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Mit seiner brauen Ledertasche lief Robert an den ganzen Journalisten vorbei und hielt seinen Blick dabei stur geradeaus. Jeder wollte irgendwas von ihm, ein Statement zur aktuellen Lage. Aber das ignorierte er und war dann doch auch etwas froh, als er das Gebäude betrat und etwas Ruhe einkehrte. Annalena begegnete ihm als erstes und sie gingen kurz in eine kleine Abzweigung des großen Flurs. Sie hatte Robert nur geschrieben, dass sie kommen würde. Wie es ihr ging, davon war noch keine Rede.

"Annalena, wie sieht's aus? Geht's dir besser?"

"Joar, zumindest besser als gestern. Das Fieber ist zwar noch nicht ganz weg, aber ich wollte auch nicht deshalb zu Hause bleiben. Und euch hier alleine mit den lieben Kollegen der SPD und FDP lassen."

Robert wusste, was sie damit meinte. Auch wenn sie es nicht sagte, sie wollte Robert nicht die alleinige Verantwortung überlassen. Einerseits schmerzte ihn diese Erkenntnis, andererseits verstand er es. Wahrscheinlich würde er nicht anders reagieren. Und Robert hatte ihr in den letzten Monaten nicht unbedingt Gründe gegeben, um ihm zu vertrauen. Deshalb nahm er das einfach mal so hin. Gemeinsam gingen sie dann in den großen Saal, in dem schon einige andere Kollegen saßen. Lindner konnte er noch nicht erkennen.

Ein wenig nervös war er ja schon. Immerhin hatte er Christian einfach vor vollendete Tatsachen gestellt. Und sie mussten sich heute beide ganz normal verhalten. So, als ob nie etwas passiert wäre.

Das fiel Christian allerdings unglaublich schwer, nachdem er am Morgen sein Handy öffnete und Nachrichten von seinem Büroleiter und Assistenten sah. Er hatte ihm eine Schlagzeile geschickt.

FDP-Chef Lindner: Stress mit der Verlobten? Seit einigen Tagen wurde beobachtet, wie Christian Lindner regelmäßig in ein teures Berliner Hotel fährt. Ein Zeichen dafür, dass es zwischen ihm und seiner Verlobten kriselt? Leben sie nicht mehr zusammen in der von Jens Spahn vermieteten Wohnung?

Entnervt seufzte er auf. Das hatte ihm jetzt noch gefehlt. Er hatte sowieso schon schlecht geschlafen, weil er sich immer und immer wieder die Begegnung mit Robert ausgemalt hatte. Auch wenn es da ja eigentlich nichts zum Ausmalen gab. Für Robert waren die Verhältnisse offensichtlich geklärt. Und was sollte dann noch kommen? Aber mit dieser Nachricht am Morgen hatte er nicht gerechnet. Selbstverständlich hatte auch Franca den Bericht schon gesehen, ihm geschrieben und gefragt, wie sie darauf reagieren sollten. Ja, das war eine gute Frage. Gar nicht reagieren und die Gerüchte hinnehmen? Oder eine Begründung dafür geben? Eine Begründung, die im Grunde die Wahrheit verschwieg?

Er tendierte zu letzterem, das wäre wahrscheinlich das Schlauste. Aber dann musste er das noch mit Franca abklären und auch mit seinen Assistenten. Die könnten ihm dann ein Statement vorschreiben. Denn ehrlich gesagt hatte er für solche Gerüchte gerade überhaupt keine Zeit. Damit er überhaupt den Tag überleben konnte, besorgte Christian sich erstmal noch einen Kaffee. Sein Frühstück hatte er nicht angerührt, dafür war keine Zeit. Und Nerven hatte er dafür auch nicht.

Christian war schon spät dran, als er schnellen Schrittes über den großen Platz vor dem Gebäude, auf dem sich zahlreiche Journalisten befanden, entlang eilte. Er versuchte souverän zu wirken und lächelte vor sich hin, wie er es immer tat. Zumindest versuchte er das in der Öffentlichkeit. Als er dann das Gebäude betrat musste er erst einmal tief durchatmen. Wahrscheinlich saßen seine Kollegen schon alle in dem großen Saal, dessen Türen vor ihm lagen. Mehr oder weniger leise stieß er diese auf und grüßte in die Runde. Sein Blick blieb wie erwartet an Robert hängen, der mit seiner runden Brille auf den Bildschirm seines Handys starrte. Er schenkte ihm nichtmal einen Funken Aufmerksamkeit. Deshalb ging Christian auch schnell zu seinem Platz zwischen Volker und Marco. Wenigstens zwei Menschen, mit denen er noch normal umgehen konnte.

Marco drehte sich zu ihm und fing leise an zu sprechen.

"Ist alles gut bei dir? Ich hab den Artikel heute morgen auch schon gesehen. Deshalb bist du doch bestimmt auch so spät."

Christian überlegte. Marco war ein guter Freund. Wenn er jemandem etwas erzählen konnte, dann ihm. Aber er hatte mit Franca vereinbart, dass es nicht an die Öffentlichkeit kommen würde. Und dass sie es unter sich behielten. Auch wenn er dieses Versprechen schon dann gebrochen hatte, als er Robert Bescheid gesagt hatte. Also konnte er es im Prinzip auch Marco, als sehr gutem Freund erzählen. Außerdem vertraute er Marco.

"Ja. Lass uns da später drüber sprechen. Wenn wir nicht unter so vielen anderen Menschen sind.", sprach Christian leise und Marco nickte ihm zu. Er wollte ihm zumindest sagen, dass er sich von Franca getrennt hatte. Und er war sich sicher, bei Marco konnte er das los werden. Immerhin sind sie nun auch schon einige Jahre befreundet.

Nach dieser kurzen Ablenkung gingen die Diskussionen in eine nächste Runde. Heute ging es um die von der Arbeitsgruppe vorgelegten Ergebnisse zum Thema Bauen und Wohnen. Es gab sicherlich Themen, die Christian spannender fand. Zum Beispiel Finanzen. Nicht verwunderlich. Deshalb bemerkte er, dass sein Blick und seine Gedanken öfters dort waren, wo sie nicht hätten sein sollen.  Aber er konnte sich auch auf seine Kollegen verlassen, wenn er mal einen Punkt verpasste, an dem er etwas hätte einwerfen können. An einem Punkt, als er mal wieder ausführte, warum es keine Mietenbremse geben sollte, unterbrach ihn Robert. Er argumentierte Christians Ansicht nach in dem Moment so unschlüssig und emotional, dass er gar nicht verstand, was er eigentlich von ihm wollte. Und in einem gewissen Grad fühlte er sich auch selbst angegriffen. Denn er konnte genau zwischen den Zeilen heraus lesen, dass es nicht nur um dieses Thema hier ging. Umso erleichterter war er dann, als die Mittagspause eingeläutet wurde und er schnell mit Marco den Raum verlassen konnte. Sie zogen sich in einen kleinen Besprechungsraum zurück, der sonst nicht genutzt wurde. Und in den sich hoffentlich auch niemand verirren würde.

"Okay Christian, was hat es jetzt mit diesem Artikel auf sich?"

"Das ist alles nicht so einfach. Franca und ich haben uns in letzter Zeit häufiger wegen belanglosen Dingen gestritten und dann ist es letzte Woche etwas eskaliert, deshalb bin ich dann vorläufig tatsächlich ins Hotel gezogen. Und ja ehrlich gesagt hab ich nicht so darauf geachtet, ob man mich da sieht oder nicht. Ich dachte es gäbe andere Probleme, aber naja, das war wohl etwas naiv. Auf jeden Fall hab ich dann etwas Mist gebaut und daraufhin haben wir uns getrennt. Vor gerade Mal drei Tagen. Aber das werden wir nicht bekannt geben, zumindest nicht momentan. Die Lage ist einfach zu heikel, da braucht man nicht noch private Skandale in den Medien. Deshalb wollen wir uns weiter als Paar ausgeben. Aber die Gerüchte gibt es ja scheinbar jetzt schon. "

"Warte, ihr habt euch ernsthaft getrennt? Ich dachte, dass du mit ihr wirklich glücklich warst?" Entgeistert schaute Marco zu Christian.

"Ja, war ich auch. Aber eben nur bis zu einem bestimmten Punkt und das habe ich dann in der letzten Zeit ziemlich eindeutig gemerkt. Glaub mir, mir fiel das Ganze nicht einfach."

"Puhh, das ist ja wirklich ein dickes Brett. Und sehr unerwartet. Aber was machst du jetzt mit diesem Artikel? Das wird ja sicherlich nicht der einzige bleiben."

"Ja das stimmt. Ich muss auf jeden Fall vorsichtiger werden. Und wahrscheinlich lasse ich nachher ein kurzes Statement schreiben. Ich denke das ist das Beste, was ich in dieser Situation machen kann."

Marco nickte und war doch noch etwas schockiert von dem, was er eben gehört hatte. Immerhin war er, so wie gefühlt alle davon ausgegangen, dass er bald zu der Hochzeit von Christian und Franca gehen würde. Daraus würde jetzt wohl nichts. Und ehrlich gesagt verstand er nicht so Recht, was Christians Beweggründe waren. Aber er wollte ihn jetzt wenigstens unterstützen, egal was da letztendlich passiert war. Deshalb legte er freundschaftlich seinen Arm um Christian, bevor sie dann diesen Raum wieder verließen.

Christians Team hatte indessen ein Statement vorgeschrieben, nachdem Christian ihnen den Inhalt mehr oder weniger durchgegeben hatte. Dieses veröffentlichte er dann schnell bei Twitter, bevor die Verhandlungen wieder aufgenommen wurde. Und er wieder Robert sehen musste.

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@c_lindner

Jegliche Spekulationen über mein Privatleben sind nicht angebracht, da es momentan für uns Alle deutlich wichtigere Themen gibt. Auch wenn ich es nicht abstreite, dass ich mich der Situation geschuldet nicht in meinem gewöhnlichen Lebensumfeld befinde, um so professionell und optimal wie möglich diese Koalitionsverhandlungen führen zu können. Trotzdem verbieten sich jegliche unprofessionelle Spekulationen.

Der ganze Lärm um uns Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt