Es dauerte nicht besonders lange, bis Erwin einen Berechtigungsschein beschafft hatte und verkündete, sie würden einen Abstecher nach Thüringen machen. (Wahrscheinlich auch ein Produkt seiner guten Verbindungen in den Osten.) Levi nickte natürlich, was sollte er sonst machen? Und folgte ihm in seinen hässlichen, lauten Wagen.
Während der Fahrt wechselten sie selten ein Wort, nur einmal ärgerte Erwin sich über die aktuelle Verkehrslage und die mangelhafte Qualität der Straßen. Er merkte relativ schnell, dass es Levi nicht interessierte, und konzentrierte sich aufs Fahren.
Levi war erleichtert, dass sie die Grenze wieder reibungslos passieren konnten. Vermutlich lag es an Erwins Art, seinem römischen Kaisergesicht oder seiner Akademikersprache, seiner Vorleserstimme oder der Offenheit in seinen Gesten, aber er vermittelte immerzu einen vertrauenswürdigen Eindruck bei den Menschen um sich herum. Levi war irgendwie stolz, ein bisschen selbstgefällig wegen der Tatsache, dass er Erwin auch anders kannte, wütend und aufgebracht, nervös und fanatisch, oder verlegen und erregt.
Anscheinend hatte Zeke ihnen verziehen, oder aber er war einfach scharf darauf, sie beide wieder übers Ohr zu hauen ─ die Konsuln berieten noch. In seinem Hotel der Schande schienen sie willkommen, was zunächst paradox, letztlich aber nur verständlich war. Noch bevor sie die Lobby überhaupt durchquert hatten, hielt Erwin bereits eine Kurzeinweisung vonnöten und verlangsamte Levis Schritttempo, indem er seinen Oberarm umfasste.
Automatisch schaute er zu Erwin herüber. »Chef?«
»Vermeide doch bitte diesmal jegliche ... Malheurchen«, formulierte er es etwas abstrakter, erinnerte ihn per Augenkontakt an sein Ärgernis mit Ezechiel. Dann ließ er Levis Arm langsam los und wies den Weg. »Wir machen das auf meine Art.«
Levi schob die Schneidezähne gegeneinander. Bevor er dem etwas Impertinentes entgegensetzen konnte, erreichten sie die Rezeption. Diesmal fanden sie nur Yelena und ihre immer leidenschaftslosen, schwarzen Augen vor. Die beiden Herren wurden vom großen Ezechiel nicht persönlich empfangen, das war eine ganz klare Botschaft. So willkommen waren sie dann doch nicht.
Auch Erwin schien die Anspannung der Situation nicht zu entgehen, er überspielte sie jedoch gekonnt mit seinem patentierten Politikerlächeln und versuchte sich an Konversation mit Yelena, die aber angesichts ihrer schlechten Laune (und sozialen Inkompetenz, wenn es nach Levi ginge) nur das Nötigste sagte. Wenigstens in der Hinsicht verstanden sie sich, Levi wollte sie auch nicht länger als unbedingt erforderlich ertragen.
»Lief doch ganz gut, oder?«, scherzte Erwin trocken, als sie zum Wagen zurückkehrten, um ihr Gepäck zu holen. Levi ignorierte seine Bemerkung und stemmte sich gegen den Käfer, Blondie sollte ruhig die ganze Arbeit machen.
»Ich habe ein ungutes Gefühl«, gestand er, während Erwin um den Wagen herumlief. Er griff nach seinem Koffer und die etwas handlichere Reisetasche, die unter dem »Puffergepäck« lagen, wie Erwin es nannte. Das war überschüssige Ladung, die lediglich die Durchsuchungen erschweren sollte. »Hast du nicht auch andere Kontakte außer Zeke?« Er linste unauffällig nach links und rechts, ohne den Kopf zu bewegen. »Du weißt schon.«
»Ich habe alles im Griff«, beteuerte er und reichte Levi seine Tasche. Schade. Aus irgendeinem Grund hatte er angenommen, dass Erwin ihm den Page machen würde. »Ezechiel ist kein ehrlicher Mann und seriös erst recht nicht, aber er kann uns nichts. Wenn wir auffliegen, fliegt er ebenfalls auf. Das würde er niemals riskieren.«
»Ich weiß, aber ...«
Levi verfestigte seinen Griff um den Riemen und horchte tief in sich hinein. Da war sie wieder, die Paranoia, die ihn immer einholte und nie friedlich schlafen ließ. Sie war so eng mit ihm verwachsen, so tief in sein System integriert, dass man sie unmöglich von ihm separieren konnte, und gerade schlug sie heftig Alarm.
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Heimvorteil
FanficBRD, Sechzigerjahre: Obwohl Levi es aus Dresden in den Westen geschafft hat, ist er unglaublich ernüchtert, wie wenig ihm auch dort das Leben bietet. Als ihm ein mysteriöser Mann ein unschlagbares Angebot macht, geht er dementsprechend darauf ein un...