Wenn Gott sein Angesicht verbirgt

69 4 0
                                    

Du machst uns zur Schmach unsern Nachbarn, zum Spott und zum Hohn denen, die um uns her sind. Du machst uns zum Beispiel unter den Heiden und daß die Völker das Haupt über uns schütteln. Täglich ist meine Schmach vor mir, und mein Antlitz ist voller Scham, daß ich die Schänder und Lästerer hören und die Feinde und Rachgierigen sehen muß. Dies alles ist über uns gekommen; und wir haben doch dein nicht vergessen noch untreu in deinem Bund gehandelt.
Psalm 44;14-18
Luther 1912

Ach, HERR, gedenke doch, daß ich vor dir freilich gewandelt habe und mit rechtschaffenem Herzen und habe getan, was dir wohl gefällt.
2. Könige 20;3
Luther 1912

Ich frage mich, wie viel Wahrheit in den Aussagen großer Prediger steckt, dass Gott sich nicht von uns abwendet. Wir seien die, die sich immer von Gott entfernten. Und wenn wir ihn nicht hören, ja, dann läge dies halt an uns. Es seien zu viele Dinge in unserem Leben, die uns davon abhielten.

Für mich mag das vielleicht zutreffen. Und das werdet ihr im Laufe des Kapitels mit Sicherheit feststellen.

Ich habe seit über einem Jahr kein Kapitel mehr geschrieben, habe keine Worte mehr dafür gefunden, was sich vor meinen Augen abspielte und was mich nieder schlug. Um ehrlich zu sein, habe ich mir in den letzten Monaten oder eher im letzten Jahr des Öfteren die Frage gestellt, wie es um mich und meinen Glauben überhaupt steht.  Eine Antwort darauf habe ich noch nicht.

Verleugnen, dass es Gott gibt, dass es Zeichen und Wunder gibt, kann ich nicht. Ich kann auch nicht verleugnen, dass Gottes Reich an so vielen Ecken sichtbar ist.

So habe ich mich vor ein paar Monaten mit einer guten Freundin getroffen und durfte sehen, wie Gott sein Werk weiter führt. Inzwischen leitet sie einen Hauskreis und viele Zeichen folgen ihr; und das war so ermutigend zu hören! Denn im selben Moment sah ich auf mich und konnte keine Kraft mehr aufbringen. Nach dem Treffen hatte ich so einen Elan in mir und hoffte, dass dies etwas ändern würde.

Bildlich gesprochen saß ich in einem Loch fest und um mich herum bildete sich dieses endlose Wurzelwerk, das an verschiedenen Stellen verknotete und den Weg nach draußen versperrte. Gerade, wenn ich dachte, dass an dieser Stelle alles frei wäre und ich den Weg wieder hinaus finden würde, geschah etwas, das mich vor neue Fragen setzte.

Und genauso war es dieses Mal. Das Treffen hatte mir Kraft und Mut geschenkt, doch gerade, als ich glaubte, mich daran erinnert zu haben, was Gott tut, wenn man treu ist, so sah ich, wie Gott den Eifer anderer Menschen wohl übersah. Und dann saß ich da wieder. In diesem Wurzelsystem.

Und auch jetzt gerade weiß ich nicht richtig, wie ich erklären soll, was um mich herum ist. Jedoch hoffe ich, dass ich mich, wie jedes Mal, wenn ich etwas veröffentlicht habe, danach freier fühle.

Deshalb will ich mein Problem erklären.

Mir geht es gut. Ich habe einen guten Job, habe ein Dach über meinem Kopf und habe genug zum Leben. Und tatsächlich würde ich behaupten, dass ich das alles habe, ohne, dass ich Gott viel in meinem Leben gegeben hätte. Hier und da habe ich das Lobpreisteam mit meiner Geige unterstützt, ich habe schon Predigten in Teenystunden gehalten, habe das ein oder andere Mal Kinderstunden durchgeführt. Wenn ich die Zeit habe, gebe ich meinem Mann Anregungen für seine Bücher. Aber ansonsten habe ich nichts vorzuweisen. Ich würde verstehen, wenn es mir schlechter ginge, wenn Gott mich bis ans Tiefste fallen lassen würde. Und aufgrund meines Verhaltens verstehe ich, wenn es in meiner Ehe vielleicht mal schlecht läuft, wenn meine Freunde sich von mir abwenden würden, ich würde verstehen, wenn die Menschen um mich herum mich mehr als jetzt schon für schwach und unfähig halten würden. Ich verstehe, dass ich unfruchtbar bin, dass Therapien nicht anschlagen.

Jedoch gibt es Dinge, die ich nicht verstehe. Ich verstehe nicht, wieso Menschen ihr Letztes geben für den Herrn; und der Herr sieht weg. Ich verstehe nicht, wieso Menschen ihre Gesundheit für den Herrn geben; und der Herr sieht weg. Und das alles ist über Generationen hinweg zu beobachten. Es ist, als wäre dieser Teufelskreis der Aufopferung für den Herrn  nichtig, als wäre alles nichts wert und trüge keine Frucht, als die, dass die nächste Generation dieselbe Selbstzerstörung für einen höheren Zweck anstrebt.

Und das schmerzt so sehr. Es reißt mir das Herz heraus.

Corona hat gezeigt, wie schnell ein Leben vorbei sein kann. Es sind so viele Menschen gestorben. So viele Menschen sind nach einem Leben voller Arbeit für den Herrn an Geräten in völliger Einsamkeit dahingeschieden. Eigentlich kann Corona sogar komplett vernachlässigt werden. Es sterben so viele Menschen, die ihr ganzes Leben dem Herrn gewidmet haben, die immer treu gewesen sind und der Herr ignoriert es. Er sieht nicht hin. Sie leiden an Krankheiten, ihre Körper zermürben unter der Arbeit, die sie im Namen des Herrn durchführen, an der Hilfe, die sie anderen Menschen bieten.

Und dann gibt es derart verkorkste Menschen, die den Glauben ausnutzen, um daraus den größten Nutzen für sich selbst zu ziehen und erhalten daraus so eine Fülle. Ich bin so leid zu sehen, dass das Frucht trägt.

Die Christenheit ist ein einziges Trauerspiel. Und ich will davon kein Zuschauer mehr sein. Es tut einfach so weh.

„Ja, aber der Lohn erwartet diejenigen, die das Reich bauen, im Himmel."

Dieser Satz hängt mir zum Halse raus. Alles, was ich sehe, sind Menschen, die gnadenlos ausgenutzt werden von Menschen, die es als selbstverständlich empfinden. Und das soll das Reich Gottes sein? Wie konnte Jesus das zu seinen Lebzeiten über sich ergehen lassen? Sich um Menschen kümmern, die danach darauf gespuckt haben? Wie kann man diese Menschen lieben? Alles, was ich diesen Menschen gegenüber verspüre, ist tiefe Abneigung und Ekel. Hinterlistige Schlagen sind es, die es lieben, alles zu verdrehen.

Man steckt Zeit und Geld in Menschen, um Ihnen zu helfen, und im Endeffekt suchen sie sich ihren Weg, um ihre Männer und Kinder am elegantesten aus ihrem Leben zu drängen. Ich bin es so leid. Wie Menschen sich freiwillig mit Müll überhäufen und sich in Verschwörungstheorien knien, den Sinn für die Realität und ihre eigene Verkorkstheit verlieren.

Aufgrund meiner tiefen Abneigung und meinem Unverständnis für den Herrn würde ich verstehen, ließe er mich im finsteren Todestal zurück. Aber ich verstehe es nicht, wenn er das bei Dienern tut. Ich verstehe nicht, warum die Ernte so mickrig ist.

Wann belohnt der Herr seine Treue noch und ab wann ist es die unerschütterliche Hoffnung in uns, dass der Herr uns nicht im Stich gelassen haben kann. Ich habe keine Antworten mehr.

Deshalb ist dieses Kapitel irgendwo ein Aufschrei zu Gott. Ich sehe nicht dabei zu, wie Diener so viel gegeben haben und du wegschaust.

Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.
Matthäus 11; 28
Luther 1912

Da draußen sind so viele, die mühselig und beladen im Vertrauen auf dein Eingreifen auf dich warten. Aber wo bist du?

Was ich über die Christenheit und das Christentum denke-DiaryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt