Kapitel 7

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Hilde gewinnt nicht immer, viel zu oft verliert sie.
Sie wehrt sich wie eine Löwin, aber ihr Feind hat grausame Waffen und greift von allen Seiten gleichzeitig an und ihre Schutzschilder versagen immer öfter.
Eines Morgens findet sie eine Postkarte in ihrem Briefkasten.
Auf der Karte ist ein steiniger Strand abgebildet, in schaumige, weiße Kronen mündende Wellen schlagen gegen grauen Felsen.
Neugierig dreht sie die Karte um und liest. In ordentlicher Schreibstift stehen da in etwa dieselben Sätze, die auf allen Postkarten stehen. Aber die Unterschrift lässt sie inne halten, denn sie kennt den Namen nicht, er löst keine Erinnerung in ihr aus.
Entschlossen will sie dem Angriff standhalten, beginnt in ihrem Ordner mit allen Namen ihres Bekanntenkreises zu suchen. Doch der Feind ist wie ein Wirbelsturm in ihre Wohnung eingedrungen und Hilde weiß nicht mehr, dass die alle Namen im dicken, grünen Ordner aufbewahrt. Eine Ewigkeit lang sucht sie und es scheint, als würde sich das von ihr selbst geschaffene Heer aus Erinnerung gegen sie wenden, sie sucht und sucht und findet abertausende Blätter Papier, aber nicht den Namen auf der Postkarte. Irgendwann bemerkt sie den Ordner, aber auch hier steht der Name nicht. Sie muss vergessen haben, diesen Namen aufzuschreiben. Vergessen, vergessen, verloren. Der Feind zielt und trifft, ein weiteres Stück Hilde ist weg, als wäre es nie da gewesen. Ihr Schutzschild hat versagt und auch wenn es nur eine blöde Postkarte war, reißt die Niederlage Hilde ihr erkämpftes Stückchen Land unter den Fußen weg und sie fällt, aber ihr Teppich aus Erinnerung fängt sie weich auf . Es ist Zeit, die Taktik zu ändern.
Hilde flieht. Die Soldatin gibt nicht auf, aber sie dreht sich um und rennt obwohl es keinen Fluchtweg gibt.
Sie liest ihre Zettel, immer und immer wieder, aber nur noch die, die sie in ihrer dunklen Wohnung strahlend lächeln lassen. Ihr Kühlschrank ist leer, ihr Bauch ist leer, aber sie ist prall gefüllt mit Gedanken an die vergangenen Jahre ihres Lebens.
Die alte Frau flieht, läuft flink und schnell, die Hände vor ihren Augen, sie will nichts mehr sehen. Sie verlässt die Wohnung nicht, schaut kein Fernsehen, wechselt ihre Kleidung nicht und schreibt auch nichts mehr.
Den ganzen Tag starrt sie ihre Zettel an als könnten sie ihr zuflüstern, wie sie den Krieg doch noch gewinnen kann.

Hildes KriegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt