schon wieder hier raus, ich habe hier genauso Unterricht, wie die meine Klassenkameraden auch und kann somit sogar die ZPs mitschreiben, wenn ich zurück bin. Es ist schließlich erst Februar und die ZPs sind bei uns erst im Juni, da hätte ich genügend Zeit es nachzuholen.

Hoffentlich geht es mir bald wieder gut, ich wollte eigentlich nie sterben, sondern nur, dass alles aufhört...

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The incident° ~ Yoongi FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt