Levi war eine tickende Zeitbombe.
Als Erwin in seinen VW stieg, ergriff Levi der Drang, sein Messer zu zücken und die Reifen zu zerstechen. Auch während der Fahrt überlegte er immer mal wieder, Erwin ins Lenkrad zu greifen und sie beide in einen Baum oder ein Gebäude krachen zu lassen, sehr wohl bewusst, dass er dabei draufgehen könnte. Oder als sie vor einem Wohnkomplex zum Stehen kamen, blitzte ihn ein Stück abgebrochener Bordstein verführerisch an, mit dem man ein Fenster einschmeißen könnte.
Levi war eine tickende Zeitbombe. Und Erwin wusste das.
Er hatte das Lenkrad ziemlich fest gehalten, bis die Knochen unter seiner Haut sichtbar wurden, als hätte man sie mit Säure verätzt. Auch den Bordstein kickte er sicherheitshalber beiseite und folgte Levi anschließend, der sich bereits ungeduldig einer metallumrahmten Milchglastür näherte.
»Was wollen wir hier?«, blaffte er, das Erste, das er seit der Fahrt zu Erwin sagte.
»Wir besuchen jemanden«, erklärte er bündig und studierte die Liste mit Nachnamen, die sich neben dementsprechenden Klingelknöpfen reihten.
»Wen?«
Erwin senkte seinen Finger über die Initialen Zacharias. »Erinnerst du dich zufälligerweise noch daran, als du Ezechiel misshandelt hast und wir daraufhin rausgeschmissen wurden?«, stichelte er mit einem humorlosen Lächeln, woraufhin Levi die Augen verdrehte. »Tja, dadurch habe ich meinen Informanten nicht treffen können.«
Als etwas wie Schuldbewusstsein in ihm aufkommen wollte, schluckte Levi es stur herunter. »Tss.«
»Ich verschaffe mir etwas Abhilfe, um wieder Kontakt aufzunehmen«, fuhr er fort und wartete, bis ein leises Surren ertönte, stoisch und nonchalant wie immer, allerdings immerzu mit einem bitteren Unterton, herb, wie der Nachgeschmack einer reifen Birne.
Unzufrieden verzog Levi den Mund, fragte aber nicht weiter nach.
In der Zwischenzeit hatte Erwin bereits die Tür aufgestoßen und ließ Levi den Vortritt, ein peinlicher Höflichkeitsakt, den er mit einer gelangweilten Miene quittierte. Unbeeindruckt schob er sich an Erwin vorbei und sah sich im Treppenhaus um. Der Putz an den Wänden bröckelte und war mit Flecken übersät, die Stufen unnötig hoch und eng aneinander gepresst, als wären sie nur für tollpatschige Deppen erbaut worden, damit sie sich darin verhakten und das Genick brachen. Oder die Wirbelsäule.
Erwins Präsenz pochte in seinem Augenwinkel und fegte an ihm vorbei, während seine Schritte irgendwo weit oben verhallten. Als er begann, die ersten Stufen zu erklimmen, folgte Levi ihm stets zügig, aber achtsam. Er wagte es nicht, nach dem Geländer zu greifen, es sah wackelig, alt und fragil aus. Wäre er nicht so miesgelaunt, würde er sagen, dass ihn das an Erwin erinnerte, doch er hielt die Klappe und konzentrierte sich stattdessen auf seinen Rücken.
Im dritten Stock blieb Erwin zwischen zwei Türen stehen und wählte die rechte. Sie wurde lediglich um einen zögerlichen Spalt geöffnet. Dazwischen lugte ein dunkelblonder Mann, über dessen Mund ein spärliches Bärtchen um seine Existenz kämpfte. Die spitz zulaufende Nase darüber verlieh ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Zwergpinscher.
»Guten Tag«, grüßte Erwin freundlich, eine gestelzte Lässigkeit in der Stimme, die allerdings nicht bei Herrn Zacharias ankam. Er musterte Levi misstrauisch, woraufhin dieser nur die Stirn runzelte.
Nervös schaute er wieder zu Erwin. »Ich habe dir gesagt, du sollst keine Fremden mitbringen«, munkelte er in der Hoffnung, dass der Schwarzkopf es nicht verstand, wo er doch buchstäblich keinen Meter von ihm entfernt war.
Beschwichtigend hob Erwin die Arme. »Er ist vertrauenswürdig.«
»Kann ich nicht garantieren«, kommentierte Levi, zufrieden mit jedem noch so kleinen Schaden, den er potentiell anrichten konnte. Als Erwin ihn mahnend beäugte, schaute Levi mit nichts als purer Gleichgültigkeit zurück.
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Heimvorteil
FanficBRD, Sechzigerjahre: Obwohl Levi es aus Dresden in den Westen geschafft hat, ist er unglaublich ernüchtert, wie wenig ihm auch dort das Leben bietet. Als ihm ein mysteriöser Mann ein unschlagbares Angebot macht, geht er dementsprechend darauf ein un...